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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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vor dem Vorwurf der Entlehnung ängstlich zurückzubeben, frei von
der nervösen Sucht nach einer um jeden Preis erkauften Origi-
nalität übernimmt der antike Künstler den überkommenen Typus
der Darstellung und sucht ihn nur zu immer grösserer Voll-
kommenheit auszubilden, bald leise ändernd, bald gewaltsamer
und rücksichtsloser eingreifend; aber stets bleibt er sich des
Zusammenhangs mit der Tradition bewusst; er weiss, dass der
Bann des eingebürgerten Typus der Darstellung auf ihm lastet,
er ist zu bescheiden und zu ernst, um das Gute, was ihm die
früheren Kunstschöpfungen bieten, aus Eitelkeit und Eigensinn zu
verschmähen, zu stolz und zu ehrlich, seine Abhängigkeit zu
maskieren. Die bildliche Tradition, wie sie die Entwickelung der
griechischen Götterideale bedingt und beherrscht, ist auch für
die Gestaltung und Entwickelung der einzelnen Momente der
griechischen Heldensage in hervorragender Weise massgebend 3).

Längst werden Ihnen, hochverehrte Anwesende, die analogen
Erscheinungen in der Kunstentwickelung anderer Völker, nament-
lich in der älteren italienischen Malerei, in den Sinn gekommen

3) Vgl. Kekule, Über die Entstehung der Götterideale der griechischen
Kunst. Ders. Über ein griechisches Vasengemälde im akademischen Kunst-
museum zu Bonn, S. 26. Löschcke, Arch. Zeit. 1876 S. 115. Ders. Über die
Reliefs der altspartanischen Basis (Dorpat. Progr. 1879). Es mag vergönnt
sein, auf die sehr verwandte, wenn auch ein scheinbar ganz verschiedenes
Gebiet, das der Sprache, betreffende Betrachtung Herders im II. Band
S. 18 (der Ausgabe von Suphan) hinzuweisen. "Jede Nation spricht also,
nach dem sie denkt, und denkt, nach dem sie spricht. So verschieden der
Gesichtspunkt war, in dem sie die Sache nahm, bezeichnete sie dieselbe.
Und da dies niemals der Anblick des Schöpfers war, der diese Sache in
ihrem Innern nicht bloss werden sah, auch werden hiess, sondern ein äusserer
einseitiger Gesichtspunkt, so ward derselbe zugleich mit in die Sprache ein-
getragen. Eben damit konnte also das Auge aller Nachfolger an diesen
Gesichtspunkt gleichsam gewöhnt, gebunden, in ihn eingeschränkt oder ihm
mindestens genähert werden. So wurden Wahrheiten und Irrtümer auf-
bewahrt und fortgepflanzt, wie vorteilhafte oder nachteilige Vorurteile;
zum Vorteil oder Nachteil hingen sich Nebenideen an, die oft stärker
wirken als der Hauptbegriff, zum Vorteil oder Nachteil wurden zufällige
Ideen mit wesentlichen verwechselt: Fächer gefüllet oder leer gelassen,
Felder bearbeitet oder in Wüsteneien verwandelt." Dies gilt mit geringer
Modifikation auch von den bildlichen Typen und ihrer Entwickelung.

vor dem Vorwurf der Entlehnung ängstlich zurückzubeben, frei von
der nervösen Sucht nach einer um jeden Preis erkauften Origi-
nalität übernimmt der antike Künstler den überkommenen Typus
der Darstellung und sucht ihn nur zu immer gröſserer Voll-
kommenheit auszubilden, bald leise ändernd, bald gewaltsamer
und rücksichtsloser eingreifend; aber stets bleibt er sich des
Zusammenhangs mit der Tradition bewuſst; er weiſs, daſs der
Bann des eingebürgerten Typus der Darstellung auf ihm lastet,
er ist zu bescheiden und zu ernst, um das Gute, was ihm die
früheren Kunstschöpfungen bieten, aus Eitelkeit und Eigensinn zu
verschmähen, zu stolz und zu ehrlich, seine Abhängigkeit zu
maskieren. Die bildliche Tradition, wie sie die Entwickelung der
griechischen Götterideale bedingt und beherrscht, ist auch für
die Gestaltung und Entwickelung der einzelnen Momente der
griechischen Heldensage in hervorragender Weise maſsgebend 3).

