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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912.

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des Tarifwesens wurde von der erwähnten Generalkonferenz zugleich ein sehr wichtiges Organ geschaffen, die jetzt aus 14 deutschen Eisenbahnverwaltungen bestehende ständige Tarifkommission, der zugleich ein aus Vertretern der verschiedenen am Verkehr beteiligten Hauptberufe bestehender Ausschuß der Verkehrsinteressenten zur Seite gesetzt wurde.

Mit dem Jahr 1878 beginnt für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens ein neuer wichtiger Abschnitt, der durch die großen Verstaatlichungen in Preußen gekennzeichnet wird.

In den Jahren seit 1871 war, namentlich in Mittel-, West- und Norddeutschland, der Einfluß der Privatbahnen stark gewachsen. Aber mit ihrer monopolartigen Beherrschung großer Verkehrslinien und der Betonung der finanziellen Interessen ihrer Aktionäre, mit dem Widerstand, den sie der staatlichen Tarifpolitik, der einheitlichen Gestaltung des Eisenbahnwesens überhaupt entgegensetzten, wuchs auch die Überzeugung von der Notwendigkeit, ihre Macht zu brechen und alle wichtigen Eisenbahnlinien in der Hand des Staates zu vereinigen. Vor allem waren es auch militärische Gesichtspunkte, die für diese Notwendigkeit sprachen. Fürst Bismarck hatte dies längst erkannt, und nachdem sein Reichseisenbahnplan gescheitert war, verfolgte er den Verstaatlichungsgedanken innerhalb Preußens mit größter Zähigkeit. Auch Kaiser Wilhelm I. hatte ihn in einem Handschreiben vom 8. Dezember 1875 auf die Wiederaufnahme des v. d. Heydtschen Verstaatlichungsplans hingewiesen. Fürst Bismarck fand für seine Pläne in dem Staatsminister Maybach einen ausgezeichneten Helfer, der in seinem Geiste die Verstaatlichung der großen preußischen Privatbahnen mit kraftvoller und glücklicher Hand durchführte. Maybach hatte schon in den Jahren 1874-1877 das Reichseisenbahnamt geleitet und die Unmöglichkeit eingesehen, auf dem Wege der Reichsgesetzgebung zum Ziele zu gelangen. Bismarck erkannte in ihm den richtigen Mann und berief ihn im Frühjahr 1878 auf den Posten des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten.

Damit begann für Preußen die Zeit des Staatsbahnsystems, das bis zum Jahre 1885 so gründlich durchgeführt wurde, daß die Betriebslänge der Privatbahnen Ende 1885 auf rund 1650 km zusammengeschrumpft war, während die Länge der Staatsbahnen in dem gleichen Zeitraum auf 21.624 km anwuchs. Das Einzelne gehört in die Geschichte des preußischen Eisenbahnwesens (s. Art. Preußische Eisenbahnen); hier sei nur erwähnt, daß schon 1885 mit den großen und mächtigen preußischen und mitteldeutschen Privatbahnen fast vollständig aufgeräumt war. Für den Durchgangsverkehr war von den übrigbleibenden keine von Bedeutung.

