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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912.

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Einheit Deutschlands den politischen Himmel erhellte und da in der Mobilmachung zum deutsch-französischen Kriege die D. ohne Ausnahme in Nord und Süd, Ost und West, eine Feuerprobe ihrer Leistungsfähigkeit bestanden hatten, die die Bewunderung der ganzen Welt erregte.

Die 5 Jahre von 1866-1870 zwischen dem Preußisch-Österreichischen und dem Deutsch-Französischen Kriege waren für die Entwicklung des deutschen Eisenbahnwesens höchst fruchtbar, anderseits wären diese großen politischen Umwälzungen ohne den mächtigen Fortschritt im Eisenbahnwesen unmöglich gewesen. Denn gerade die Eisenbahnen waren es, die durch ihre tiefe Einwirkung auf den Austausch der geistigen und wirtschaftlichen Güter, durch die Belebung des Verkehrs zwischen den Landbewohnern und über die Grenzen der Länder hinaus in den Bevölkerungen den Wunsch zu nationalem Zusammenschluß, zu kräftiger Einigung rege machten.

In diese Zeit fällt auch die Entstehung der Nebenbahnen. Wieder war es der VDEV., der sich durch Aufstellung allgemeiner Grundzüge für den Bau von Nebenbahnen (damals noch allgemein "Sekundärbahnen" genannt) ein Verdienst erwarb. Sie wurden von der Hauptversammlung des Vereins 1869 genehmigt und den deutschen Regierungen mit ausführlicher Denkschrift überreicht; sie haben die Hauptquelle für die später dieserhalb in den Einzelstaaten und von Reichs wegen erlassenen Anordnungen gebildet.

Das deutsche Eisenbahnnetz hat in dem Jahrfünft von 1866 bis 1870 weitere gewaltige Fortschritte gemacht.

Die Länge der Bahnen wuchs in diesem Zeitraum um 4868 km, also fast um 1000 km jährlich. Das Jahr 1870 brachte sogar einen Zuwachs von allein 1510 km. Die Gesamtzunahme verteilte sich ziemlich gleichmäßig auf alle deutschen Ländergebiete, doch ist besonders hervortretend der Fortschritt in Süddeutschland: 1866-1868 wurden u. a. die ersten Strecken der badischen Schwarzwaldbahn eröffnet, der ersten eigentlichen Gebirgsbahn in Deutschland mit ihren vielbewunderten Kehrtunneln, 1868 und 1869 erweiterten sich die württembergischen Staatsbahnen erheblich, 1867 wurde die Rheinbrücke bei Mannheim dem Verkehr übergeben. In Westdeutschland erfuhren die großen rheinischen Privatbahnen und die Bergisch-Märkische Bahn wesentliche Erweiterung, Oldenburg trat mit seiner eigenen Staatsbahn von Bremen nach Leer und der dem preußischen Staat gehörigen, von Oldenburg betriebenen Bahn Oldenburg-Wilhelmshaven auf den Plan. Aus den Erweiterungen Mittel- und Norddeutschlands ist die Fertigstellung von Halle-Cassel und Bebra-Fuldau-Hanau, Berlin-Görlitz, der Märkisch-Posener und der ostpreußischen Südbahn hervorzuheben.

1871-1885. Mit dem Jahr 1871, der Begründung des Deutschen Reiches und dem Inkrafttreten der Reichsverfassung beginnt ein neuer Abschnitt nicht nur der politischen, sondern auch der wirtschaftlichen Geschichte Deutschlands und damit auch seines Eisenbahnwesens. Wie das deutsche Gebiet um Elsaß-Lothringen vergrößert wurde, so wuchsen auch die Eisenbahnen dieser zum Reichsland erklärten Landesteile, die bisher im Besitz der französischen Ostbahn gewesen waren, mit 766 km dem deutschen Eisenbahnnetz zu. Ihr Kaufpreis von 320 Mill. Fr. wurde auf die 5 Milliarden Kriegsentschädigung angerechnet und die Bahnen bildeten, indem sie sogleich in Besitz und Verwaltung des deutschen Reiches übergingen, eine wesentliche Verstärkung des staatlichen Eisenbahnbesitzes in Deutschland. Die zur Verwaltung der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen eingesetzte Generaldirektion in Straßburg wurde zunächst dem Reichskanzler unmittelbar unterstellt. Erst i. J. 1879 wurde ein besonderes Reichsamt für die Verwaltung dieser Bahnen gebildet, dessen Chef der preußische Eisenbahnminister wurde.

