dition. Wohl dürfen wir hoffen, dass einst die Zeit kommen wird, in welcher die Forschung auch hier schärfer scheiden und die Entstehungszeit und den Entstehungsort der einzelnen Typen wird bestimmen können; es wird sich dann vielleicht konstatieren lassen, dass die verschiedenen griechischen Stämme, wie ihren eigen- artigen Dialekt und ihr eigenartiges Alphabet, ihre eigenen Sagen und ihre eigenen Lieder, so auch ihre eigenartigen bild- lichen Typen hatten. Heute ist diese Zeit noch nicht gekom- men 6). Ich muss mich daher damit begnügen, die karakteristi- schen Eigentümlichkeiten der aus jener Periode erhaltenen oder auf Schöpfungen jener Periode zurückgehenden Darstellungen im allgemeinen ohne Rücksicht auf die feineren Unterschiede der Stämme zu schildern. Die Vorstellung von dieser Kunstperiode beruht teils auf den ausführlichen Beschreibungen zweier unter- gegangener Kunstwerke, teils auf den in spärlicher Anzahl erhal- tenen Reliefs und den in überwältigender Anzahl erhaltenen bemalten Vasen schwarzfiguriger Technik und, der grossen Masse nach, korinthischer chalkidischer attischer Fabrik, welche die erwähnten Beschreibungen ergänzen, indem sie den überlieferten Typus pietät- voll reproducieren.
Aus allen diesen Produkten des archaischen Kunsthandwerks blickt uns die helle Freude am Darstellen und am Dargestellten gar treuherzig an; die helle Freude, dass das, was bisher nur im Liede von Mund zu Mund ging, leibhaftig im Bilde vor Augen steht; dass sie alle dastehen die wohlbekannten Gestalten des troianischen und thebanischen Krieges, die Männer in derselben Rüstung, die Frauen in derselben Tracht, wie sie die Beschauer selbst tragen, denn, wie jede echte Kunst und jede echte Poesie, "lebt und athmet" die Antike "in lauter Anachronismen". Der Grund- ton aber, den diese archaische Kunstperiode anschlägt, ist der- selbe, der das Epos beherrscht, der Ton der mit breiter Behag- lichkeit ausgeführten Erzählung. Das erzählt und plaudert, wie der alte Nestor bei Homer, und kann des Erzählens und Plau-
6) Das Eigentum des dorischen und des ionischen Stammes zu scheiden hat namentlich Georg Löschcke mit Glück versucht (Über die Reliefs der altspartan. Basis S. 10.)
dition. Wohl dürfen wir hoffen, daſs einst die Zeit kommen wird, in welcher die Forschung auch hier schärfer scheiden und die Entstehungszeit und den Entstehungsort der einzelnen Typen wird bestimmen können; es wird sich dann vielleicht konstatieren lassen, daſs die verschiedenen griechischen Stämme, wie ihren eigen- artigen Dialekt und ihr eigenartiges Alphabet, ihre eigenen Sagen und ihre eigenen Lieder, so auch ihre eigenartigen bild- lichen Typen hatten. Heute ist diese Zeit noch nicht gekom- men 6). Ich muſs mich daher damit begnügen, die karakteristi- schen Eigentümlichkeiten der aus jener Periode erhaltenen oder auf Schöpfungen jener Periode zurückgehenden Darstellungen im allgemeinen ohne Rücksicht auf die feineren Unterschiede der Stämme zu schildern. Die Vorstellung von dieser Kunstperiode beruht teils auf den ausführlichen Beschreibungen zweier unter- gegangener Kunstwerke, teils auf den in spärlicher Anzahl erhal- tenen Reliefs und den in überwältigender Anzahl erhaltenen bemalten Vasen schwarzfiguriger Technik und, der groſsen Masse nach, korinthischer chalkidischer attischer Fabrik, welche die erwähnten Beschreibungen ergänzen, indem sie den überlieferten Typus pietät- voll reproducieren.
Aus allen diesen Produkten des archaischen Kunsthandwerks blickt uns die helle Freude am Darstellen und am Dargestellten gar treuherzig an; die helle Freude, daſs das, was bisher nur im Liede von Mund zu Mund ging, leibhaftig im Bilde vor Augen steht; daſs sie alle dastehen die wohlbekannten Gestalten des troianischen und thebanischen Krieges, die Männer in derselben Rüstung, die Frauen in derselben Tracht, wie sie die Beschauer selbst tragen, denn, wie jede echte Kunst und jede echte Poesie, „lebt und athmet“ die Antike „in lauter Anachronismen“. Der Grund- ton aber, den diese archaische Kunstperiode anschlägt, ist der- selbe, der das Epos beherrscht, der Ton der mit breiter Behag- lichkeit ausgeführten Erzählung. Das erzählt und plaudert, wie der alte Nestor bei Homer, und kann des Erzählens und Plau-
6) Das Eigentum des dorischen und des ionischen Stammes zu scheiden hat namentlich Georg Löschcke mit Glück versucht (Über die Reliefs der altspartan. Basis S. 10.)
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dition. Wohl dürfen wir hoffen, daſs einst die Zeit kommen wird,
in welcher die Forschung auch hier schärfer scheiden und die
Entstehungszeit und den Entstehungsort der einzelnen Typen wird
bestimmen können; es wird sich dann vielleicht konstatieren lassen,
daſs die verschiedenen griechischen Stämme, wie ihren eigen-
artigen Dialekt und ihr eigenartiges Alphabet, ihre eigenen
Sagen und ihre eigenen Lieder, so auch ihre eigenartigen bild-
lichen Typen hatten. Heute ist diese Zeit noch nicht gekom-
men 6). Ich muſs mich daher damit begnügen, die karakteristi-
schen Eigentümlichkeiten der aus jener Periode erhaltenen oder
auf Schöpfungen jener Periode zurückgehenden Darstellungen im
allgemeinen ohne Rücksicht auf die feineren Unterschiede der
Stämme zu schildern. Die Vorstellung von dieser Kunstperiode
beruht teils auf den ausführlichen Beschreibungen zweier unter-
gegangener Kunstwerke, teils auf den in spärlicher Anzahl erhal-
tenen Reliefs und den in überwältigender Anzahl erhaltenen bemalten
Vasen schwarzfiguriger Technik und, der groſsen Masse nach,
korinthischer chalkidischer attischer Fabrik, welche die erwähnten
Beschreibungen ergänzen, indem sie den überlieferten Typus pietät-
voll reproducieren.
Aus allen diesen Produkten des archaischen Kunsthandwerks
blickt uns die helle Freude am Darstellen und am Dargestellten
gar treuherzig an; die helle Freude, daſs das, was bisher nur
im Liede von Mund zu Mund ging, leibhaftig im Bilde vor Augen
steht; daſs sie alle dastehen die wohlbekannten Gestalten des
troianischen und thebanischen Krieges, die Männer in derselben
Rüstung, die Frauen in derselben Tracht, wie sie die Beschauer
selbst tragen, denn, wie jede echte Kunst und jede echte Poesie, „lebt
und athmet“ die Antike „in lauter Anachronismen“. Der Grund-
ton aber, den diese archaische Kunstperiode anschlägt, ist der-
selbe, der das Epos beherrscht, der Ton der mit breiter Behag-
lichkeit ausgeführten Erzählung. Das erzählt und plaudert, wie
der alte Nestor bei Homer, und kann des Erzählens und Plau-
6) Das Eigentum des dorischen und des ionischen Stammes zu scheiden
hat namentlich Georg Löschcke mit Glück versucht (Über die Reliefs der
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/27>, abgerufen am 16.02.2025.
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