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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Gefahr, in der seine Kinder schweben, mitteilt; aus dem Stadt-
thor eilen Hektor und Polites 11) dem bedrohten Bruder zu Hilfe.
Es ist klar, dass hier Ereignisse dargestellt sind, welche unmög-
lich gleichzeitig stattgefunden haben können; in dem Augenblick,
wo Antenor dem Priamos die erste Kunde bringt, können Hektor
und Polites sich wohl rüsten, aber sie können noch nicht kampf-
bereit aus dem Thor dringen. Was wir hier mit einem Blick
als gleichzeitig übersehen, war in der Dichtung, welche dieser
Sage poetische Form gegeben hat, den Kyprien, eine Folge von
Ereignissen. Allein man würde irren, wenn man etwa glaubte,
der Maler habe hier drei zeitlich verschiedene Scenen darstellen
wollen. Die Erzählung in einer Folge von Scenen ist der archai-
schen Kunst durchaus fremd 12); in eine Scene presst sie alles
zusammen, aber es ist eben eine Scene ohne scharf präzisierten
Moment. Als Prolepsis, wie es meistens geschieht, lässt sich
diese Eigentümlichkeit nur uneigentlich und mit starker Ein-
schränkung bezeichnen, die Darstellung greift nicht bloss vor,
sondern auch zurück, und gerade die Verlegenheit, in der wir
uns befinden würden, wenn wir z. B. dieser Troilosdarstellung

11) Polites ist in der Ilias B 792 der Späher, der auf dem Grabhügel
des Aisyetes Wache hält, um das Nahen der Achaeer von den Schiffen her
zu beobachten.
eirato de phthoggen uii Priamoio Polite,
os Troon skopos ize, podokeiesi pepoithos,
tumbo ep akrotato Aisuetao gerontos,
degmenos oppote nauphin aphormetheien Akhaioi.
Hiezu stimmt vortrefflich, dass als zum ersten Mal ein Achäer -- Achilleus
-- sich der Stadtmauer nähert, Polites unter den ersten ist, die zu Hilfe
eilen; er hat Hektor die Kunde von Achilleus' Nahen gebracht. Von diesem
Späheramt des Polites weiss sonst die Ilias nichts. Es ist daher in hohem
Grade wahrscheinlich, dass dieser Zug, wie so manches andere in B, aus den
Kyprien eingesetzt ist; möglich sogar, dass Polites dort in der Troilosepisode
dieselbe Rolle spielte, wie auf der Francoisvase.
12) Im Gegensatz zur orientalischen Kunst, die diesen Chroniken-Stil liebt.
Neben den assyrischen Skulpturen liefert jetzt ein treffliches Beispiel die
phönikische, in Palestrina gefundene Silberschale, (M. d. I. X 31) auf welcher in
einer Reihenfolge von Scenen das Jagdabenteuer eines Königs dargestellt ist, wie
kürzlich Clermont-Ganeau (la coupe phenicienne de Palestrine) dargethan hat.
Philolog. Untersuchungen V. 2

Gefahr, in der seine Kinder schweben, mitteilt; aus dem Stadt-
thor eilen Hektor und Polites 11) dem bedrohten Bruder zu Hilfe.
Es ist klar, daſs hier Ereignisse dargestellt sind, welche unmög-
lich gleichzeitig stattgefunden haben können; in dem Augenblick,
wo Antenor dem Priamos die erste Kunde bringt, können Hektor
und Polites sich wohl rüsten, aber sie können noch nicht kampf-
bereit aus dem Thor dringen. Was wir hier mit einem Blick
als gleichzeitig übersehen, war in der Dichtung, welche dieser
Sage poetische Form gegeben hat, den Kyprien, eine Folge von
Ereignissen. Allein man würde irren, wenn man etwa glaubte,
der Maler habe hier drei zeitlich verschiedene Scenen darstellen
wollen. Die Erzählung in einer Folge von Scenen ist der archai-
schen Kunst durchaus fremd 12); in eine Scene preſst sie alles
zusammen, aber es ist eben eine Scene ohne scharf präzisierten
Moment. Als Prolepsis, wie es meistens geschieht, läſst sich
diese Eigentümlichkeit nur uneigentlich und mit starker Ein-
schränkung bezeichnen, die Darstellung greift nicht bloſs vor,
sondern auch zurück, und gerade die Verlegenheit, in der wir
uns befinden würden, wenn wir z. B. dieser Troilosdarstellung