In dem Zeitraum von 1875-1885 wurde auch in den übrigen deutschen Staaten der Verstaatlichungsprozeß fast vollständig durchgeführt. Bayern erwarb im Jahre 1875 das Netz der Ostbahnen, so daß in seinem Gebiet nur die Pfalzbahn als mächtigste Privatbahn Deutschlands bis zum Jahre 1908 bestehen blieb (s. Näheres in dem Artikel Bayerische Eisenbahnen). Im Königreich Sachsen hatte sich die Leipzig-Dresdener Eisenbahn glänzend entwickelt, auch eine Anzahl kleinerer Privatbahnen waren entstanden, aber die großen Linien des Landes waren mit jener Ausnahme im Eigenrum und Betrieb des Staates, und so entschloß er sich, ebenfalls im Jahre 1875, um sich vom Wettbewerb Leipzig-Dresdens zu befreien, auch diese Bahn zu erwerben, und das reine Staatsbahnsystem durchzuführen; nach Überwindung einiger Hindernisse gelang der Ankauf jener Hauptbahn im Jahre 1876, die übrigen kleineren Privatbahnen folgten im Laufe der nächsten Jahre (s. Näheres in dem Art. Sächsische Eisenbahnen). Im Großherzogtum Hessen-Darmstadt blieb das gemischte System am längsten bestehen. Seit 1853 hatte sich hier im Anschluß an die rheinische Bahn auf der einen, an die bayerische Pfalzbahn und die rechtsrheinischen bayerischen Bahnen auf der anderen Seite das blühende Unternehmen der Hessischen Ludwigsbahn entwickelt, das seinen Sitz in Mainz hatte und seine Linien westlich nach Bingerbrück, östlich nach Frankfurt und Darmstadt-Aschaffenburg, südlich nach Worms erstreckte. Die Verstaatlichung erfolgte erst im Jahre 1896 (Näheres s. u.). Im übrigen besaß Hessen außer dem eigentümlichen Gebilde der im Jahre 1843 gegründeten, damals den 3 Staaten Baden, Hessen und der freien Stadt Frankfurt gehörigen Main-Neckarbahn in seiner rechtsmainischen Provinz Oberhessen ein Staatsbahnnetz von geringer Bedeutung. Baden, Württemberg und Oldenburg hatten, wie schon gesagt, von Anfang an Eisenbahnbau und -betrieb als Staatssache in die Hand genommen. In Mecklenburg waren die Hauptlinien ursprünglich als Gesellschaftsbahnen erbaut, dann vom Landesherrn persönlich erworben und von ihm im Jahre 1873 an eine Privatbahngesellschaft, die der Friedrich-Franz-Bahnen, veräußert, die erst im Jahre 1889 mit den meisten übrigen Privatbahnen des Landes verstaatlicht wurde.

des Tarifwesens wurde von der erwähnten Generalkonferenz zugleich ein sehr wichtiges Organ geschaffen, die jetzt aus 14 deutschen Eisenbahnverwaltungen bestehende ständige Tarifkommission, der zugleich ein aus Vertretern der verschiedenen am Verkehr beteiligten Hauptberufe bestehender Ausschuß der Verkehrsinteressenten zur Seite gesetzt wurde.

Mit dem Jahr 1878 beginnt für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens ein neuer wichtiger Abschnitt, der durch die großen Verstaatlichungen in Preußen gekennzeichnet wird.

In den Jahren seit 1871 war, namentlich in Mittel-, West- und Norddeutschland, der Einfluß der Privatbahnen stark gewachsen. Aber mit ihrer monopolartigen Beherrschung großer Verkehrslinien und der Betonung der finanziellen Interessen ihrer Aktionäre, mit dem Widerstand, den sie der staatlichen Tarifpolitik, der einheitlichen Gestaltung des Eisenbahnwesens überhaupt entgegensetzten, wuchs auch die Überzeugung von der Notwendigkeit, ihre Macht zu brechen und alle wichtigen Eisenbahnlinien in der Hand des Staates zu vereinigen. Vor allem waren es auch militärische Gesichtspunkte, die für diese Notwendigkeit sprachen. Fürst Bismarck hatte dies längst erkannt, und nachdem sein Reichseisenbahnplan gescheitert war, verfolgte er den Verstaatlichungsgedanken innerhalb Preußens mit größter Zähigkeit. Auch Kaiser Wilhelm I. hatte ihn in einem Handschreiben vom 8. Dezember 1875 auf die Wiederaufnahme des v. d. Heydtschen Verstaatlichungsplans hingewiesen. Fürst Bismarck fand für seine Pläne in dem Staatsminister Maybach einen ausgezeichneten Helfer, der in seinem Geiste die Verstaatlichung der großen preußischen Privatbahnen mit kraftvoller und glücklicher Hand durchführte. Maybach hatte schon in den Jahren 1874–1877 das Reichseisenbahnamt geleitet und die Unmöglichkeit eingesehen, auf dem Wege der Reichsgesetzgebung zum Ziele zu gelangen. Bismarck erkannte in ihm den richtigen Mann und berief ihn im Frühjahr 1878 auf den Posten des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten.

Damit begann für Preußen die Zeit des Staatsbahnsystems, das bis zum Jahre 1885 so gründlich durchgeführt wurde, daß die Betriebslänge der Privatbahnen Ende 1885 auf rund 1650 km zusammengeschrumpft war, während die Länge der Staatsbahnen in dem gleichen Zeitraum auf 21.624 km anwuchs. Das Einzelne gehört in die Geschichte des preußischen Eisenbahnwesens (s. Art. Preußische Eisenbahnen); hier sei nur erwähnt, daß schon 1885 mit den großen und mächtigen preußischen und mitteldeutschen Privatbahnen fast vollständig aufgeräumt war. Für den Durchgangsverkehr war von den übrigbleibenden keine von Bedeutung.

