ihm eines Tages drei göttliche Frauen u. s. w. Dass diese Version als die einfachere auch die ältere ist, bedarf keines ausführlichen Beweises, und wir dürfen somit die Existenz der Sage in dieser oder einer sehr ähnlichen Form für das Epos, speziell für die Kyprien voraussetzen. Und wenn Euripides sich dieser Version in einem Chorlied anschliesst, so dürfen wir unbedenklich daraus den Schluss ziehen, dass auch den Zuhörern diese Version ent- weder allein bekannt oder doch vorzugsweise geläufig war, und das noch zur Zeit des peloponnesischen Krieges. Hierdurch wird es aber immer wahrscheinlicher, dass die uns geläufige Version von der Aussetzung des Paris erst durch das Drama ge- schaffen und dann populär geworden ist und dass es eben eines der oben genannten Stücke, entweder der sophokleische oder euripideische Alexandros, war, in welchem die neue Version zuerst poetisch bearbeitet worden ist. Wäre die Andromache in Athen selbst aufgeführt worden, so würde ich mich zu der Folgerung berechtigt glauben, dass der Alexandros des Sophokles später gegeben sei, als die Andromache, wie wir dies ja von dem euripideischen Alexandros mit Bestimmtheit wissen. Da aber die Andromache nicht zuerst in Athen, sondern aller Wahr- scheinlichkeit nach in Argos aufgeführt ist, und Euripides nicht voraussetzen konnte, dass eine vom attischen Drama geschaffene Version bereits bis nach Argos gedrungen und dort populär geworden sei, so verlieren wir diesen Anhalt für die Datierung des sophokleischen Alexandros. Welchem der beiden Dichter die Priorität gehört, lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden, da uns bekanntlich beide Stücke verloren sind und die Aufführungs- zeit nur für das euripideische Stück feststeht. Ein Umstand jedoch, der mir zu Gunsten des Sophokles zu sprechen scheint, soll nicht verschwiegen werden. Die Ähnlichkeit der -- wir dürfen jetzt wohl unbedenklich sagen -- dramatischen Version von dem Schicksal des jungen Paris mit der herodoteischen Er- zählung von der Jugend des Kyros ist oft bemerkt und hervor- gehoben worden. Wenn nun, wie ich zu zeigen gesucht habe, diese Version erst im fünften Jahrhundert entstanden ist, so wird es wahrscheinlich, dass die Übereinstimmung im Schicksale beider
ihm eines Tages drei göttliche Frauen u. s. w. Daſs diese Version als die einfachere auch die ältere ist, bedarf keines ausführlichen Beweises, und wir dürfen somit die Existenz der Sage in dieser oder einer sehr ähnlichen Form für das Epos, speziell für die Kyprien voraussetzen. Und wenn Euripides sich dieser Version in einem Chorlied anschlieſst, so dürfen wir unbedenklich daraus den Schluſs ziehen, daſs auch den Zuhörern diese Version ent- weder allein bekannt oder doch vorzugsweise geläufig war, und das noch zur Zeit des peloponnesischen Krieges. Hierdurch wird es aber immer wahrscheinlicher, daſs die uns geläufige Version von der Aussetzung des Paris erst durch das Drama ge- schaffen und dann populär geworden ist und daſs es eben eines der oben genannten Stücke, entweder der sophokleische oder euripideische Alexandros, war, in welchem die neue Version zuerst poetisch bearbeitet worden ist. Wäre die Andromache in Athen selbst aufgeführt worden, so würde ich mich zu der Folgerung berechtigt glauben, daſs der Alexandros des Sophokles später gegeben sei, als die Andromache, wie wir dies ja von dem euripideischen Alexandros mit Bestimmtheit wissen. Da aber die Andromache nicht zuerst in Athen, sondern aller Wahr- scheinlichkeit nach in Argos aufgeführt ist, und Euripides nicht voraussetzen konnte, daſs eine vom attischen Drama geschaffene Version bereits bis nach Argos gedrungen und dort populär geworden sei, so verlieren wir diesen Anhalt für die Datierung des sophokleischen Alexandros. Welchem der beiden Dichter die Priorität gehört, läſst sich mit Sicherheit nicht entscheiden, da uns bekanntlich beide Stücke verloren sind und die Aufführungs- zeit nur für das euripideische Stück feststeht. Ein Umstand jedoch, der mir zu Gunsten des Sophokles zu sprechen scheint, soll nicht verschwiegen werden. Die Ähnlichkeit der — wir dürfen jetzt wohl unbedenklich sagen — dramatischen Version von dem Schicksal des jungen Paris mit der herodoteischen Er- zählung von der Jugend des Kyros ist oft bemerkt und hervor- gehoben worden. Wenn nun, wie ich zu zeigen gesucht habe, diese Version erst im fünften Jahrhundert entstanden ist, so wird es wahrscheinlich, daſs die Übereinstimmung im Schicksale beider
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0251"n="237"/>
ihm eines Tages drei göttliche Frauen u. s. w. Daſs diese Version<lb/>
als die einfachere auch die ältere ist, bedarf keines ausführlichen<lb/>