11) Polites ist in der Ilias Β 792 der Späher, der auf dem Grabhügel
des Aisyetes Wache hält, um das Nahen der Achaeer von den Schiffen her
zu beobachten.
εἴρατο δὲ φϑογγὴν υἶι Πριάμοιο Πολίτῃ,
ὃς Τρώων σκοπὸς ἶζε, ποδωκείῃσι πεποιϑώς,
τύμβῳ ἐπ̕ ἀκροτάτῳ Αἰσυήταο γέροντος,
δέγμενος ὁππότε ναῦφιν ἀφορμηϑεῖεν Ἀχαιοί.
Hiezu stimmt vortrefflich, daſs als zum ersten Mal ein Achäer — Achilleus
— sich der Stadtmauer nähert, Polites unter den ersten ist, die zu Hilfe
eilen; er hat Hektor die Kunde von Achilleus’ Nahen gebracht. Von diesem
Späheramt des Polites weiſs sonst die Ilias nichts. Es ist daher in hohem
Grade wahrscheinlich, daſs dieser Zug, wie so manches andere in Β, aus den
Kyprien eingesetzt ist; möglich sogar, daſs Polites dort in der Troilosepisode
dieselbe Rolle spielte, wie auf der Françoisvase.
12) Im Gegensatz zur orientalischen Kunst, die diesen Chroniken-Stil liebt.
Neben den assyrischen Skulpturen liefert jetzt ein treffliches Beispiel die
phönikische, in Palestrina gefundene Silberschale, (M. d. I. X 31) auf welcher in
einer Reihenfolge von Scenen das Jagdabenteuer eines Königs dargestellt ist, wie
kürzlich Clermont-Ganeau (la coupe phénicienne de Palestrine) dargethan hat.
Philolog. Untersuchungen V. 2
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[17/0031] Gefahr, in der seine Kinder schweben, mitteilt; aus dem Stadt- thor eilen Hektor und Polites 11) dem bedrohten Bruder zu Hilfe. Es ist klar, daſs hier Ereignisse dargestellt sind, welche unmög- lich gleichzeitig stattgefunden haben können; in dem Augenblick, wo Antenor dem Priamos die erste Kunde bringt, können Hektor und Polites sich wohl rüsten, aber sie können noch nicht kampf- bereit aus dem Thor dringen. Was wir hier mit einem Blick als gleichzeitig übersehen, war in der Dichtung, welche dieser Sage poetische Form gegeben hat, den Kyprien, eine Folge von Ereignissen. Allein man würde irren, wenn man etwa glaubte, der Maler habe hier drei zeitlich verschiedene Scenen darstellen wollen. Die Erzählung in einer Folge von Scenen ist der archai- schen Kunst durchaus fremd 12); in eine Scene preſst sie alles zusammen, aber es ist eben eine Scene ohne scharf präzisierten Moment. Als Prolepsis, wie es meistens geschieht, läſst sich diese Eigentümlichkeit nur uneigentlich und mit starker Ein- schränkung bezeichnen, die Darstellung greift nicht bloſs vor, sondern auch zurück, und gerade die Verlegenheit, in der wir uns befinden würden, wenn wir z. B. dieser Troilosdarstellung 11) Polites ist in der Ilias Β 792 der Späher, der auf dem Grabhügel des Aisyetes Wache hält, um das Nahen der Achaeer von den Schiffen her zu beobachten. εἴρατο δὲ φϑογγὴν υἶι Πριάμοιο Πολίτῃ, ὃς Τρώων σκοπὸς ἶζε, ποδωκείῃσι πεποιϑώς, τύμβῳ ἐπ̕ ἀκροτάτῳ Αἰσυήταο γέροντος, δέγμενος ὁππότε ναῦφιν ἀφορμηϑεῖεν Ἀχαιοί. Hiezu stimmt vortrefflich, daſs als zum ersten Mal ein Achäer — Achilleus — sich der Stadtmauer nähert, Polites unter den ersten ist, die zu Hilfe eilen; er hat Hektor die Kunde von Achilleus’ Nahen gebracht. Von diesem Späheramt des Polites weiſs sonst die Ilias nichts. Es ist daher in hohem Grade wahrscheinlich, daſs dieser Zug, wie so manches andere in Β, aus den Kyprien eingesetzt ist; möglich sogar, daſs Polites dort in der Troilosepisode dieselbe Rolle spielte, wie auf der Françoisvase. 12) Im Gegensatz zur orientalischen Kunst, die diesen Chroniken-Stil liebt. Neben den assyrischen Skulpturen liefert jetzt ein treffliches Beispiel die phönikische, in Palestrina gefundene Silberschale, (M. d. I. X 31) auf welcher in einer Reihenfolge von Scenen das Jagdabenteuer eines Königs dargestellt ist, wie kürzlich Clermont-Ganeau (la coupe phénicienne de Palestrine) dargethan hat. Philolog. Untersuchungen V. 2

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/31>, abgerufen am 22.11.2024.