Längst werden Ihnen, hochverehrte Anwesende, die analogen
Erscheinungen in der Kunstentwickelung anderer Völker, nament-
lich in der älteren italienischen Malerei, in den Sinn gekommen

3) Vgl. Kekulé, Über die Entstehung der Götterideale der griechischen
Kunst. Ders. Über ein griechisches Vasengemälde im akademischen Kunst-
museum zu Bonn, S. 26. Löschcke, Arch. Zeit. 1876 S. 115. Ders. Über die
Reliefs der altspartanischen Basis (Dorpat. Progr. 1879). Es mag vergönnt
sein, auf die sehr verwandte, wenn auch ein scheinbar ganz verschiedenes
Gebiet, das der Sprache, betreffende Betrachtung Herders im II. Band
S. 18 (der Ausgabe von Suphan) hinzuweisen. „Jede Nation spricht also,
nach dem sie denkt, und denkt, nach dem sie spricht. So verschieden der
Gesichtspunkt war, in dem sie die Sache nahm, bezeichnete sie dieselbe.
Und da dies niemals der Anblick des Schöpfers war, der diese Sache in
ihrem Innern nicht bloſs werden sah, auch werden hieſs, sondern ein äuſserer
einseitiger Gesichtspunkt, so ward derselbe zugleich mit in die Sprache ein-
getragen. Eben damit konnte also das Auge aller Nachfolger an diesen
Gesichtspunkt gleichsam gewöhnt, gebunden, in ihn eingeschränkt oder ihm
mindestens genähert werden. So wurden Wahrheiten und Irrtümer auf-
bewahrt und fortgepflanzt, wie vorteilhafte oder nachteilige Vorurteile;
zum Vorteil oder Nachteil hingen sich Nebenideen an, die oft stärker
wirken als der Hauptbegriff, zum Vorteil oder Nachteil wurden zufällige
Ideen mit wesentlichen verwechselt: Fächer gefüllet oder leer gelassen,
Felder bearbeitet oder in Wüsteneien verwandelt.“ Dies gilt mit geringer
Modifikation auch von den bildlichen Typen und ihrer Entwickelung.
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[6/0020] vor dem Vorwurf der Entlehnung ängstlich zurückzubeben, frei von der nervösen Sucht nach einer um jeden Preis erkauften Origi- nalität übernimmt der antike Künstler den überkommenen Typus der Darstellung und sucht ihn nur zu immer gröſserer Voll- kommenheit auszubilden, bald leise ändernd, bald gewaltsamer und rücksichtsloser eingreifend; aber stets bleibt er sich des Zusammenhangs mit der Tradition bewuſst; er weiſs, daſs der Bann des eingebürgerten Typus der Darstellung auf ihm lastet, er ist zu bescheiden und zu ernst, um das Gute, was ihm die früheren Kunstschöpfungen bieten, aus Eitelkeit und Eigensinn zu verschmähen, zu stolz und zu ehrlich, seine Abhängigkeit zu maskieren. Die bildliche Tradition, wie sie die Entwickelung der griechischen Götterideale bedingt und beherrscht, ist auch für die Gestaltung und Entwickelung der einzelnen Momente der griechischen Heldensage in hervorragender Weise maſsgebend 3). Längst werden Ihnen, hochverehrte Anwesende, die analogen Erscheinungen in der Kunstentwickelung anderer Völker, nament- lich in der älteren italienischen Malerei, in den Sinn gekommen 3) Vgl. Kekulé, Über die Entstehung der Götterideale der griechischen Kunst. Ders. Über ein griechisches Vasengemälde im akademischen Kunst- museum zu Bonn, S. 26. Löschcke, Arch. Zeit. 1876 S. 115. Ders. Über die Reliefs der altspartanischen Basis (Dorpat. Progr. 1879). Es mag vergönnt sein, auf die sehr verwandte, wenn auch ein scheinbar ganz verschiedenes Gebiet, das der Sprache, betreffende Betrachtung Herders im II. Band S. 18 (der Ausgabe von Suphan) hinzuweisen. „Jede Nation spricht also, nach dem sie denkt, und denkt, nach dem sie spricht. So verschieden der Gesichtspunkt war, in dem sie die Sache nahm, bezeichnete sie dieselbe. Und da dies niemals der Anblick des Schöpfers war, der diese Sache in ihrem Innern nicht bloſs werden sah, auch werden hieſs, sondern ein äuſserer einseitiger Gesichtspunkt, so ward derselbe zugleich mit in die Sprache ein- getragen. Eben damit konnte also das Auge aller Nachfolger an diesen Gesichtspunkt gleichsam gewöhnt, gebunden, in ihn eingeschränkt oder ihm mindestens genähert werden. So wurden Wahrheiten und Irrtümer auf- bewahrt und fortgepflanzt, wie vorteilhafte oder nachteilige Vorurteile; zum Vorteil oder Nachteil hingen sich Nebenideen an, die oft stärker wirken als der Hauptbegriff, zum Vorteil oder Nachteil wurden zufällige Ideen mit wesentlichen verwechselt: Fächer gefüllet oder leer gelassen, Felder bearbeitet oder in Wüsteneien verwandelt.“ Dies gilt mit geringer Modifikation auch von den bildlichen Typen und ihrer Entwickelung.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/20>, abgerufen am 21.11.2024.