Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

auch Achill auf die Insel der Unsterblichen geleitet werden
wird. Dies Alles liest man, wie gesagt, vermittelst der höheren
Methode aus der Darstellung der Rückseite heraus, wenn dort
Memnons Leiche gemeint ist.

Und wenn, wie ich behaupte, Sarpedons Leiche dargestellt
ist? Dann geschieht das Wunderbare, dass man die Brunnschen
Sätze fast wörtlich auch auf Sarpedon anwenden kann, mit dem
einzigen Unterschiede, dass der Grundgedanke dann freilich nicht
mehr die von Brunn aus verborgenen litterarischen Quellen ans
Licht gezogene, sondern die oben angeführte, der Ilias wenigstens
nicht widersprechende und dem Drama geläufige Auffassung ist,
dass Achilleus seine Hartnäckigkeit nicht durch den eigenen Tod,
sondern durch den Verlust des liebsten Freundes büsst. Im
übrigen aber passt Brunns Ausführung vortrefflich auf Sarpedon:
man höre nur: "Der Künstler hätte um den tragischen Knoten
zu lösen, den Tod des Patroklos selbst darstellen können; er
hat es aber vorgezogen, so zu sagen, die Phantasie des Be-
schauers zu befruchten, indem er demselben die letzte Helden-
that des Patroklos, den Sieg über Sarpedon, den Sohn des
höchsten Gottes selbst, ins Gedächtnis rief, die verhängnisvolle
Heldenthat, die zur unmittelbaren Folge den eigenen Tod des
Patroklos hatte. Aber auch nicht diesen Sieg selbst hat uns
der Künstler vor Augen stellen wollen. Als Sarpedon dem un-
erbittlichen Geschick zum Opfer gefallen ist (N 441), tritt er
gewissermassen in die ihm durch seine Abstammung von Zeus
angeborenen Rechte ein, indem er heroische Ehren geniesst.
Durch die Erinnerung an Patroklos tritt aber auch das Bild
des Peliden vor die befruchtete Phantasie, wir erinnern uns, dass
das, was dem Sarpedon gebührt, auch dem grössern Freund seines
Besiegers, obgleich er nicht von so vornehmer Geburt ist, zu
teil werden wird. Und so stellt sich uns, indem wir Sarpedon in
den Armen von Schlaf und Tod sehen, auch das Bild des Peliden
vor die Phantasie, der, nachdem er sein Schicksal erfüllt hat,
zum Aufenthalt der Seligen, auf die Insel Leuke, gebracht wird".

Nichts liegt mir natürlich ferner, als diese Betrachtung im
Ernste zur Stütze meiner Deutung auf Sarpedon verwerten zu

auch Achill auf die Insel der Unsterblichen geleitet werden
wird. Dies Alles liest man, wie gesagt, vermittelst der höheren
Methode aus der Darstellung der Rückseite heraus, wenn dort
Memnons Leiche gemeint ist.

Und wenn, wie ich behaupte, Sarpedons Leiche dargestellt
ist? Dann geschieht das Wunderbare, daſs man die Brunnschen
Sätze fast wörtlich auch auf Sarpedon anwenden kann, mit dem
einzigen Unterschiede, daſs der Grundgedanke dann freilich nicht
mehr die von Brunn aus verborgenen litterarischen Quellen ans
Licht gezogene, sondern die oben angeführte, der Ilias wenigstens
nicht widersprechende und dem Drama geläufige Auffassung ist,
daſs Achilleus seine Hartnäckigkeit nicht durch den eigenen Tod,
sondern durch den Verlust des liebsten Freundes büſst. Im
übrigen aber paſst Brunns Ausführung vortrefflich auf Sarpedon:
man höre nur: „Der Künstler hätte um den tragischen Knoten
zu lösen, den Tod des Patroklos selbst darstellen können; er
hat es aber vorgezogen, so zu sagen, die Phantasie des Be-
schauers zu befruchten, indem er demselben die letzte Helden-
that des Patroklos, den Sieg über Sarpedon, den Sohn des
höchsten Gottes selbst, ins Gedächtnis rief, die verhängnisvolle
Heldenthat, die zur unmittelbaren Folge den eigenen Tod des
Patroklos hatte. Aber auch nicht diesen Sieg selbst hat uns
der Künstler vor Augen stellen wollen. Als Sarpedon dem un-
erbittlichen Geschick zum Opfer gefallen ist (Ν 441), tritt er
gewissermaſsen in die ihm durch seine Abstammung von Zeus
angeborenen Rechte ein, indem er heroische Ehren genieſst.
Durch die Erinnerung an Patroklos tritt aber auch das Bild
des Peliden vor die befruchtete Phantasie, wir erinnern uns, daſs
das, was dem Sarpedon gebührt, auch dem gröſsern Freund seines
Besiegers, obgleich er nicht von so vornehmer Geburt ist, zu
teil werden wird. Und so stellt sich uns, indem wir Sarpedon in
den Armen von Schlaf und Tod sehen, auch das Bild des Peliden
vor die Phantasie, der, nachdem er sein Schicksal erfüllt hat,
zum Aufenthalt der Seligen, auf die Insel Leuke, gebracht wird“.

