Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutung der unbenannten Göttin auf Thetis; wie sollte sie dazu
kommen, den Achill an der Tötung des Kyknos zu verhindern?

Und noch ein Wort über die voreilige Annahme falscher
Namensbeischriften. Wenn man auf dem banausischen Stand-
punkt steht, in den attischen Vasenmalern banausoi, freilich solche
des fünften Jahrhunderts zu sehen, die aus ihrem Homer und
der ganzen bunten Heldensage mit freier Hand schöpfen, ohne
viel nach geheimen Bezügen zu fragen, so wird mans begreifen,
dass auch einmal, wenn auch verhältnismässig selten, eine falsche
Namensbeischrift mit unterläuft 31). Wenn man aber dem attischen
Vasenmaler eine geistige Thätigkeit zuschreibt, wie dem tragischen
Dichter bei Abfassung einer Trilogie, so ist es mir völlig unbe-
greiflich, wie überhaupt den Figuren falsche Namen beigeschrieben
werden konnten. Denn entweder schreibt der Maler selbst die
Namen: wie ist es dann möglich, dass er seine eigenen tiefen
Gedanken vergessen hat? Oder er lässt sie durch einen Ge-
hilfen schreiben: dann frage ich aber, wie kommt dieser zu
total falschen Bezeichnungen und wie ist es möglich, dass ein
Maler vom Schlage des Duris es zulässt, dass die Schöpfungen
seines poetischen Sinnes durch die Dummheit und Nachlässigkeit
eines Gehilfen vernichtet werden 32)? Warum schult und beauf-

31) In den sehr seltenen Fällen, wo falsche Namensbeischriften sicher
nachgewiesen sind, hat es damit meist seine eigene Bewandnis. Wenn auf der
bekannten Amphora (Raoul Rochette M. I. LXXI 2, Overbeck Her. Gall. XIII 7)
die Namen [ - 7 Zeichen fehlen] und [ - 7 Zeichen fehlen] vertauscht sind, so erklärt sich
das aus dem gleichen Aussehen der drei ersten Buchstaben. Verschreibungen
wie [ - 6 Zeichen fehlen] statt [ - 6 Zeichen fehlen] (Stephani Compte rendu pour l'annee 1877
V, 6), die ebenso gut auf ein Versprechen oder Verhören zurückgeführt
werden könnten, begegnen uns Allen auch heute.
32) Auf diese Frage wird uns auch in den Troischen Miscellen II S. 95
(Sitzungsber. d. bayer. Akad. 1868) keine Antwort zu teil, wo es heisst:
"Wir werden wenigstens als möglich zugeben müssen, dass zuweilen eine
fremde Hand die Inschriften hinzufügte, wenn es sich nicht etwa gar noch
heraustellen sollte, worauf einzelne Spuren hindeuten, dass es in den grösseren
Fabriken besondere Schriftmaler gab, wie heutzutage neben den Kupferstechern
besondere Schriftstecher. Dadurch aber waren dem Irrtum und den Miss-
verständnissen die Wege hinlänglich geebnet."

Deutung der unbenannten Göttin auf Thetis; wie sollte sie dazu
kommen, den Achill an der Tötung des Kyknos zu verhindern?

Und noch ein Wort über die voreilige Annahme falscher
Namensbeischriften. Wenn man auf dem banausischen Stand-
punkt steht, in den attischen Vasenmalern βάναυσοι, freilich solche
des fünften Jahrhunderts zu sehen, die aus ihrem Homer und
der ganzen bunten Heldensage mit freier Hand schöpfen, ohne
viel nach geheimen Bezügen zu fragen, so wird mans begreifen,
daſs auch einmal, wenn auch verhältnismäſsig selten, eine falsche
Namensbeischrift mit unterläuft 31). Wenn man aber dem attischen
Vasenmaler eine geistige Thätigkeit zuschreibt, wie dem tragischen
Dichter bei Abfassung einer Trilogie, so ist es mir völlig unbe-
greiflich, wie überhaupt den Figuren falsche Namen beigeschrieben
werden konnten. Denn entweder schreibt der Maler selbst die
Namen: wie ist es dann möglich, daſs er seine eigenen tiefen
Gedanken vergessen hat? Oder er läſst sie durch einen Ge-
hilfen schreiben: dann frage ich aber, wie kommt dieser zu
total falschen Bezeichnungen und wie ist es möglich, daſs ein
Maler vom Schlage des Duris es zuläſst, daſs die Schöpfungen
seines poetischen Sinnes durch die Dummheit und Nachlässigkeit
eines Gehilfen vernichtet werden 32)? Warum schult und beauf-

