Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.So haben wir wieder einen Punkt, der von Aischylos abweicht, Am Grabe ihres Vaters sitzt Elektra auf dem Relief wie bei Relief bis zu der späten Basilikata-Vase reicht, wage ich bei dem Fehlen aller Mittelglieder nicht zu entscheiden. Undenkbar aber wäre letzteres nicht, obgleich natürlich die dem Vasenmaler vorschwebende Situation die aischyleische aus den Choephoren ist. Noch auf römischen Sarkophagen, welche die Ermordung des Aigisthos darstellen, erscheint der Typus der strengen attischen Vasen beibehalten -- vor allem Aigisthos auf dem Thron. Und doch ist die zu Grunde liegende Version auch hier entschieden die aischy- leische; einer der vielen Fälle, wo die neue Sagengestaltung mit dem über- lieferten auf ganz anderer Grundlage beruhenden künstlerischen Typus ein Kompromiss schliesst. 17) Auch das etwas jüngere, von Conze an derselben Stelle veröffentlichte Thonrelief gehört zweifellos hierher, wie Conze sofort erkannt hat. Ich hätte (Arch. Zeit. 1875 S. 136 Anm. 7) noch rückhaltloser meine Zustimmung aussprechen sollen. Orestes hat das Schwert gezogen, um es hier am Grabe des Vaters zum Racheakt zu weihen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch dieser Zug schon in der älteren poetischen Tradition, aus der Talthybios stammt, vorkam. Den zweiten Jüngling aber wage ich wegen seiner Jugend- lichkeit hier nicht anders zu benennen als Pylades. Zweifelnd äussert sich Kekule B. d. I. 1868 S. 56. 18) Die neueste Deutung von Milchhöfer (Mitth. der athen. Instituts V
S. 181 Anm. 3) auf Elektra und die Dioskuren kann ich so wenig für richtig halten, wie seine Behauptung, dass das Relief archaistisch und dass die Scene nach dem Typus, der auf den attischen Grab-Lekythen vorkommt, gebildet sei. Wenn ein Zusammenhang zwischen letzteren und dem Relief wirklich vorhanden ist, so würde ich mich keinen Augenblick scheuen, daraus die Konsequenz zu ziehen, dass der ursprünglich für Orestes und Elektra ge- schaffene Typus auf Scenen des täglichen Lebens übertragen sei. Ich habe eben von dem Einfluss dichterischer Erfindungen auf die Volksvorstellung eine andere Anschauung, als der Verfasser jenes Artikels. So haben wir wieder einen Punkt, der von Aischylos abweicht, Am Grabe ihres Vaters sitzt Elektra auf dem Relief wie bei Relief bis zu der späten Basilikata-Vase reicht, wage ich bei dem Fehlen aller Mittelglieder nicht zu entscheiden. Undenkbar aber wäre letzteres nicht, obgleich natürlich die dem Vasenmaler vorschwebende Situation die aischyleische aus den Choephoren ist. Noch auf römischen Sarkophagen, welche die Ermordung des Aigisthos darstellen, erscheint der Typus der strengen attischen Vasen beibehalten — vor allem Aigisthos auf dem Thron. Und doch ist die zu Grunde liegende Version auch hier entschieden die aischy- leische; einer der vielen Fälle, wo die neue Sagengestaltung mit dem über- lieferten auf ganz anderer Grundlage beruhenden künstlerischen Typus ein Kompromiſs schlieſst. 17) Auch das etwas jüngere, von Conze an derselben Stelle veröffentlichte Thonrelief gehört zweifellos hierher, wie Conze sofort erkannt hat. Ich hätte (Arch. Zeit. 1875 S. 136 Anm. 7) noch rückhaltloser meine Zustimmung aussprechen sollen. Orestes hat das Schwert gezogen, um es hier am Grabe des Vaters zum Racheakt zu weihen. Es ist sehr wahrscheinlich, daſs auch dieser Zug schon in der älteren poetischen Tradition, aus der Talthybios stammt, vorkam. Den zweiten Jüngling aber wage ich wegen seiner Jugend- lichkeit hier nicht anders zu benennen als Pylades. Zweifelnd äuſsert sich Kekulé B. d. I. 1868 S. 56. 18) Die neueste Deutung von Milchhöfer (Mitth. der athen. Instituts V