Nichts liegt mir natürlich ferner, als diese Betrachtung im
Ernste zur Stütze meiner Deutung auf Sarpedon verwerten zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="108"/>
auch Achill auf die Insel der Unsterblichen geleitet werden<lb/>
wird. Dies Alles liest man, wie gesagt, vermittelst der höheren<lb/>
Methode aus der Darstellung der Rückseite heraus, wenn dort<lb/>
Memnons Leiche gemeint ist.</p><lb/>
          <p>Und wenn, wie ich behaupte, Sarpedons Leiche dargestellt<lb/>
ist? Dann geschieht das Wunderbare, da&#x017F;s man die Brunnschen<lb/>
Sätze fast wörtlich auch auf Sarpedon anwenden kann, mit dem<lb/>
einzigen Unterschiede, da&#x017F;s der Grundgedanke dann freilich nicht<lb/>
mehr die von Brunn aus verborgenen litterarischen Quellen ans<lb/>
Licht gezogene, sondern die oben angeführte, der Ilias wenigstens<lb/>
nicht widersprechende und dem Drama geläufige Auffassung ist,<lb/>
da&#x017F;s Achilleus seine Hartnäckigkeit nicht durch den eigenen Tod,<lb/>
sondern durch den Verlust des liebsten Freundes bü&#x017F;st. Im<lb/>
übrigen aber pa&#x017F;st Brunns Ausführung vortrefflich auf Sarpedon:<lb/>
man höre nur: &#x201E;Der Künstler hätte um den tragischen Knoten<lb/>
zu lösen, den Tod des Patroklos selbst darstellen können; er<lb/>
hat es aber vorgezogen, so zu sagen, die Phantasie des Be-<lb/>
schauers zu befruchten, indem er demselben die letzte Helden-<lb/>
that des Patroklos, den Sieg über Sarpedon, den Sohn des<lb/>
höchsten Gottes selbst, ins Gedächtnis rief, die verhängnisvolle<lb/>
Heldenthat, die zur unmittelbaren Folge den eigenen Tod des<lb/>
Patroklos hatte. Aber auch nicht diesen Sieg selbst hat uns<lb/>
der Künstler vor Augen stellen wollen. Als Sarpedon dem un-<lb/>
erbittlichen Geschick zum Opfer gefallen ist (&#x039D; 441), tritt er<lb/>
gewisserma&#x017F;sen in die ihm durch seine Abstammung von Zeus<lb/>
angeborenen Rechte ein, indem er heroische Ehren genie&#x017F;st.<lb/>
Durch die Erinnerung an Patroklos tritt aber auch das Bild<lb/>
des Peliden vor die befruchtete Phantasie, wir erinnern uns, da&#x017F;s<lb/>
das, was dem Sarpedon gebührt, auch dem grö&#x017F;sern Freund seines<lb/>
Besiegers, obgleich er nicht von so vornehmer Geburt ist, zu<lb/>
teil werden wird. Und so stellt sich uns, indem wir Sarpedon in<lb/>
den Armen von Schlaf und Tod sehen, auch das Bild des Peliden<lb/>
vor die Phantasie, der, nachdem er sein Schicksal erfüllt hat,<lb/>
zum Aufenthalt der Seligen, auf die Insel Leuke, gebracht wird&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Nichts liegt mir natürlich ferner, als diese Betrachtung im<lb/>
Ernste zur Stütze meiner Deutung auf Sarpedon verwerten zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0122] auch Achill auf die Insel der Unsterblichen geleitet werden wird. Dies Alles liest man, wie gesagt, vermittelst der höheren Methode aus der Darstellung der Rückseite heraus, wenn dort Memnons Leiche gemeint ist. Und wenn, wie ich behaupte, Sarpedons Leiche dargestellt ist? Dann geschieht das Wunderbare, daſs man die Brunnschen Sätze fast wörtlich auch auf Sarpedon anwenden kann, mit dem einzigen Unterschiede, daſs der Grundgedanke dann freilich nicht mehr die von Brunn aus verborgenen litterarischen Quellen ans Licht gezogene, sondern die oben angeführte, der Ilias wenigstens nicht widersprechende und dem Drama geläufige Auffassung ist, daſs Achilleus seine Hartnäckigkeit nicht durch den eigenen Tod, sondern durch den Verlust des liebsten Freundes büſst. Im übrigen aber paſst Brunns Ausführung vortrefflich auf Sarpedon: man höre nur: „Der Künstler hätte um den tragischen Knoten zu lösen, den Tod des Patroklos selbst darstellen können; er hat es aber vorgezogen, so zu sagen, die Phantasie des Be- schauers zu befruchten, indem er demselben die letzte Helden- that des Patroklos, den Sieg über Sarpedon, den Sohn des höchsten Gottes selbst, ins Gedächtnis rief, die verhängnisvolle Heldenthat, die zur unmittelbaren Folge den eigenen Tod des Patroklos hatte. Aber auch nicht diesen Sieg selbst hat uns der Künstler vor Augen stellen wollen. Als Sarpedon dem un- erbittlichen Geschick zum Opfer gefallen ist (Ν 441), tritt er gewissermaſsen in die ihm durch seine Abstammung von Zeus angeborenen Rechte ein, indem er heroische Ehren genieſst. Durch die Erinnerung an Patroklos tritt aber auch das Bild des Peliden vor die befruchtete Phantasie, wir erinnern uns, daſs das, was dem Sarpedon gebührt, auch dem gröſsern Freund seines Besiegers, obgleich er nicht von so vornehmer Geburt ist, zu teil werden wird. Und so stellt sich uns, indem wir Sarpedon in den Armen von Schlaf und Tod sehen, auch das Bild des Peliden vor die Phantasie, der, nachdem er sein Schicksal erfüllt hat, zum Aufenthalt der Seligen, auf die Insel Leuke, gebracht wird“. Nichts liegt mir natürlich ferner, als diese Betrachtung im Ernste zur Stütze meiner Deutung auf Sarpedon verwerten zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/122
Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/122>, abgerufen am 27.11.2024.