In dem Zeitraum von 1875–1885 wurde auch in den übrigen deutschen Staaten der Verstaatlichungsprozeß fast vollständig durchgeführt. Bayern erwarb im Jahre 1875 das Netz der Ostbahnen, so daß in seinem Gebiet nur die Pfalzbahn als mächtigste Privatbahn Deutschlands bis zum Jahre 1908 bestehen blieb (s. Näheres in dem Artikel Bayerische Eisenbahnen). Im Königreich Sachsen hatte sich die Leipzig-Dresdener Eisenbahn glänzend entwickelt, auch eine Anzahl kleinerer Privatbahnen waren entstanden, aber die großen Linien des Landes waren mit jener Ausnahme im Eigenrum und Betrieb des Staates, und so entschloß er sich, ebenfalls im Jahre 1875, um sich vom Wettbewerb Leipzig-Dresdens zu befreien, auch diese Bahn zu erwerben, und das reine Staatsbahnsystem durchzuführen; nach Überwindung einiger Hindernisse gelang der Ankauf jener Hauptbahn im Jahre 1876, die übrigen kleineren Privatbahnen folgten im Laufe der nächsten Jahre (s. Näheres in dem Art. Sächsische Eisenbahnen). Im Großherzogtum Hessen-Darmstadt blieb das gemischte System am längsten bestehen. Seit 1853 hatte sich hier im Anschluß an die rheinische Bahn auf der einen, an die bayerische Pfalzbahn und die rechtsrheinischen bayerischen Bahnen auf der anderen Seite das blühende Unternehmen der Hessischen Ludwigsbahn entwickelt, das seinen Sitz in Mainz hatte und seine Linien westlich nach Bingerbrück, östlich nach Frankfurt und Darmstadt-Aschaffenburg, südlich nach Worms erstreckte. Die Verstaatlichung erfolgte erst im Jahre 1896 (Näheres s. u.). Im übrigen besaß Hessen außer dem eigentümlichen Gebilde der im Jahre 1843 gegründeten, damals den 3 Staaten Baden, Hessen und der freien Stadt Frankfurt gehörigen Main-Neckarbahn in seiner rechtsmainischen Provinz Oberhessen ein Staatsbahnnetz von geringer Bedeutung. Baden, Württemberg und Oldenburg hatten, wie schon gesagt, von Anfang an Eisenbahnbau und -betrieb als Staatssache in die Hand genommen. In Mecklenburg waren die Hauptlinien ursprünglich als Gesellschaftsbahnen erbaut, dann vom Landesherrn persönlich erworben und von ihm im Jahre 1873 an eine Privatbahngesellschaft, die der Friedrich-Franz-Bahnen, veräußert, die erst im Jahre 1889 mit den meisten übrigen Privatbahnen des Landes verstaatlicht wurde.

