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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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mentlich am Hofe von Pergamon scheint man sich für den
Dichter Lesches begeistert zu haben; unter Eumenes dem Ersten
finden wir dort den Dichter Leschides, und so wird es wohl
auch ein pergamenischer Altertumsforscher gewesen sein, aus
welchem Pausanias seine Angaben über das Verhältnis der
Polygnotischen Iliupersis zu Lesches geschöpft hat.

Allein nicht überall scheint man so gläubig gewesen zu sein;
auch nach Phanias' Zeit begegnet uns die besonnene Citierweise
o grapsas ten persida und o ten mikran Iliada suntetakhos, und
der gelehrte Forscher, auf welchen das oben citierte Euripides-
scholion zurückgeht, hält die Hypothese von Lesches' Autorschaft
nicht einmal der Erwähnung für wert. Wir können diesen Mann
mit Wahrscheinlichkeit noch heute nachweisen. Es ist kein
anderer, als Lysimachos, der bekannte Verfasser der Nostoi,
dessen mythographische Schriften in den Scholien zur Andro-
mache, zu den Troerinnen und zum Rhesos vielfach benutzt sind;
und es lässt sich sogar, worauf mich Wilamowitz hingewiesen
hat, unschwer der Nachweis führen, dass, abgesehen von den
Angaben des Pausanias, die übrigen Fragmente und Notizen aus
der kleinen Ilias, denen wir in der antiken Litteratur begegnen,
alle oder fast alle dem Lysimachos entnommen sind.

In dem Scholion zur Hekabe 910 steht ein Auszug aus des
Lysimachos' Auseinandersetzung über das Jahr und den Tag von
Troias Fall; in derselben wird ohne Nennung des Autors der Vers

nux men een messe, lampre d epetelle selene

citiert. Denselben Vers mit Nennung des Lesches citiert Tzetzes
zu Lykophron 344; in den alten Scholien fehlt das Citat. Ich
muss es, bevor Scheer's Ausgabe der Lykophronscholien vorliegt,
unentschieden lassen, ob Tzetzes das Euripidesscholion vollstän-
diger las oder ob er das Citat aus einem vollständigeren Exem-
plar der Lykophronscholien entnahm. Letztere Möglichkeit ist
nicht ausgeschlossen, da auch die alten Lykophronscholien zu
V. 780 die kleine Ilias citieren und Lysimachische Bestandteile in

kleinen Ilias macht, fiel schon dem Aristoteles auf; da ist es denn kein
Wunder, wenn man dem Lesches einen "kleinen Aischylos" zum Vater gab.

mentlich am Hofe von Pergamon scheint man sich für den
Dichter Lesches begeistert zu haben; unter Eumenes dem Ersten
finden wir dort den Dichter Leschides, und so wird es wohl
auch ein pergamenischer Altertumsforscher gewesen sein, aus
welchem Pausanias seine Angaben über das Verhältnis der
Polygnotischen Iliupersis zu Lesches geschöpft hat.

Allein nicht überall scheint man so gläubig gewesen zu sein;
auch nach Phanias’ Zeit begegnet uns die besonnene Citierweise
ὁ γράψας τὴν περσίδα und ὁ τὴν μικρὰν Ἰλιάδα συντεταχώς, und
der gelehrte Forscher, auf welchen das oben citierte Euripides-
scholion zurückgeht, hält die Hypothese von Lesches’ Autorschaft
nicht einmal der Erwähnung für wert. Wir können diesen Mann
mit Wahrscheinlichkeit noch heute nachweisen. Es ist kein
anderer, als Lysimachos, der bekannte Verfasser der Νόστοι,
dessen mythographische Schriften in den Scholien zur Andro-
mache, zu den Troerinnen und zum Rhesos vielfach benutzt sind;
und es läſst sich sogar, worauf mich Wilamowitz hingewiesen
hat, unschwer der Nachweis führen, daſs, abgesehen von den
Angaben des Pausanias, die übrigen Fragmente und Notizen aus
der kleinen Ilias, denen wir in der antiken Litteratur begegnen,
alle oder fast alle dem Lysimachos entnommen sind.