Beweises, und wir dürfen somit die Existenz der Sage in dieser<lb/>
oder einer sehr ähnlichen Form für das Epos, speziell für die<lb/>
Kyprien voraussetzen. Und wenn Euripides sich dieser Version<lb/>
in einem Chorlied anschlieſst, so dürfen wir unbedenklich daraus<lb/>
den Schluſs ziehen, daſs auch den Zuhörern diese Version ent-<lb/>
weder allein bekannt oder doch vorzugsweise geläufig war, und<lb/>
das noch zur Zeit des peloponnesischen Krieges. Hierdurch<lb/>
wird es aber immer wahrscheinlicher, daſs die uns geläufige<lb/>
Version von der Aussetzung des Paris erst durch das Drama ge-<lb/>
schaffen und dann populär geworden ist und daſs es eben eines<lb/>
der oben genannten Stücke, entweder der sophokleische oder<lb/>
euripideische Alexandros, war, in welchem die neue Version<lb/>
zuerst poetisch bearbeitet worden ist. Wäre die Andromache in<lb/>
Athen selbst aufgeführt worden, so würde ich mich zu der<lb/>
Folgerung berechtigt glauben, daſs der Alexandros des Sophokles<lb/>
später gegeben sei, als die Andromache, wie wir dies ja von<lb/>
dem euripideischen Alexandros mit Bestimmtheit wissen. Da<lb/>
aber die Andromache nicht zuerst in Athen, sondern aller Wahr-<lb/>
scheinlichkeit nach in Argos aufgeführt ist, und Euripides nicht<lb/>
voraussetzen konnte, daſs eine vom attischen Drama geschaffene<lb/>
Version bereits bis nach Argos gedrungen und dort populär<lb/>
geworden sei, so verlieren wir diesen Anhalt für die Datierung<lb/>
des sophokleischen Alexandros. Welchem der beiden Dichter die<lb/>
Priorität gehört, läſst sich mit Sicherheit nicht entscheiden, da<lb/>
uns bekanntlich beide Stücke verloren sind und die Aufführungs-<lb/>
zeit nur für das euripideische Stück feststeht. Ein Umstand<lb/>
jedoch, der mir zu Gunsten des Sophokles zu sprechen scheint,<lb/>
soll nicht verschwiegen werden. Die Ähnlichkeit der — wir<lb/>
dürfen jetzt wohl unbedenklich sagen — dramatischen Version<lb/>
von dem Schicksal des jungen Paris mit der herodoteischen Er-<lb/>
zählung von der Jugend des Kyros ist oft bemerkt und hervor-<lb/>
gehoben worden. Wenn nun, wie ich zu zeigen gesucht habe,<lb/>
diese Version erst im fünften Jahrhundert entstanden ist, so wird<lb/>
es wahrscheinlich, daſs die Übereinstimmung im Schicksale beider<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[237/0251]
ihm eines Tages drei göttliche Frauen u. s. w. Daſs diese Version
als die einfachere auch die ältere ist, bedarf keines ausführlichen
Beweises, und wir dürfen somit die Existenz der Sage in dieser
oder einer sehr ähnlichen Form für das Epos, speziell für die
Kyprien voraussetzen. Und wenn Euripides sich dieser Version
in einem Chorlied anschlieſst, so dürfen wir unbedenklich daraus
den Schluſs ziehen, daſs auch den Zuhörern diese Version ent-
weder allein bekannt oder doch vorzugsweise geläufig war, und
das noch zur Zeit des peloponnesischen Krieges. Hierdurch
wird es aber immer wahrscheinlicher, daſs die uns geläufige
Version von der Aussetzung des Paris erst durch das Drama ge-
schaffen und dann populär geworden ist und daſs es eben eines
der oben genannten Stücke, entweder der sophokleische oder
euripideische Alexandros, war, in welchem die neue Version
zuerst poetisch bearbeitet worden ist. Wäre die Andromache in
Athen selbst aufgeführt worden, so würde ich mich zu der
Folgerung berechtigt glauben, daſs der Alexandros des Sophokles
später gegeben sei, als die Andromache, wie wir dies ja von
dem euripideischen Alexandros mit Bestimmtheit wissen. Da
aber die Andromache nicht zuerst in Athen, sondern aller Wahr-
scheinlichkeit nach in Argos aufgeführt ist, und Euripides nicht
voraussetzen konnte, daſs eine vom attischen Drama geschaffene
Version bereits bis nach Argos gedrungen und dort populär
geworden sei, so verlieren wir diesen Anhalt für die Datierung
des sophokleischen Alexandros. Welchem der beiden Dichter die
Priorität gehört, läſst sich mit Sicherheit nicht entscheiden, da
uns bekanntlich beide Stücke verloren sind und die Aufführungs-
zeit nur für das euripideische Stück feststeht. Ein Umstand
jedoch, der mir zu Gunsten des Sophokles zu sprechen scheint,
soll nicht verschwiegen werden. Die Ähnlichkeit der — wir
dürfen jetzt wohl unbedenklich sagen — dramatischen Version
von dem Schicksal des jungen Paris mit der herodoteischen Er-
zählung von der Jugend des Kyros ist oft bemerkt und hervor-
gehoben worden. Wenn nun, wie ich zu zeigen gesucht habe,
diese Version erst im fünften Jahrhundert entstanden ist, so wird
es wahrscheinlich, daſs die Übereinstimmung im Schicksale beider
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/251>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.