Die Gründung des Deutschen Reiches bewirkte ferner, daß die in der Verfassung des norddeutschen Bundes für dessen Gebiet enthaltenen grundlegenden Bestimmungen für das Eisenbahnwesen nun auch auf Baden, Hessen südlich des Mains und Württemberg ausgedehnt wurden; Bayern nahm und nimmt, wie auf einigen anderen Gebieten, so auch auf dem des Eisenbahnwesens eine Sonderstellung ein, indem seine Eisenbahnangelegenheiten der Aufsicht und Gesetzgebung des Reiches im Interesse des allgemeinen Verkehrs nicht unterlagen. Nun wurde dem Reiche auch Bayern gegenüber das Recht gewahrt, im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für Bau und Ausrüstung der für die Landesverteidigung notwendigen Eisenbahnen aufzustellen, und durch Art. 47 wurden alle deutschen Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, den Anforderungen des Reichs zum Zwecke der Verteidigung Deutschlands unweigerlich Folge zu leisten, Militär und Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.

Die Reichsgesetzgebung griff schon sehr früh auf einem andern Gebiet in das Eisenbahnwesen ein, indem am 7. Juni 1871 ein Haftpflichtgesetz erlassen wurde, das die dringende Frage der Entschädigung der beim Eisenbahnbetrieb verletzten oder getöteten Personen einheitlich regelte und den Eisenbahnen eine sehr strenge Haftpflicht auferlegte, die durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vielfach noch weiter verschärft ist.

Von höchster Bedeutung für das Eisenbahnwesen war in jener Zeit vor allem der beispiellose wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands,

Einheit Deutschlands den politischen Himmel erhellte und da in der Mobilmachung zum deutsch-französischen Kriege die D. ohne Ausnahme in Nord und Süd, Ost und West, eine Feuerprobe ihrer Leistungsfähigkeit bestanden hatten, die die Bewunderung der ganzen Welt erregte.

Die 5 Jahre von 1866–1870 zwischen dem Preußisch-Österreichischen und dem Deutsch-Französischen Kriege waren für die Entwicklung des deutschen Eisenbahnwesens höchst fruchtbar, anderseits wären diese großen politischen Umwälzungen ohne den mächtigen Fortschritt im Eisenbahnwesen unmöglich gewesen. Denn gerade die Eisenbahnen waren es, die durch ihre tiefe Einwirkung auf den Austausch der geistigen und wirtschaftlichen Güter, durch die Belebung des Verkehrs zwischen den Landbewohnern und über die Grenzen der Länder hinaus in den Bevölkerungen den Wunsch zu nationalem Zusammenschluß, zu kräftiger Einigung rege machten.

In diese Zeit fällt auch die Entstehung der Nebenbahnen. Wieder war es der VDEV., der sich durch Aufstellung allgemeiner Grundzüge für den Bau von Nebenbahnen (damals noch allgemein „Sekundärbahnen“ genannt) ein Verdienst erwarb. Sie wurden von der Hauptversammlung des Vereins 1869 genehmigt und den deutschen Regierungen mit ausführlicher Denkschrift überreicht; sie haben die Hauptquelle für die später dieserhalb in den Einzelstaaten und von Reichs wegen erlassenen Anordnungen gebildet.

Das deutsche Eisenbahnnetz hat in dem Jahrfünft von 1866 bis 1870 weitere gewaltige Fortschritte gemacht.

Die Länge der Bahnen wuchs in diesem Zeitraum um 4868 km, also fast um 1000 km jährlich. Das Jahr 1870 brachte sogar einen Zuwachs von allein 1510 km. Die Gesamtzunahme verteilte sich ziemlich gleichmäßig auf alle deutschen Ländergebiete, doch ist besonders hervortretend der Fortschritt in Süddeutschland: 1866–1868 wurden u. a. die ersten Strecken der badischen Schwarzwaldbahn eröffnet, der ersten eigentlichen Gebirgsbahn in Deutschland mit ihren vielbewunderten Kehrtunneln, 1868 und 1869 erweiterten sich die württembergischen Staatsbahnen erheblich, 1867 wurde die Rheinbrücke bei Mannheim dem Verkehr übergeben. In Westdeutschland erfuhren die großen rheinischen Privatbahnen und die Bergisch-Märkische Bahn wesentliche Erweiterung, Oldenburg trat mit seiner eigenen Staatsbahn von Bremen nach Leer und der dem preußischen Staat gehörigen, von Oldenburg betriebenen Bahn Oldenburg-Wilhelmshaven auf den Plan. Aus den Erweiterungen Mittel- und Norddeutschlands ist die Fertigstellung von Halle-Cassel und Bebra-Fuldau-Hanau, Berlin-Görlitz, der Märkisch-Posener und der ostpreußischen Südbahn hervorzuheben.