S. 181 Anm. 3) auf Elektra und die Dioskuren kann ich so wenig für richtig halten, wie seine Behauptung, daſs das Relief archaistisch und daſs die Scene nach dem Typus, der auf den attischen Grab-Lekythen vorkommt, gebildet sei. Wenn ein Zusammenhang zwischen letzteren und dem Relief wirklich vorhanden ist, so würde ich mich keinen Augenblick scheuen, daraus die Konsequenz zu ziehen, daſs der ursprünglich für Orestes und Elektra ge- schaffene Typus auf Scenen des täglichen Lebens übertragen sei. Ich habe eben von dem Einfluſs dichterischer Erfindungen auf die Volksvorstellung eine andere Anschauung, als der Verfasser jenes Artikels. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0183" n="169"/> So haben wir wieder einen Punkt, der von Aischylos abweicht,<lb/> aber auf dieselbe ältere poetische Version zurückweist, zu der uns<lb/> schon so viele Spuren leiten<note place="foot" n="17)">Auch das etwas jüngere, von Conze an derselben Stelle veröffentlichte<lb/> Thonrelief gehört zweifellos hierher, wie Conze sofort erkannt hat. Ich<lb/> hätte (Arch. Zeit. 1875 S. 136 Anm. 7) noch rückhaltloser meine Zustimmung<lb/> aussprechen sollen. Orestes hat das Schwert gezogen, um es hier am Grabe<lb/> des Vaters zum Racheakt zu weihen. Es ist sehr wahrscheinlich, daſs auch<lb/> dieser Zug schon in der älteren poetischen Tradition, aus der Talthybios<lb/> stammt, vorkam. Den zweiten Jüngling aber wage ich wegen seiner Jugend-<lb/> lichkeit hier nicht anders zu benennen als Pylades. Zweifelnd äuſsert sich<lb/> Kekulé B. d. I. 1868 S. 56.</note>. In der Hauptsache liegt dem<lb/> Thonarbeiter dieselbe Sagentradition vor wie dem Aischylos, nur<lb/> hat letzterer die Rolle des Talthybios ausgemerzt; das Thon-<lb/> relief gehört also auch hierdurch ganz mit den attischen Vasen<lb/> zusammen; auf der einen Seite steht die konservative Kunst-<lb/> tradition, auf der andern die neuschaffenden Dichter<note place="foot" n="18)">Die neueste Deutung von Milchhöfer (Mitth. der athen. Instituts V<lb/> S. 181 Anm. 3) auf Elektra und die Dioskuren kann ich so wenig für richtig<lb/> halten, wie seine Behauptung, daſs das Relief archaistisch und daſs die<lb/> Scene nach dem Typus, der auf den attischen Grab-Lekythen vorkommt, gebildet<lb/> sei. Wenn ein Zusammenhang zwischen letzteren und dem Relief wirklich<lb/> vorhanden ist, so würde ich mich keinen Augenblick scheuen, daraus die<lb/> Konsequenz zu ziehen, daſs der ursprünglich für Orestes und Elektra ge-<lb/> schaffene Typus auf Scenen des täglichen Lebens übertragen sei. Ich habe<lb/> eben von dem Einfluſs dichterischer Erfindungen auf die Volksvorstellung eine<lb/> andere Anschauung, als der Verfasser jenes Artikels.</note>.