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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, Wien, 1912.

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könnte. Überdies mußte mit dem Umstände gerechnet werden, daß die privaten Versicherungsgesellschaften trotz Staatsaufsicht in eine solche finanzielle Bedrängnis geraten können, daß sie außer stände wären, die von den Arbeitern durch vieljährige Prämienzahlungen erworbenen Versicherungsansprüche zu befriedigen. Eine weitere Gefahr für den Versicherungsanspruch der Arbeiter bildete die Möglichkeit des Eintrittes einer länger andauernden Zahlungsunfähigkeit des Arbeiters selbst, da die Aufrechterhaltung der Polizze von der termingemäßen Zahlung der Prämien abhängt.

Wenn daher auch der Gedanke der Privatversicherung fallen gelassen werden mußte, so erschien doch das Versicherungsprinzip als solches geeignet, die Lösung des Problems herbeizuführen; nur mußte den zu schaffenden Versicherungseinrichtungen der Charakter öffentlicher Institutionen unter staatlichem Schutz und staatlicher Fürsorge gegeben und die Versicherung auf die Grundlage des Zwanges für das Ganze der Arbeiterschaft gestellt werden. Dieser Weg wurde tatsächlich im Deutschen Reiche, das am frühesten an die Lösung des Arbeiterfürsorgeproblems gegangen war, eingeschlagen. Dort ist auch der Umfang der Zwangsversicherung am größten; er umfaßt die Kranken-, die Unfall- und die Invalidenversicherung. Mit dem Gesetze vom 15. Juni 1883 wurde die Krankenversicherung eingeführt, mit dem Gesetze vom 6. Juli 1884 die gewerbliche Unfallversicherung, mit dem Gesetze vom 5. Mai 1886 die landwirtschaftliche Unfall- und Krankenversicherung, mit dem Gesetze vom 11. Juli 1887 die Bau-Unfallversicherung, mit dem Gesetze vom 13. Juli 1887 die See-Unfallversicherung und mit dem Gesetze vom 22. Juni 1889 die Invaliden- und Altersversicherung.

Die Krankenversicherung wurde durch die Gesetze vom 10. April 1892, 30. Juni 1900 und 25. Mai 1903, die Unfallversicherung durch das Gesetz vom 30. Juni 1900 und die Invaliden- und Altersversicherung durch das Gesetz vom 13. Juli 1899 umgestaltet.

Mit der am 31. Mai 1911 vom Deutschen Reichstag verabschiedeten Reichsversicherungsordnung wurden die bis zu diesem Zeitpunkte in Geltung gestandenen Arbeiterversicherungsgesetze in ein Gesetz zusammengefaßt. Die Reichsversicherungsordnung trägt auch den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen der neuesten Zeit Rechnung; dies gilt insbesondere von der Neueinführung der Versicherung der Hinterbliebenen nach den gegen Invalidität versicherten Personen. Rücksichtlich der Eisenbahnbediensteten bestehen keine Sonderbestimmungen.

Österreich steht in Bezug auf den Umfang der Arbeiterversicherung dem Deutschen Reiche am nächsten, indem in Österreich die Kranken- und Unfallversicherung vollkommen ausgebaut und die Invaliden- und Altersversicherung, wenn auch vorläufig im beschränkten Umfang, zur Einführung gelangt ist. Es ergingen in Österreich nachstehend bezeichnete Gesetze, u. zw.:

Das Gesetz vom 30. März 1888, RGB. Nr. 33, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, das Gesetz vom 4. April 1889, RGB. Nr. 39, womit einige Änderungen des Ursprungsgesetzes getroffen werden. Das Gesetz vom 28. Dezember 1887, RGB. Nr. 1 ex 1888, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, das Gesetz vom 20. Juli 1894, RGB. Nr. 168, betreffend die Ausdehnung der Unfallversicherung, das Gesetz vom 12. Juli 1902, RGB. Nr. 1471, betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnen und das Gesetz vom 16. Dezember 1906, RGB. Nr. 1 ex 1907, betreffend die Pensionsversicherung der in privaten Diensten und einiger in öffentlichen Diensten Angestellten. Durch das letzterwähnte Gesetz vom 16. Dezember 1906 hat Österreich gegenüber dem Deutschen Reiche insoferne einen Vorsprung gewonnen, als das letztere Reich dieser Art der Zwangsversicherung noch entbehrt. Der weitere Ausbau der Invalidenversicherung in Österreich ist in Vorbereitung. Im Jahre 1908 hat die Regierung den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Sozialversicherung, im Abgeordnetenhause eingebracht.

