sichtigt er auch seine Leute nicht besser. Es ist doch gerade so, als wenn Sophokles es zuliesse, dass sein Schauspieler in der Rolle des Aias die Maske des Herakles aufsetzte. Über diesen Punkt also erwarte ich Aufklärung von der höheren Kritik; denn ich für meine Person könnte mir ein solches Versehen, nur aus einem ganz heimtückischen Charakterzug des Duris erklären, der Vexierrätsel für die attischen Epheben bei ihren Symposien und für die höheren archäologischen Kritiker bei ihren Übungen malen wollte.
Das zweite Monument, auf das die höhere Kritik angewendet wird, ist die Iliupersis des Brygos 33). Der unbefangene Be- trachter glaubt in dem Innenbild nur eine hübsche Erfindung des Malers vor sich zu haben, eine Kredenzscene, wie sie für die Dekoration der Trinkschale so besonders passt. Hier hat Brygos Briseis und einen Alten gewählt, der durch keine Namensbei- schrift bezeichnet ist. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Phoinix gemeint ist, denn die aufgehängten Waffen deuten auf Krieg und werden am einfachsten als Andeutung eines Zeltes gefasst, und Briseis wird man sich ja auch am liebsten im Zelt des Achilleus vorstellen. Heydemanns Deutung (Iliupersis S. 27) auf Peleus wäre ja an sich möglich, und wenn der Name bei- geschrieben wäre, müssten wir uns mit ihr zufrieden geben, wo- bei es ganz gleichgültig ist, ob dieser Zug irgendwo in der Litteratur vorkommt oder nicht; genug, dass Brygos sich ge- dacht hätte, dass Briseis zuletzt nach Phthia zum Peleus kommt. Da aber der Name nicht beigeschrieben ist, so liegt es näher, sich Briseis da zu denken, wo sie die poetische Tradition und die Volksvorstellung zunächst kennen, im Zelt des Achilleus. Also Phoinix und Briseis hat Brygos hier als Innenbild gewählt, aber ebenso gut hätte er Achilleus und Briseis oder Neoptolemos und Hermione oder Menelaos und Helena oder jeden beliebigen troischen Heros mit seiner Gattin, Geliebten oder Mutter dar- stellen können. Zu der Aufsenseite, der Darstellung der Iliu- persis, steht also das Mittelbild nur insofern in einer laxen
33) S. oben Kap. II S. 61--71.
sichtigt er auch seine Leute nicht besser. Es ist doch gerade so, als wenn Sophokles es zulieſse, daſs sein Schauspieler in der Rolle des Aias die Maske des Herakles aufsetzte. Über diesen Punkt also erwarte ich Aufklärung von der höheren Kritik; denn ich für meine Person könnte mir ein solches Versehen, nur aus einem ganz heimtückischen Charakterzug des Duris erklären, der Vexierrätsel für die attischen Epheben bei ihren Symposien und für die höheren archäologischen Kritiker bei ihren Übungen malen wollte.
Das zweite Monument, auf das die höhere Kritik angewendet wird, ist die Iliupersis des Brygos 33). Der unbefangene Be- trachter glaubt in dem Innenbild nur eine hübsche Erfindung des Malers vor sich zu haben, eine Kredenzscene, wie sie für die Dekoration der Trinkschale so besonders paſst. Hier hat Brygos Briseis und einen Alten gewählt, der durch keine Namensbei- schrift bezeichnet ist. Am wahrscheinlichsten ist es, daſs Phoinix gemeint ist, denn die aufgehängten Waffen deuten auf Krieg und werden am einfachsten als Andeutung eines Zeltes gefaſst, und Briseis wird man sich ja auch am liebsten im Zelt des Achilleus vorstellen. Heydemanns Deutung (Iliupersis S. 27) auf Peleus wäre ja an sich möglich, und wenn der Name bei- geschrieben wäre, müſsten wir uns mit ihr zufrieden geben, wo- bei es ganz gleichgültig ist, ob dieser Zug irgendwo in der Litteratur vorkommt oder nicht; genug, daſs Brygos sich ge- dacht hätte, daſs Briseis zuletzt nach Phthia zum Peleus kommt. Da aber der Name nicht beigeschrieben ist, so liegt es näher, sich Briseis da zu denken, wo sie die poetische Tradition und die Volksvorstellung zunächst kennen, im Zelt des Achilleus. Also Phoinix und Briseis hat Brygos hier als Innenbild gewählt, aber ebenso gut hätte er Achilleus und Briseis oder Neoptolemos und Hermione oder Menelaos und Helena oder jeden beliebigen troischen Heros mit seiner Gattin, Geliebten oder Mutter dar- stellen können. Zu der Aufsenseite, der Darstellung der Iliu- persis, steht also das Mittelbild nur insofern in einer laxen
33) S. oben Kap. II S. 61—71.
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so, als wenn Sophokles es zulieſse, daſs sein Schauspieler in der
Rolle des Aias die Maske des Herakles aufsetzte. Über diesen
Punkt also erwarte ich Aufklärung von der höheren Kritik; denn
ich für meine Person könnte mir ein solches Versehen, nur aus
einem ganz heimtückischen Charakterzug des Duris erklären,
der Vexierrätsel für die attischen Epheben bei ihren Symposien
und für die höheren archäologischen Kritiker bei ihren Übungen
malen wollte.
Das zweite Monument, auf das die höhere Kritik angewendet
wird, ist die Iliupersis des Brygos 33). Der unbefangene Be-
trachter glaubt in dem Innenbild nur eine hübsche Erfindung des
Malers vor sich zu haben, eine Kredenzscene, wie sie für die
Dekoration der Trinkschale so besonders paſst. Hier hat Brygos
Briseis und einen Alten gewählt, der durch keine Namensbei-
schrift bezeichnet ist. Am wahrscheinlichsten ist es, daſs Phoinix
gemeint ist, denn die aufgehängten Waffen deuten auf Krieg
und werden am einfachsten als Andeutung eines Zeltes gefaſst,
und Briseis wird man sich ja auch am liebsten im Zelt des
Achilleus vorstellen. Heydemanns Deutung (Iliupersis S. 27) auf
Peleus wäre ja an sich möglich, und wenn der Name bei-
geschrieben wäre, müſsten wir uns mit ihr zufrieden geben, wo-
bei es ganz gleichgültig ist, ob dieser Zug irgendwo in der
Litteratur vorkommt oder nicht; genug, daſs Brygos sich ge-
dacht hätte, daſs Briseis zuletzt nach Phthia zum Peleus kommt.
Da aber der Name nicht beigeschrieben ist, so liegt es näher,
sich Briseis da zu denken, wo sie die poetische Tradition und
die Volksvorstellung zunächst kennen, im Zelt des Achilleus. Also
Phoinix und Briseis hat Brygos hier als Innenbild gewählt, aber
ebenso gut hätte er Achilleus und Briseis oder Neoptolemos
und Hermione oder Menelaos und Helena oder jeden beliebigen
troischen Heros mit seiner Gattin, Geliebten oder Mutter dar-
stellen können. Zu der Aufsenseite, der Darstellung der Iliu-
persis, steht also das Mittelbild nur insofern in einer laxen
33) S. oben Kap. II S. 61—71.
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/116>, abgerufen am 26.06.2024.
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