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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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zweite Behauptung, dass nur Achills Tod die Götter versöhnen
könne, das heisst also doch, dass sein Tod die Strafe für die menis
sei. Hätte also Achilleus auf das Bitten der Gesandten nach-
gegeben, so wäre er leben geblieben? Dies ist wenigstens neu.
Bisher glaubte man, aus den verschiedenen Stellen der Ilias, die
vom Tod des Achilleus sprechen, wenigstens das eine als fest-
stehenden Zug herauslesen zu sollen, dass ihm ein kurzes Leben
beschieden sei und dass er vor Troja fallen müsse. Die einzelnen
Liedersänger lassen ihn mehr oder weniger genaue Kunde davon
haben (A 352, Ph 110, 275); einmal wird auch hervorgehoben,
dass er durch die Heimkehr nach Phthia dem frühen Tode ent-
gehen könne (410), ein ander Mal, dass ihm bestimmt sei, unmittel-
bar nach Hektor zu fallen, und sehr schön wird Achill dadurch
in den Konflikt gestellt, entweder den Freund ungerächt zu lassen
oder die Rache mit dem eigenen Leben zu erkaufen (S 95); allein
dass der Zorn gegen Agamemnon dem Achill das Leben kostet,
das habe ich niemals bei einem alten Dichter gelesen und bin
sehr gespannt, die Quellen, aus denen diese für Sagengeschichte
so wichtige Entdeckung stammt, kennen zu lernen. Bisher nahmen
selbst diejenigen Forscher, welche an einem einheitlichen Grund-
gedanken der Ilias festhalten zu sollen glaubten, doch nur an,
dass Achill, nachdem er durch Zurückweisung der angebotenen
Versöhnung strafbar geworden sei, durch den Tod seines theuersten
Freundes für die Masslosigkeit seines Grolles büsse 36). Ob dies
wirklich die Auffassung der epischen Dichter war, was bekannt-
lich mehr als fraglich ist 37), dies zu erörtern ist hier nicht der
Ort. Es genügt zu konstatieren, dass, wenn von einer Busse des
Achilleus im Epos überhaupt die Rede sein kann, dieselbe in
dem Tod des Patroklos und nicht in dem eigenen Tod des
Achilleus besteht. Doch hören wir weiter:

Potea dunque l'artista, per iscogliere il tragico nodo, rap-
presentar quella morte stessa, ma ha preferito a fecondare, per
cosi dire, la fantasia dello spettatore col richiamar alla mente

36) S. Nitzsch Sagenpoesie der Griechen S. 87 u. 259.
37) Vgl. Bonitz Über den Ursprung der homerischen Gedichte S. 19.

zweite Behauptung, daſs nur Achills Tod die Götter versöhnen
könne, das heiſst also doch, daſs sein Tod die Strafe für die μῆνις
sei. Hätte also Achilleus auf das Bitten der Gesandten nach-
gegeben, so wäre er leben geblieben? Dies ist wenigstens neu.
Bisher glaubte man, aus den verschiedenen Stellen der Ilias, die
vom Tod des Achilleus sprechen, wenigstens das eine als fest-
stehenden Zug herauslesen zu sollen, daſs ihm ein kurzes Leben
beschieden sei und daſs er vor Troja fallen müsse. Die einzelnen
Liedersänger lassen ihn mehr oder weniger genaue Kunde davon
haben (Α 352, Φ 110, 275); einmal wird auch hervorgehoben,
daſs er durch die Heimkehr nach Phthia dem frühen Tode ent-
gehen könne (410), ein ander Mal, daſs ihm bestimmt sei, unmittel-
bar nach Hektor zu fallen, und sehr schön wird Achill dadurch
in den Konflikt gestellt, entweder den Freund ungerächt zu lassen
oder die Rache mit dem eigenen Leben zu erkaufen (Σ 95); allein
daſs der Zorn gegen Agamemnon dem Achill das Leben kostet,
das habe ich niemals bei einem alten Dichter gelesen und bin
sehr gespannt, die Quellen, aus denen diese für Sagengeschichte
so wichtige Entdeckung stammt, kennen zu lernen. Bisher nahmen
selbst diejenigen Forscher, welche an einem einheitlichen Grund-
gedanken der Ilias festhalten zu sollen glaubten, doch nur an,
daſs Achill, nachdem er durch Zurückweisung der angebotenen
Versöhnung strafbar geworden sei, durch den Tod seines theuersten
Freundes für die Maſslosigkeit seines Grolles büſse 36). Ob dies
wirklich die Auffassung der epischen Dichter war, was bekannt-
lich mehr als fraglich ist 37), dies zu erörtern ist hier nicht der
Ort. Es genügt zu konstatieren, daſs, wenn von einer Buſse des
Achilleus im Epos überhaupt die Rede sein kann, dieselbe in
dem Tod des Patroklos und nicht in dem eigenen Tod des
Achilleus besteht. Doch hören wir weiter:

Potea dunque l’artista, per iscogliere il tragico nodo, rap-
presentar quella morte steſsa, ma ha preferito a fecondare, per
così dire, la fantasia dello spettatore col richiamar alla mente

36) S. Nitzsch Sagenpoesie der Griechen S. 87 u. 259.
37) Vgl. Bonitz Über den Ursprung der homerischen Gedichte S. 19.
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[106/0120] zweite Behauptung, daſs nur Achills Tod die Götter versöhnen könne, das heiſst also doch, daſs sein Tod die Strafe für die μῆνις sei. Hätte also Achilleus auf das Bitten der Gesandten nach- gegeben, so wäre er leben geblieben? Dies ist wenigstens neu. Bisher glaubte man, aus den verschiedenen Stellen der Ilias, die vom Tod des Achilleus sprechen, wenigstens das eine als fest- stehenden Zug herauslesen zu sollen, daſs ihm ein kurzes Leben beschieden sei und daſs er vor Troja fallen müsse. Die einzelnen Liedersänger lassen ihn mehr oder weniger genaue Kunde davon haben (Α 352, Φ 110, 275); einmal wird auch hervorgehoben, daſs er durch die Heimkehr nach Phthia dem frühen Tode ent- gehen könne (410), ein ander Mal, daſs ihm bestimmt sei, unmittel- bar nach Hektor zu fallen, und sehr schön wird Achill dadurch in den Konflikt gestellt, entweder den Freund ungerächt zu lassen oder die Rache mit dem eigenen Leben zu erkaufen (Σ 95); allein daſs der Zorn gegen Agamemnon dem Achill das Leben kostet, das habe ich niemals bei einem alten Dichter gelesen und bin sehr gespannt, die Quellen, aus denen diese für Sagengeschichte so wichtige Entdeckung stammt, kennen zu lernen. Bisher nahmen selbst diejenigen Forscher, welche an einem einheitlichen Grund- gedanken der Ilias festhalten zu sollen glaubten, doch nur an, daſs Achill, nachdem er durch Zurückweisung der angebotenen Versöhnung strafbar geworden sei, durch den Tod seines theuersten Freundes für die Maſslosigkeit seines Grolles büſse 36). Ob dies wirklich die Auffassung der epischen Dichter war, was bekannt- lich mehr als fraglich ist 37), dies zu erörtern ist hier nicht der Ort. Es genügt zu konstatieren, daſs, wenn von einer Buſse des Achilleus im Epos überhaupt die Rede sein kann, dieselbe in dem Tod des Patroklos und nicht in dem eigenen Tod des Achilleus besteht. Doch hören wir weiter: Potea dunque l’artista, per iscogliere il tragico nodo, rap- presentar quella morte steſsa, ma ha preferito a fecondare, per così dire, la fantasia dello spettatore col richiamar alla mente 36) S. Nitzsch Sagenpoesie der Griechen S. 87 u. 259. 37) Vgl. Bonitz Über den Ursprung der homerischen Gedichte S. 19.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/120>, abgerufen am 27.11.2024.