1871–1885. Mit dem Jahr 1871, der Begründung des Deutschen Reiches und dem Inkrafttreten der Reichsverfassung beginnt ein neuer Abschnitt nicht nur der politischen, sondern auch der wirtschaftlichen Geschichte Deutschlands und damit auch seines Eisenbahnwesens. Wie das deutsche Gebiet um Elsaß-Lothringen vergrößert wurde, so wuchsen auch die Eisenbahnen dieser zum Reichsland erklärten Landesteile, die bisher im Besitz der französischen Ostbahn gewesen waren, mit 766 km dem deutschen Eisenbahnnetz zu. Ihr Kaufpreis von 320 Mill. Fr. wurde auf die 5 Milliarden Kriegsentschädigung angerechnet und die Bahnen bildeten, indem sie sogleich in Besitz und Verwaltung des deutschen Reiches übergingen, eine wesentliche Verstärkung des staatlichen Eisenbahnbesitzes in Deutschland. Die zur Verwaltung der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen eingesetzte Generaldirektion in Straßburg wurde zunächst dem Reichskanzler unmittelbar unterstellt. Erst i. J. 1879 wurde ein besonderes Reichsamt für die Verwaltung dieser Bahnen gebildet, dessen Chef der preußische Eisenbahnminister wurde.

Die Gründung des Deutschen Reiches bewirkte ferner, daß die in der Verfassung des norddeutschen Bundes für dessen Gebiet enthaltenen grundlegenden Bestimmungen für das Eisenbahnwesen nun auch auf Baden, Hessen südlich des Mains und Württemberg ausgedehnt wurden; Bayern nahm und nimmt, wie auf einigen anderen Gebieten, so auch auf dem des Eisenbahnwesens eine Sonderstellung ein, indem seine Eisenbahnangelegenheiten der Aufsicht und Gesetzgebung des Reiches im Interesse des allgemeinen Verkehrs nicht unterlagen. Nun wurde dem Reiche auch Bayern gegenüber das Recht gewahrt, im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für Bau und Ausrüstung der für die Landesverteidigung notwendigen Eisenbahnen aufzustellen, und durch Art. 47 wurden alle deutschen Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, den Anforderungen des Reichs zum Zwecke der Verteidigung Deutschlands unweigerlich Folge zu leisten, Militär und Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.

Die Reichsgesetzgebung griff schon sehr früh auf einem andern Gebiet in das Eisenbahnwesen ein, indem am 7. Juni 1871 ein Haftpflichtgesetz erlassen wurde, das die dringende Frage der Entschädigung der beim Eisenbahnbetrieb verletzten oder getöteten Personen einheitlich regelte und den Eisenbahnen eine sehr strenge Haftpflicht auferlegte, die durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vielfach noch weiter verschärft ist.

Von höchster Bedeutung für das Eisenbahnwesen war in jener Zeit vor allem der beispiellose wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands,

