beizutragen. Vielmehr sendet Athena, die dass Ross ersonnen hat, der es geweiht ist und die sich also durch Laokoons Lan- zenstoss beleidigt fühlt, die Schlangen. Dass dies die Meinung Vergils ist, zeigen V. 225--227, wo die Schlangen sich unter dem Schild des Athenabildes bergen zur Genüge, und Quintus Smyrnaeus XII 448 hat dies vollkommen richtig erkannt, wenn er auch hier, wie stets, seine Schilderung zum Ungeheuerlichen steigert.
Auch der Zeitpunkt der Katastrophe muss etwas verschoben werden. Nicht als das hölzerne Pferd bereits in die Stadt hin- eingeführt worden ist, wie im Epos und doch wohl auch bei Sophokles, sondern schon vorher müssen die Schlangen erscheinen, da ja eben durch Laokoons Tod die Entscheidung der Troer hinsichtlich des Pferdes wesentlich mitbestimmt werden soll. Auch der Ort der Katastrophe wird dadurch ein anderer, sie spielt nicht in der Stadt, sondern vor den Mauern in Gegenwart der das hölzerne Pferd umdrängenden Troianer, also an der Stätte, wo das Griechenlager stand, am Gestade des Meeres. Und zu dieser Verlegung konnte sich Vergil um so leichter entschliessen, als sich mit ihr das sophokleische Motiv, dass die Schlangen von Tenedos her über das Meer kommen, leichter in Einklang bringen liess, wobei freilich an Stelle des später in Schlangen verwandel- ten Menschenpares von vornherein ein Schlangenpaar gesetzt wird. Nun erfolgte, wie wir sahen, die Katastrophe bei Sophokles im Tempel des thymbräischen Apollo und zwar wahrscheinlich bei einem Opfer. Wollte Vergil auf letzteres äusserst wirksame Motiv nicht verzichten, so musste er, da ein Opfer am Meerestrand doch schwerlich dem thymbräischen Apollo gelten konnte, zu noch weiteren Änderungen sich entschliessen; das Opfer am Strande wird dem Poseidon dargebracht, und Laokoon wird aus einem Apollopriester zu einem Priester des Poseidon.
In der ganzen Tendenz der Vergil'schen Sagenbehandlung liegt es, dass wieder, wie einst bei Arktinos, Laokoon selbst seinen Frevel gegen Athena durch den eigenen Tod büssen muss; aber sein Tod würde auch an sich genügen, und es ist wohl kein Zweifel, dass Vergil, wenn er die Episode frei erfunden hätte,
beizutragen. Vielmehr sendet Athena, die daſs Roſs ersonnen hat, der es geweiht ist und die sich also durch Laokoons Lan- zenstoſs beleidigt fühlt, die Schlangen. Daſs dies die Meinung Vergils ist, zeigen V. 225—227, wo die Schlangen sich unter dem Schild des Athenabildes bergen zur Genüge, und Quintus Smyrnaeus XII 448 hat dies vollkommen richtig erkannt, wenn er auch hier, wie stets, seine Schilderung zum Ungeheuerlichen steigert.
Auch der Zeitpunkt der Katastrophe muſs etwas verschoben werden. Nicht als das hölzerne Pferd bereits in die Stadt hin- eingeführt worden ist, wie im Epos und doch wohl auch bei Sophokles, sondern schon vorher müssen die Schlangen erscheinen, da ja eben durch Laokoons Tod die Entscheidung der Troer hinsichtlich des Pferdes wesentlich mitbestimmt werden soll. Auch der Ort der Katastrophe wird dadurch ein anderer, sie spielt nicht in der Stadt, sondern vor den Mauern in Gegenwart der das hölzerne Pferd umdrängenden Troianer, also an der Stätte, wo das Griechenlager stand, am Gestade des Meeres. Und zu dieser Verlegung konnte sich Vergil um so leichter entschlieſsen, als sich mit ihr das sophokleische Motiv, daſs die Schlangen von Tenedos her über das Meer kommen, leichter in Einklang bringen lieſs, wobei freilich an Stelle des später in Schlangen verwandel- ten Menschenpares von vornherein ein Schlangenpaar gesetzt wird. Nun erfolgte, wie wir sahen, die Katastrophe bei Sophokles im Tempel des thymbräischen Apollo und zwar wahrscheinlich bei einem Opfer. Wollte Vergil auf letzteres äuſserst wirksame Motiv nicht verzichten, so muſste er, da ein Opfer am Meerestrand doch schwerlich dem thymbräischen Apollo gelten konnte, zu noch weiteren Änderungen sich entschlieſsen; das Opfer am Strande wird dem Poseidon dargebracht, und Laokoon wird aus einem Apollopriester zu einem Priester des Poseidon.