Dieser Gesetzentwurf, der die Neuregelung der Kranken- und Unfallversicherung und die Neueinführung der allgemeinen Invalidenversicherung zum Gegenstand hat, bedeutet auch insoferne einen großen sozialpolitischen Fortschritt, als darin der Grundsatz der Zwangs-Kranken- und Invalidenversicherung der selbständig Erwerbstätigen, die ihrer Lebenshaltung nach aber dem Stande der unselbständig Erwerbstätigen, der Lohnarbeiter, ziemlich nahe stehen, wie Kleinhändler, Kleinhandwerker, Kleinbauern, zur Anerkennung gelangt, ein Problem, dessen Lösung bisher noch in keinem anderen Staate versucht wurde. Rücksichtlich der Eisenbahnbediensteten hat die österreichische Gesetzgebung für alle drei Versicherungszweige

1 Durch das Gesetz vom 12. Juli 1902, RGB. Nr. 147, wurden die Bestimmungen des Gesetzes vom 5. März 1869, RGB. Nr. 27, über die Haftung der Unternehmungen, die Eisenbahnen mit Anwendung von Dampfkraft betreiben, auf alle mit Anwendung einer elementaren Kraft betriebenen Eisenbahnen mit der Maßgabe ausgedehnt, daß die Bestimmungen dieser Gesetze auf die nach Art. VII des Gesetzes vom 20. Juli 1894, RGB. Nr. 168, versicherten Eisenbahnbediensteten und ihre Hinterbliebenen keine Anwendung finden.

könnte. Überdies mußte mit dem Umstände gerechnet werden, daß die privaten Versicherungsgesellschaften trotz Staatsaufsicht in eine solche finanzielle Bedrängnis geraten können, daß sie außer stände wären, die von den Arbeitern durch vieljährige Prämienzahlungen erworbenen Versicherungsansprüche zu befriedigen. Eine weitere Gefahr für den Versicherungsanspruch der Arbeiter bildete die Möglichkeit des Eintrittes einer länger andauernden Zahlungsunfähigkeit des Arbeiters selbst, da die Aufrechterhaltung der Polizze von der termingemäßen Zahlung der Prämien abhängt.

Wenn daher auch der Gedanke der Privatversicherung fallen gelassen werden mußte, so erschien doch das Versicherungsprinzip als solches geeignet, die Lösung des Problems herbeizuführen; nur mußte den zu schaffenden Versicherungseinrichtungen der Charakter öffentlicher Institutionen unter staatlichem Schutz und staatlicher Fürsorge gegeben und die Versicherung auf die Grundlage des Zwanges für das Ganze der Arbeiterschaft gestellt werden. Dieser Weg wurde tatsächlich im Deutschen Reiche, das am frühesten an die Lösung des Arbeiterfürsorgeproblems gegangen war, eingeschlagen. Dort ist auch der Umfang der Zwangsversicherung am größten; er umfaßt die Kranken-, die Unfall- und die Invalidenversicherung. Mit dem Gesetze vom 15. Juni 1883 wurde die Krankenversicherung eingeführt, mit dem Gesetze vom 6. Juli 1884 die gewerbliche Unfallversicherung, mit dem Gesetze vom 5. Mai 1886 die landwirtschaftliche Unfall- und Krankenversicherung, mit dem Gesetze vom 11. Juli 1887 die Bau-Unfallversicherung, mit dem Gesetze vom 13. Juli 1887 die See-Unfallversicherung und mit dem Gesetze vom 22. Juni 1889 die Invaliden- und Altersversicherung.

Die Krankenversicherung wurde durch die Gesetze vom 10. April 1892, 30. Juni 1900 und 25. Mai 1903, die Unfallversicherung durch das Gesetz vom 30. Juni 1900 und die Invaliden- und Altersversicherung durch das Gesetz vom 13. Juli 1899 umgestaltet.

Mit der am 31. Mai 1911 vom Deutschen Reichstag verabschiedeten Reichsversicherungsordnung wurden die bis zu diesem Zeitpunkte in Geltung gestandenen Arbeiterversicherungsgesetze in ein Gesetz zusammengefaßt. Die Reichsversicherungsordnung trägt auch den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen der neuesten Zeit Rechnung; dies gilt insbesondere von der Neueinführung der Versicherung der Hinterbliebenen nach den gegen Invalidität versicherten Personen. Rücksichtlich der Eisenbahnbediensteten bestehen keine Sonderbestimmungen.