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[295/0309] des Tarifwesens wurde von der erwähnten Generalkonferenz zugleich ein sehr wichtiges Organ geschaffen, die jetzt aus 14 deutschen Eisenbahnverwaltungen bestehende ständige Tarifkommission, der zugleich ein aus Vertretern der verschiedenen am Verkehr beteiligten Hauptberufe bestehender Ausschuß der Verkehrsinteressenten zur Seite gesetzt wurde. Mit dem Jahr 1878 beginnt für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens ein neuer wichtiger Abschnitt, der durch die großen Verstaatlichungen in Preußen gekennzeichnet wird. In den Jahren seit 1871 war, namentlich in Mittel-, West- und Norddeutschland, der Einfluß der Privatbahnen stark gewachsen. Aber mit ihrer monopolartigen Beherrschung großer Verkehrslinien und der Betonung der finanziellen Interessen ihrer Aktionäre, mit dem Widerstand, den sie der staatlichen Tarifpolitik, der einheitlichen Gestaltung des Eisenbahnwesens überhaupt entgegensetzten, wuchs auch die Überzeugung von der Notwendigkeit, ihre Macht zu brechen und alle wichtigen Eisenbahnlinien in der Hand des Staates zu vereinigen. Vor allem waren es auch militärische Gesichtspunkte, die für diese Notwendigkeit sprachen. Fürst Bismarck hatte dies längst erkannt, und nachdem sein Reichseisenbahnplan gescheitert war, verfolgte er den Verstaatlichungsgedanken innerhalb Preußens mit größter Zähigkeit. Auch Kaiser Wilhelm I. hatte ihn in einem Handschreiben vom 8. Dezember 1875 auf die Wiederaufnahme des v. d. Heydtschen Verstaatlichungsplans hingewiesen. Fürst Bismarck fand für seine Pläne in dem Staatsminister Maybach einen ausgezeichneten Helfer, der in seinem Geiste die Verstaatlichung der großen preußischen Privatbahnen mit kraftvoller und glücklicher Hand durchführte. Maybach hatte schon in den Jahren 1874–1877 das Reichseisenbahnamt geleitet und die Unmöglichkeit eingesehen, auf dem Wege der Reichsgesetzgebung zum Ziele zu gelangen. Bismarck erkannte in ihm den richtigen Mann und berief ihn im Frühjahr 1878 auf den Posten des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten. Damit begann für Preußen die Zeit des Staatsbahnsystems, das bis zum Jahre 1885 so gründlich durchgeführt wurde, daß die Betriebslänge der Privatbahnen Ende 1885 auf rund 1650 km zusammengeschrumpft war, während die Länge der Staatsbahnen in dem gleichen Zeitraum auf 21.624 km anwuchs. Das Einzelne gehört in die Geschichte des preußischen Eisenbahnwesens (s. Art. Preußische Eisenbahnen); hier sei nur erwähnt, daß schon 1885 mit den großen und mächtigen preußischen und mitteldeutschen Privatbahnen fast vollständig aufgeräumt war. Für den Durchgangsverkehr war von den übrigbleibenden keine von Bedeutung. In dem Zeitraum von 1875–1885 wurde auch in den übrigen deutschen Staaten der Verstaatlichungsprozeß fast vollständig durchgeführt. Bayern erwarb im Jahre 1875 das Netz der Ostbahnen, so daß in seinem Gebiet nur die Pfalzbahn als mächtigste Privatbahn Deutschlands bis zum Jahre 1908 bestehen blieb (s. Näheres in dem Artikel Bayerische Eisenbahnen). Im Königreich Sachsen hatte sich die Leipzig-Dresdener Eisenbahn glänzend entwickelt, auch eine Anzahl kleinerer Privatbahnen waren entstanden, aber die großen Linien des Landes waren mit jener Ausnahme im Eigenrum und Betrieb des Staates, und so entschloß er sich, ebenfalls im Jahre 1875, um sich vom Wettbewerb Leipzig-Dresdens zu befreien, auch diese Bahn zu erwerben, und das reine Staatsbahnsystem durchzuführen; nach Überwindung einiger Hindernisse gelang der Ankauf jener Hauptbahn im Jahre 1876, die übrigen kleineren Privatbahnen folgten im Laufe der nächsten Jahre (s. Näheres in dem Art. Sächsische Eisenbahnen). Im Großherzogtum Hessen-Darmstadt blieb das gemischte System am längsten bestehen. Seit 1853 hatte sich hier im Anschluß an die rheinische Bahn auf der einen, an die bayerische Pfalzbahn und die rechtsrheinischen bayerischen Bahnen auf der anderen Seite das blühende Unternehmen der Hessischen Ludwigsbahn entwickelt, das seinen Sitz in Mainz hatte und seine Linien westlich nach Bingerbrück, östlich nach Frankfurt und Darmstadt-Aschaffenburg, südlich nach Worms erstreckte. Die Verstaatlichung erfolgte erst im Jahre 1896 (Näheres s. u.). Im übrigen besaß Hessen außer dem eigentümlichen Gebilde der im Jahre 1843 gegründeten, damals den 3 Staaten Baden, Hessen und der freien Stadt Frankfurt gehörigen Main-Neckarbahn in seiner rechtsmainischen Provinz Oberhessen ein Staatsbahnnetz von geringer Bedeutung. Baden, Württemberg und Oldenburg hatten, wie schon gesagt, von Anfang an Eisenbahnbau und -betrieb als Staatssache in die Hand genommen. In Mecklenburg waren die Hauptlinien ursprünglich als Gesellschaftsbahnen erbaut, dann vom Landesherrn persönlich erworben und von ihm im Jahre 1873 an eine Privatbahngesellschaft, die der Friedrich-Franz-Bahnen, veräußert, die erst im Jahre 1889 mit den meisten übrigen Privatbahnen des Landes verstaatlicht wurde.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen03_1912/309>, abgerufen am 28.09.2024.