In dem Scholion zur Hekabe 910 steht ein Auszug aus des
Lysimachos’ Auseinandersetzung über das Jahr und den Tag von
Troias Fall; in derselben wird ohne Nennung des Autors der Vers

νὺξ μὲν ἔην μέσση, λαμπρὴ δ̕ ἐπέτελλε σελήνη

citiert. Denselben Vers mit Nennung des Lesches citiert Tzetzes
zu Lykophron 344; in den alten Scholien fehlt das Citat. Ich
muſs es, bevor Scheer’s Ausgabe der Lykophronscholien vorliegt,
unentschieden lassen, ob Tzetzes das Euripidesscholion vollstän-
diger las oder ob er das Citat aus einem vollständigeren Exem-
plar der Lykophronscholien entnahm. Letztere Möglichkeit ist
nicht ausgeschlossen, da auch die alten Lykophronscholien zu
V. 780 die kleine Ilias citieren und Lysimachische Bestandteile in

kleinen Ilias macht, fiel schon dem Aristoteles auf; da ist es denn kein
Wunder, wenn man dem Lesches einen „kleinen Aischylos“ zum Vater gab.
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[228/0242] mentlich am Hofe von Pergamon scheint man sich für den Dichter Lesches begeistert zu haben; unter Eumenes dem Ersten finden wir dort den Dichter Leschides, und so wird es wohl auch ein pergamenischer Altertumsforscher gewesen sein, aus welchem Pausanias seine Angaben über das Verhältnis der Polygnotischen Iliupersis zu Lesches geschöpft hat. Allein nicht überall scheint man so gläubig gewesen zu sein; auch nach Phanias’ Zeit begegnet uns die besonnene Citierweise ὁ γράψας τὴν περσίδα und ὁ τὴν μικρὰν Ἰλιάδα συντεταχώς, und der gelehrte Forscher, auf welchen das oben citierte Euripides- scholion zurückgeht, hält die Hypothese von Lesches’ Autorschaft nicht einmal der Erwähnung für wert. Wir können diesen Mann mit Wahrscheinlichkeit noch heute nachweisen. Es ist kein anderer, als Lysimachos, der bekannte Verfasser der Νόστοι, dessen mythographische Schriften in den Scholien zur Andro- mache, zu den Troerinnen und zum Rhesos vielfach benutzt sind; und es läſst sich sogar, worauf mich Wilamowitz hingewiesen hat, unschwer der Nachweis führen, daſs, abgesehen von den Angaben des Pausanias, die übrigen Fragmente und Notizen aus der kleinen Ilias, denen wir in der antiken Litteratur begegnen, alle oder fast alle dem Lysimachos entnommen sind. In dem Scholion zur Hekabe 910 steht ein Auszug aus des Lysimachos’ Auseinandersetzung über das Jahr und den Tag von Troias Fall; in derselben wird ohne Nennung des Autors der Vers νὺξ μὲν ἔην μέσση, λαμπρὴ δ̕ ἐπέτελλε σελήνη citiert. Denselben Vers mit Nennung des Lesches citiert Tzetzes zu Lykophron 344; in den alten Scholien fehlt das Citat. Ich muſs es, bevor Scheer’s Ausgabe der Lykophronscholien vorliegt, unentschieden lassen, ob Tzetzes das Euripidesscholion vollstän- diger las oder ob er das Citat aus einem vollständigeren Exem- plar der Lykophronscholien entnahm. Letztere Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, da auch die alten Lykophronscholien zu V. 780 die kleine Ilias citieren und Lysimachische Bestandteile in 3) 3) kleinen Ilias macht, fiel schon dem Aristoteles auf; da ist es denn kein Wunder, wenn man dem Lesches einen „kleinen Aischylos“ zum Vater gab.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/242>, abgerufen am 23.11.2024.