Österreich steht in Bezug auf den Umfang der Arbeiterversicherung dem Deutschen Reiche am nächsten, indem in Österreich die Kranken- und Unfallversicherung vollkommen ausgebaut und die Invaliden- und Altersversicherung, wenn auch vorläufig im beschränkten Umfang, zur Einführung gelangt ist. Es ergingen in Österreich nachstehend bezeichnete Gesetze, u. zw.:

Das Gesetz vom 30. März 1888, RGB. Nr. 33, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, das Gesetz vom 4. April 1889, RGB. Nr. 39, womit einige Änderungen des Ursprungsgesetzes getroffen werden. Das Gesetz vom 28. Dezember 1887, RGB. Nr. 1 ex 1888, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, das Gesetz vom 20. Juli 1894, RGB. Nr. 168, betreffend die Ausdehnung der Unfallversicherung, das Gesetz vom 12. Juli 1902, RGB. Nr. 1471, betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnen und das Gesetz vom 16. Dezember 1906, RGB. Nr. 1 ex 1907, betreffend die Pensionsversicherung der in privaten Diensten und einiger in öffentlichen Diensten Angestellten. Durch das letzterwähnte Gesetz vom 16. Dezember 1906 hat Österreich gegenüber dem Deutschen Reiche insoferne einen Vorsprung gewonnen, als das letztere Reich dieser Art der Zwangsversicherung noch entbehrt. Der weitere Ausbau der Invalidenversicherung in Österreich ist in Vorbereitung. Im Jahre 1908 hat die Regierung den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Sozialversicherung, im Abgeordnetenhause eingebracht.

Dieser Gesetzentwurf, der die Neuregelung der Kranken- und Unfallversicherung und die Neueinführung der allgemeinen Invalidenversicherung zum Gegenstand hat, bedeutet auch insoferne einen großen sozialpolitischen Fortschritt, als darin der Grundsatz der Zwangs-Kranken- und Invalidenversicherung der selbständig Erwerbstätigen, die ihrer Lebenshaltung nach aber dem Stande der unselbständig Erwerbstätigen, der Lohnarbeiter, ziemlich nahe stehen, wie Kleinhändler, Kleinhandwerker, Kleinbauern, zur Anerkennung gelangt, ein Problem, dessen Lösung bisher noch in keinem anderen Staate versucht wurde. Rücksichtlich der Eisenbahnbediensteten hat die österreichische Gesetzgebung für alle drei Versicherungszweige

