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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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würde gewiss Niemand erraten; und so hat auch Petron die
Sachlage aufgefasst, wenn er 89 V. 18 an Stelle der Vergilschen
Worte sagt:

namque Neptuno sacer
crinem solutus omne Laocoon replet
clamore vulgus.

Ich meine es ist augenscheinlich, dass nur Jemand, der schon
von anderswoher wusste, dass Laokoon eigentlich Apollopriester
war, die Worte sorte ductus anders fassen konnte; dass aber Vergil,
wenn er die Sache so hätte darstellen wollen, wie es Euphorion
wirklich oder vermeintlich that, sich deutlicher und unzweideutiger
ausgedrückt haben würde, ist nicht minder klar. Ich meine, hiermit
ist uns der Schlüssel zur richtigen Auffassung des Serviusscholions
gegeben. Die Kommentatoren nahmen Anstoss daran, dass bei
Vergil Laokoon Priester des Poseidon ist, während er in den
mythologischen Handbüchern, die von Arktinos oder Bakchylides
oder Sophokles abhingen, Priester des Apollon genannt wurde.
Die einfachste Lösung für dies Problem, dass Vergil hier frei
geändert habe, wird man bei einem Kommentator der Kaiserzeit
von vornherein nicht erwarten dürfen; die Lösungen mussten
durch Citate oder wenigstens durch Anlehnung an mythologische
Handbücher begründet werden. Zwei solche luseis hat uns
Servius in der oben ausgeschriebenen Stelle erhalten. Die
erste beginnt mit ut Euphorion und schliesst mit deest sacerdos
certus;
da nun Niemand glauben wird, dass im Euphorion sich
die luseis zu aporiai fertig vorfanden, so ist klar, dass das
Euphorioncitat nur für den ersten Satz gilt. Euphorion hatte
erzählt, dass die Troer ihren Poseidonpriester nach der Ankunft
der Griechen gesteinigt hätten, weil er nicht seinen Gott durch
Opfer bewogen hatte, die Ankunft der Achaier zu verhindern.
Hieraus zieht der Grammatiker den Schluss: also war kein be-
stimmter Priester da, und der Apollopriester Laokoon wurde zur
Aushilfe bestellt. In diesem dem Grammatiker gehörigen Teil
(postea-certus) findet sich sowohl das wörtliche Vergilcitat, wie
die kecke Behauptung: ut solet fieri, cum deest sacerdos certus.


würde gewiſs Niemand erraten; und so hat auch Petron die
Sachlage aufgefaſst, wenn er 89 V. 18 an Stelle der Vergilschen
Worte sagt:

namque Neptuno sacer
crinem solutus omne Laocoon replet
clamore vulgus.

Ich meine es ist augenscheinlich, daſs nur Jemand, der schon
von anderswoher wuſste, daſs Laokoon eigentlich Apollopriester
war, die Worte sorte ductus anders faſsen konnte; daſs aber Vergil,
wenn er die Sache so hätte darstellen wollen, wie es Euphorion
wirklich oder vermeintlich that, sich deutlicher und unzweideutiger
ausgedrückt haben würde, ist nicht minder klar. Ich meine, hiermit
ist uns der Schlüssel zur richtigen Auffassung des Serviusscholions
gegeben. Die Kommentatoren nahmen Anstoſs daran, daſs bei
Vergil Laokoon Priester des Poseidon ist, während er in den
mythologischen Handbüchern, die von Arktinos oder Bakchylides
oder Sophokles abhingen, Priester des Apollon genannt wurde.
Die einfachste Lösung für dies Problem, daſs Vergil hier frei
geändert habe, wird man bei einem Kommentator der Kaiserzeit
von vornherein nicht erwarten dürfen; die Lösungen muſsten
durch Citate oder wenigstens durch Anlehnung an mythologische
Handbücher begründet werden. Zwei solche λύσεις hat uns
Servius in der oben ausgeschriebenen Stelle erhalten. Die
erste beginnt mit ut Euphorion und schlieſst mit deest sacerdos
certus;
da nun Niemand glauben wird, daſs im Euphorion sich
die λύσεις zu ἀπορίαι fertig vorfanden, so ist klar, daſs das
Euphorioncitat nur für den ersten Satz gilt. Euphorion hatte
erzählt, daſs die Troer ihren Poseidonpriester nach der Ankunft
der Griechen gesteinigt hätten, weil er nicht seinen Gott durch
Opfer bewogen hatte, die Ankunft der Achaier zu verhindern.
Hieraus zieht der Grammatiker den Schluſs: also war kein be-
stimmter Priester da, und der Apollopriester Laokoon wurde zur
Aushilfe bestellt. In diesem dem Grammatiker gehörigen Teil
(postea-certus) findet sich sowohl das wörtliche Vergilcitat, wie
die kecke Behauptung: ut solet fieri, cum deest sacerdos certus.


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[207/0221] würde gewiſs Niemand erraten; und so hat auch Petron die Sachlage aufgefaſst, wenn er 89 V. 18 an Stelle der Vergilschen Worte sagt: namque Neptuno sacer crinem solutus omne Laocoon replet clamore vulgus. Ich meine es ist augenscheinlich, daſs nur Jemand, der schon von anderswoher wuſste, daſs Laokoon eigentlich Apollopriester war, die Worte sorte ductus anders faſsen konnte; daſs aber Vergil, wenn er die Sache so hätte darstellen wollen, wie es Euphorion wirklich oder vermeintlich that, sich deutlicher und unzweideutiger ausgedrückt haben würde, ist nicht minder klar. Ich meine, hiermit ist uns der Schlüssel zur richtigen Auffassung des Serviusscholions gegeben. Die Kommentatoren nahmen Anstoſs daran, daſs bei Vergil Laokoon Priester des Poseidon ist, während er in den mythologischen Handbüchern, die von Arktinos oder Bakchylides oder Sophokles abhingen, Priester des Apollon genannt wurde. Die einfachste Lösung für dies Problem, daſs Vergil hier frei geändert habe, wird man bei einem Kommentator der Kaiserzeit von vornherein nicht erwarten dürfen; die Lösungen muſsten durch Citate oder wenigstens durch Anlehnung an mythologische Handbücher begründet werden. Zwei solche λύσεις hat uns Servius in der oben ausgeschriebenen Stelle erhalten. Die erste beginnt mit ut Euphorion und schlieſst mit deest sacerdos certus; da nun Niemand glauben wird, daſs im Euphorion sich die λύσεις zu ἀπορίαι fertig vorfanden, so ist klar, daſs das Euphorioncitat nur für den ersten Satz gilt. Euphorion hatte erzählt, daſs die Troer ihren Poseidonpriester nach der Ankunft der Griechen gesteinigt hätten, weil er nicht seinen Gott durch Opfer bewogen hatte, die Ankunft der Achaier zu verhindern. Hieraus zieht der Grammatiker den Schluſs: also war kein be- stimmter Priester da, und der Apollopriester Laokoon wurde zur Aushilfe bestellt. In diesem dem Grammatiker gehörigen Teil (postea-certus) findet sich sowohl das wörtliche Vergilcitat, wie die kecke Behauptung: ut solet fieri, cum deest sacerdos certus.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/221>, abgerufen am 22.11.2024.