</p><lb/> <p>Am Grabe ihres Vaters sitzt Elektra auf dem Relief wie bei<lb/> Aischylos; eine Spende will oder soll sie bringen hier wie im Drama,<lb/> das zeigt der neben ihr stehende Krug. Bei Aischylos hat ihr<lb/><note xml:id="seg2pn_15_2" prev="#seg2pn_15_1" place="foot" n="16)">Relief bis zu der späten Basilikata-Vase reicht, wage ich bei dem Fehlen<lb/> aller Mittelglieder nicht zu entscheiden. Undenkbar aber wäre letzteres<lb/> nicht, obgleich natürlich die dem Vasenmaler vorschwebende Situation die<lb/> aischyleische aus den Choephoren ist. Noch auf römischen Sarkophagen, welche<lb/> die Ermordung des Aigisthos darstellen, erscheint der Typus der strengen<lb/> attischen Vasen beibehalten — vor allem Aigisthos auf dem Thron. Und<lb/> doch ist die zu Grunde liegende Version auch hier entschieden die aischy-<lb/> leische; einer der vielen Fälle, wo die neue Sagengestaltung mit dem über-<lb/> lieferten auf ganz anderer Grundlage beruhenden künstlerischen Typus ein<lb/> Kompromiſs schlieſst.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0183]
So haben wir wieder einen Punkt, der von Aischylos abweicht,
aber auf dieselbe ältere poetische Version zurückweist, zu der uns
schon so viele Spuren leiten 17). In der Hauptsache liegt dem
Thonarbeiter dieselbe Sagentradition vor wie dem Aischylos, nur
hat letzterer die Rolle des Talthybios ausgemerzt; das Thon-
relief gehört also auch hierdurch ganz mit den attischen Vasen
zusammen; auf der einen Seite steht die konservative Kunst-
tradition, auf der andern die neuschaffenden Dichter 18).
Am Grabe ihres Vaters sitzt Elektra auf dem Relief wie bei
Aischylos; eine Spende will oder soll sie bringen hier wie im Drama,
das zeigt der neben ihr stehende Krug. Bei Aischylos hat ihr
16)
17) Auch das etwas jüngere, von Conze an derselben Stelle veröffentlichte
Thonrelief gehört zweifellos hierher, wie Conze sofort erkannt hat. Ich
hätte (Arch. Zeit. 1875 S. 136 Anm. 7) noch rückhaltloser meine Zustimmung
aussprechen sollen. Orestes hat das Schwert gezogen, um es hier am Grabe
des Vaters zum Racheakt zu weihen. Es ist sehr wahrscheinlich, daſs auch
dieser Zug schon in der älteren poetischen Tradition, aus der Talthybios
stammt, vorkam. Den zweiten Jüngling aber wage ich wegen seiner Jugend-
lichkeit hier nicht anders zu benennen als Pylades. Zweifelnd äuſsert sich
Kekulé B. d. I. 1868 S. 56.
18) Die neueste Deutung von Milchhöfer (Mitth. der athen. Instituts V
S. 181 Anm. 3) auf Elektra und die Dioskuren kann ich so wenig für richtig
halten, wie seine Behauptung, daſs das Relief archaistisch und daſs die
Scene nach dem Typus, der auf den attischen Grab-Lekythen vorkommt, gebildet
sei. Wenn ein Zusammenhang zwischen letzteren und dem Relief wirklich
vorhanden ist, so würde ich mich keinen Augenblick scheuen, daraus die
Konsequenz zu ziehen, daſs der ursprünglich für Orestes und Elektra ge-
schaffene Typus auf Scenen des täglichen Lebens übertragen sei. Ich habe
eben von dem Einfluſs dichterischer Erfindungen auf die Volksvorstellung eine
andere Anschauung, als der Verfasser jenes Artikels.
16) Relief bis zu der späten Basilikata-Vase reicht, wage ich bei dem Fehlen
aller Mittelglieder nicht zu entscheiden. Undenkbar aber wäre letzteres
nicht, obgleich natürlich die dem Vasenmaler vorschwebende Situation die
aischyleische aus den Choephoren ist. Noch auf römischen Sarkophagen, welche
die Ermordung des Aigisthos darstellen, erscheint der Typus der strengen
attischen Vasen beibehalten — vor allem Aigisthos auf dem Thron. Und
doch ist die zu Grunde liegende Version auch hier entschieden die aischy-
leische; einer der vielen Fälle, wo die neue Sagengestaltung mit dem über-
lieferten auf ganz anderer Grundlage beruhenden künstlerischen Typus ein
Kompromiſs schlieſst.
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