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[293/0307] Einheit Deutschlands den politischen Himmel erhellte und da in der Mobilmachung zum deutsch-französischen Kriege die D. ohne Ausnahme in Nord und Süd, Ost und West, eine Feuerprobe ihrer Leistungsfähigkeit bestanden hatten, die die Bewunderung der ganzen Welt erregte. Die 5 Jahre von 1866–1870 zwischen dem Preußisch-Österreichischen und dem Deutsch-Französischen Kriege waren für die Entwicklung des deutschen Eisenbahnwesens höchst fruchtbar, anderseits wären diese großen politischen Umwälzungen ohne den mächtigen Fortschritt im Eisenbahnwesen unmöglich gewesen. Denn gerade die Eisenbahnen waren es, die durch ihre tiefe Einwirkung auf den Austausch der geistigen und wirtschaftlichen Güter, durch die Belebung des Verkehrs zwischen den Landbewohnern und über die Grenzen der Länder hinaus in den Bevölkerungen den Wunsch zu nationalem Zusammenschluß, zu kräftiger Einigung rege machten. In diese Zeit fällt auch die Entstehung der Nebenbahnen. Wieder war es der VDEV., der sich durch Aufstellung allgemeiner Grundzüge für den Bau von Nebenbahnen (damals noch allgemein „Sekundärbahnen“ genannt) ein Verdienst erwarb. Sie wurden von der Hauptversammlung des Vereins 1869 genehmigt und den deutschen Regierungen mit ausführlicher Denkschrift überreicht; sie haben die Hauptquelle für die später dieserhalb in den Einzelstaaten und von Reichs wegen erlassenen Anordnungen gebildet. Das deutsche Eisenbahnnetz hat in dem Jahrfünft von 1866 bis 1870 weitere gewaltige Fortschritte gemacht. Die Länge der Bahnen wuchs in diesem Zeitraum um 4868 km, also fast um 1000 km jährlich. Das Jahr 1870 brachte sogar einen Zuwachs von allein 1510 km. Die Gesamtzunahme verteilte sich ziemlich gleichmäßig auf alle deutschen Ländergebiete, doch ist besonders hervortretend der Fortschritt in Süddeutschland: 1866–1868 wurden u. a. die ersten Strecken der badischen Schwarzwaldbahn eröffnet, der ersten eigentlichen Gebirgsbahn in Deutschland mit ihren vielbewunderten Kehrtunneln, 1868 und 1869 erweiterten sich die württembergischen Staatsbahnen erheblich, 1867 wurde die Rheinbrücke bei Mannheim dem Verkehr übergeben. In Westdeutschland erfuhren die großen rheinischen Privatbahnen und die Bergisch-Märkische Bahn wesentliche Erweiterung, Oldenburg trat mit seiner eigenen Staatsbahn von Bremen nach Leer und der dem preußischen Staat gehörigen, von Oldenburg betriebenen Bahn Oldenburg-Wilhelmshaven auf den Plan. Aus den Erweiterungen Mittel- und Norddeutschlands ist die Fertigstellung von Halle-Cassel und Bebra-Fuldau-Hanau, Berlin-Görlitz, der Märkisch-Posener und der ostpreußischen Südbahn hervorzuheben. 1871–1885. Mit dem Jahr 1871, der Begründung des Deutschen Reiches und dem Inkrafttreten der Reichsverfassung beginnt ein neuer Abschnitt nicht nur der politischen, sondern auch der wirtschaftlichen Geschichte Deutschlands und damit auch seines Eisenbahnwesens. Wie das deutsche Gebiet um Elsaß-Lothringen vergrößert wurde, so wuchsen auch die Eisenbahnen dieser zum Reichsland erklärten Landesteile, die bisher im Besitz der französischen Ostbahn gewesen waren, mit 766 km dem deutschen Eisenbahnnetz zu. Ihr Kaufpreis von 320 Mill. Fr. wurde auf die 5 Milliarden Kriegsentschädigung angerechnet und die Bahnen bildeten, indem sie sogleich in Besitz und Verwaltung des deutschen Reiches übergingen, eine wesentliche Verstärkung des staatlichen Eisenbahnbesitzes in Deutschland. Die zur Verwaltung der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen eingesetzte Generaldirektion in Straßburg wurde zunächst dem Reichskanzler unmittelbar unterstellt. Erst i. J. 1879 wurde ein besonderes Reichsamt für die Verwaltung dieser Bahnen gebildet, dessen Chef der preußische Eisenbahnminister wurde. Die Gründung des Deutschen Reiches bewirkte ferner, daß die in der Verfassung des norddeutschen Bundes für dessen Gebiet enthaltenen grundlegenden Bestimmungen für das Eisenbahnwesen nun auch auf Baden, Hessen südlich des Mains und Württemberg ausgedehnt wurden; Bayern nahm und nimmt, wie auf einigen anderen Gebieten, so auch auf dem des Eisenbahnwesens eine Sonderstellung ein, indem seine Eisenbahnangelegenheiten der Aufsicht und Gesetzgebung des Reiches im Interesse des allgemeinen Verkehrs nicht unterlagen. Nun wurde dem Reiche auch Bayern gegenüber das Recht gewahrt, im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für Bau und Ausrüstung der für die Landesverteidigung notwendigen Eisenbahnen aufzustellen, und durch Art. 47 wurden alle deutschen Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, den Anforderungen des Reichs zum Zwecke der Verteidigung Deutschlands unweigerlich Folge zu leisten, Militär und Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern. Die Reichsgesetzgebung griff schon sehr früh auf einem andern Gebiet in das Eisenbahnwesen ein, indem am 7. Juni 1871 ein Haftpflichtgesetz erlassen wurde, das die dringende Frage der Entschädigung der beim Eisenbahnbetrieb verletzten oder getöteten Personen einheitlich regelte und den Eisenbahnen eine sehr strenge Haftpflicht auferlegte, die durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vielfach noch weiter verschärft ist. Von höchster Bedeutung für das Eisenbahnwesen war in jener Zeit vor allem der beispiellose wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands,

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen03_1912/307>, abgerufen am 28.09.2024.