In der ganzen Tendenz der Vergil’schen Sagenbehandlung liegt es, daſs wieder, wie einst bei Arktinos, Laokoon selbst seinen Frevel gegen Athena durch den eigenen Tod büſsen muſs; aber sein Tod würde auch an sich genügen, und es ist wohl kein Zweifel, daſs Vergil, wenn er die Episode frei erfunden hätte,
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beizutragen. Vielmehr sendet Athena, die daſs Roſs ersonnen
hat, der es geweiht ist und die sich also durch Laokoons Lan-
zenstoſs beleidigt fühlt, die Schlangen. Daſs dies die Meinung
Vergils ist, zeigen V. 225—227, wo die Schlangen sich unter
dem Schild des Athenabildes bergen zur Genüge, und Quintus
Smyrnaeus XII 448 hat dies vollkommen richtig erkannt, wenn
er auch hier, wie stets, seine Schilderung zum Ungeheuerlichen
steigert.
Auch der Zeitpunkt der Katastrophe muſs etwas verschoben
werden. Nicht als das hölzerne Pferd bereits in die Stadt hin-
eingeführt worden ist, wie im Epos und doch wohl auch bei
Sophokles, sondern schon vorher müssen die Schlangen erscheinen,
da ja eben durch Laokoons Tod die Entscheidung der Troer
hinsichtlich des Pferdes wesentlich mitbestimmt werden soll. Auch
der Ort der Katastrophe wird dadurch ein anderer, sie spielt
nicht in der Stadt, sondern vor den Mauern in Gegenwart der
das hölzerne Pferd umdrängenden Troianer, also an der Stätte,
wo das Griechenlager stand, am Gestade des Meeres. Und zu
dieser Verlegung konnte sich Vergil um so leichter entschlieſsen,
als sich mit ihr das sophokleische Motiv, daſs die Schlangen von
Tenedos her über das Meer kommen, leichter in Einklang bringen
lieſs, wobei freilich an Stelle des später in Schlangen verwandel-
ten Menschenpares von vornherein ein Schlangenpaar gesetzt wird.
Nun erfolgte, wie wir sahen, die Katastrophe bei Sophokles im
Tempel des thymbräischen Apollo und zwar wahrscheinlich bei
einem Opfer. Wollte Vergil auf letzteres äuſserst wirksame Motiv
nicht verzichten, so muſste er, da ein Opfer am Meerestrand doch
schwerlich dem thymbräischen Apollo gelten konnte, zu noch
weiteren Änderungen sich entschlieſsen; das Opfer am Strande
wird dem Poseidon dargebracht, und Laokoon wird aus einem
Apollopriester zu einem Priester des Poseidon.
In der ganzen Tendenz der Vergil’schen Sagenbehandlung
liegt es, daſs wieder, wie einst bei Arktinos, Laokoon selbst
seinen Frevel gegen Athena durch den eigenen Tod büſsen muſs;
aber sein Tod würde auch an sich genügen, und es ist wohl kein
Zweifel, daſs Vergil, wenn er die Episode frei erfunden hätte,
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/218>, abgerufen am 16.02.2025.
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