1 Durch das Gesetz vom 12. Juli 1902, RGB. Nr. 147, wurden die Bestimmungen des Gesetzes vom 5. März 1869, RGB. Nr. 27, über die Haftung der Unternehmungen, die Eisenbahnen mit Anwendung von Dampfkraft betreiben, auf alle mit Anwendung einer elementaren Kraft betriebenen Eisenbahnen mit der Maßgabe ausgedehnt, daß die Bestimmungen dieser Gesetze auf die nach Art. VII des Gesetzes vom 20. Juli 1894, RGB. Nr. 168, versicherten Eisenbahnbediensteten und ihre Hinterbliebenen keine Anwendung finden.
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[217/0226] könnte. Überdies mußte mit dem Umstände gerechnet werden, daß die privaten Versicherungsgesellschaften trotz Staatsaufsicht in eine solche finanzielle Bedrängnis geraten können, daß sie außer stände wären, die von den Arbeitern durch vieljährige Prämienzahlungen erworbenen Versicherungsansprüche zu befriedigen. Eine weitere Gefahr für den Versicherungsanspruch der Arbeiter bildete die Möglichkeit des Eintrittes einer länger andauernden Zahlungsunfähigkeit des Arbeiters selbst, da die Aufrechterhaltung der Polizze von der termingemäßen Zahlung der Prämien abhängt. Wenn daher auch der Gedanke der Privatversicherung fallen gelassen werden mußte, so erschien doch das Versicherungsprinzip als solches geeignet, die Lösung des Problems herbeizuführen; nur mußte den zu schaffenden Versicherungseinrichtungen der Charakter öffentlicher Institutionen unter staatlichem Schutz und staatlicher Fürsorge gegeben und die Versicherung auf die Grundlage des Zwanges für das Ganze der Arbeiterschaft gestellt werden. Dieser Weg wurde tatsächlich im Deutschen Reiche, das am frühesten an die Lösung des Arbeiterfürsorgeproblems gegangen war, eingeschlagen. Dort ist auch der Umfang der Zwangsversicherung am größten; er umfaßt die Kranken-, die Unfall- und die Invalidenversicherung. Mit dem Gesetze vom 15. Juni 1883 wurde die Krankenversicherung eingeführt, mit dem Gesetze vom 6. Juli 1884 die gewerbliche Unfallversicherung, mit dem Gesetze vom 5. Mai 1886 die landwirtschaftliche Unfall- und Krankenversicherung, mit dem Gesetze vom 11. Juli 1887 die Bau-Unfallversicherung, mit dem Gesetze vom 13. Juli 1887 die See-Unfallversicherung und mit dem Gesetze vom 22. Juni 1889 die Invaliden- und Altersversicherung. Die Krankenversicherung wurde durch die Gesetze vom 10. April 1892, 30. Juni 1900 und 25. Mai 1903, die Unfallversicherung durch das Gesetz vom 30. Juni 1900 und die Invaliden- und Altersversicherung durch das Gesetz vom 13. Juli 1899 umgestaltet. Mit der am 31. Mai 1911 vom Deutschen Reichstag verabschiedeten Reichsversicherungsordnung wurden die bis zu diesem Zeitpunkte in Geltung gestandenen Arbeiterversicherungsgesetze in ein Gesetz zusammengefaßt. Die Reichsversicherungsordnung trägt auch den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen der neuesten Zeit Rechnung; dies gilt insbesondere von der Neueinführung der Versicherung der Hinterbliebenen nach den gegen Invalidität versicherten Personen. Rücksichtlich der Eisenbahnbediensteten bestehen keine Sonderbestimmungen. Österreich steht in Bezug auf den Umfang der Arbeiterversicherung dem Deutschen Reiche am nächsten, indem in Österreich die Kranken- und Unfallversicherung vollkommen ausgebaut und die Invaliden- und Altersversicherung, wenn auch vorläufig im beschränkten Umfang, zur Einführung gelangt ist. Es ergingen in Österreich nachstehend bezeichnete Gesetze, u. zw.: Das Gesetz vom 30. März 1888, RGB. Nr. 33, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, das Gesetz vom 4. April 1889, RGB. Nr. 39, womit einige Änderungen des Ursprungsgesetzes getroffen werden. Das Gesetz vom 28. Dezember 1887, RGB. Nr. 1 ex 1888, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, das Gesetz vom 20. Juli 1894, RGB. Nr. 168, betreffend die Ausdehnung der Unfallversicherung, das Gesetz vom 12. Juli 1902, RGB. Nr. 147 1, betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnen und das Gesetz vom 16. Dezember 1906, RGB. Nr. 1 ex 1907, betreffend die Pensionsversicherung der in privaten Diensten und einiger in öffentlichen Diensten Angestellten. Durch das letzterwähnte Gesetz vom 16. Dezember 1906 hat Österreich gegenüber dem Deutschen Reiche insoferne einen Vorsprung gewonnen, als das letztere Reich dieser Art der Zwangsversicherung noch entbehrt. Der weitere Ausbau der Invalidenversicherung in Österreich ist in Vorbereitung. Im Jahre 1908 hat die Regierung den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Sozialversicherung, im Abgeordnetenhause eingebracht. Dieser Gesetzentwurf, der die Neuregelung der Kranken- und Unfallversicherung und die Neueinführung der allgemeinen Invalidenversicherung zum Gegenstand hat, bedeutet auch insoferne einen großen sozialpolitischen Fortschritt, als darin der Grundsatz der Zwangs-Kranken- und Invalidenversicherung der selbständig Erwerbstätigen, die ihrer Lebenshaltung nach aber dem Stande der unselbständig Erwerbstätigen, der Lohnarbeiter, ziemlich nahe stehen, wie Kleinhändler, Kleinhandwerker, Kleinbauern, zur Anerkennung gelangt, ein Problem, dessen Lösung bisher noch in keinem anderen Staate versucht wurde. Rücksichtlich der Eisenbahnbediensteten hat die österreichische Gesetzgebung für alle drei Versicherungszweige 1 Durch das Gesetz vom 12. Juli 1902, RGB. Nr. 147, wurden die Bestimmungen des Gesetzes vom 5. März 1869, RGB. Nr. 27, über die Haftung der Unternehmungen, die Eisenbahnen mit Anwendung von Dampfkraft betreiben, auf alle mit Anwendung einer elementaren Kraft betriebenen Eisenbahnen mit der Maßgabe ausgedehnt, daß die Bestimmungen dieser Gesetze auf die nach Art. VII des Gesetzes vom 20. Juli 1894, RGB. Nr. 168, versicherten Eisenbahnbediensteten und ihre Hinterbliebenen keine Anwendung finden.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, Wien, 1912, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen01_1912/226>, abgerufen am 18.07.2024.