31) In den sehr seltenen Fällen, wo falsche Namensbeischriften sicher
nachgewiesen sind, hat es damit meist seine eigene Bewandnis. Wenn auf der
bekannten Amphora (Raoul Rochette M. I. LXXI 2, Overbeck Her. Gall. XIII 7)
die Namen [ – 7 Zeichen fehlen] und [ – 7 Zeichen fehlen] vertauscht sind, so erklärt sich
das aus dem gleichen Aussehen der drei ersten Buchstaben. Verschreibungen
wie [ – 6 Zeichen fehlen] statt [ – 6 Zeichen fehlen] (Stephani Compte rendu pour l’année 1877
V, 6), die ebenso gut auf ein Versprechen oder Verhören zurückgeführt
werden könnten, begegnen uns Allen auch heute.
32) Auf diese Frage wird uns auch in den Troischen Miscellen II S. 95
(Sitzungsber. d. bayer. Akad. 1868) keine Antwort zu teil, wo es heiſst:
„Wir werden wenigstens als möglich zugeben müssen, daſs zuweilen eine
fremde Hand die Inschriften hinzufügte, wenn es sich nicht etwa gar noch
heraustellen sollte, worauf einzelne Spuren hindeuten, daſs es in den gröſseren
Fabriken besondere Schriftmaler gab, wie heutzutage neben den Kupferstechern
besondere Schriftstecher. Dadurch aber waren dem Irrtum und den Miſs-
verständnissen die Wege hinlänglich geebnet.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="101"/>
Deutung der unbenannten Göttin auf Thetis; wie sollte sie dazu<lb/>
kommen, den Achill an der Tötung des Kyknos zu verhindern?</p><lb/>
          <p>Und noch ein Wort über die voreilige Annahme falscher<lb/>
Namensbeischriften. Wenn man auf dem banausischen Stand-<lb/>
punkt steht, in den attischen Vasenmalern &#x03B2;&#x03AC;&#x03BD;&#x03B1;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;&#x03B9;, freilich solche<lb/>
des fünften Jahrhunderts zu sehen, die aus ihrem Homer und<lb/>
der ganzen bunten Heldensage mit freier Hand schöpfen, ohne<lb/>
viel nach geheimen Bezügen zu fragen, so wird mans begreifen,<lb/>
da&#x017F;s auch einmal, wenn auch verhältnismä&#x017F;sig selten, eine falsche<lb/>
Namensbeischrift mit unterläuft <note place="foot" n="31)">In den sehr seltenen Fällen, wo falsche Namensbeischriften sicher<lb/>
nachgewiesen sind, hat es damit meist seine eigene Bewandnis. Wenn auf der<lb/>
bekannten Amphora (Raoul Rochette M. I. LXXI 2, Overbeck Her. Gall. XIII 7)<lb/>
die Namen <gap unit="chars" quantity="7"/> und <gap unit="chars" quantity="7"/> vertauscht sind, so erklärt sich<lb/>
das aus dem gleichen Aussehen der drei ersten Buchstaben. Verschreibungen<lb/>
wie <gap unit="chars" quantity="6"/> statt <gap unit="chars" quantity="6"/> (Stephani Compte rendu pour l&#x2019;année 1877<lb/>
V, 6), die ebenso gut auf ein Versprechen oder Verhören zurückgeführt<lb/>
werden könnten, begegnen uns Allen auch heute.</note>. Wenn man aber dem attischen<lb/>
Vasenmaler eine geistige Thätigkeit zuschreibt, wie dem tragischen<lb/>
Dichter bei Abfassung einer Trilogie, so ist es mir völlig unbe-<lb/>
greiflich, wie überhaupt den Figuren falsche Namen beigeschrieben<lb/>
werden konnten. Denn entweder schreibt der Maler selbst die<lb/>
Namen: wie ist es dann möglich, da&#x017F;s er seine eigenen tiefen<lb/>
Gedanken vergessen hat? Oder er lä&#x017F;st sie durch einen Ge-<lb/>
hilfen schreiben: dann frage ich aber, wie kommt dieser zu<lb/>
total falschen Bezeichnungen und wie ist es möglich, da&#x017F;s ein<lb/>
Maler vom Schlage des Duris es zulä&#x017F;st, da&#x017F;s die Schöpfungen<lb/>
seines poetischen Sinnes durch die Dummheit und Nachlässigkeit<lb/>
eines Gehilfen vernichtet werden <note place="foot" n="32)">Auf diese Frage wird uns auch in den Troischen Miscellen II S. 95<lb/>
(Sitzungsber. d. bayer. Akad. 1868) keine Antwort zu teil, wo es hei&#x017F;st:<lb/>
&#x201E;Wir werden wenigstens als möglich zugeben müssen, da&#x017F;s zuweilen eine<lb/>
fremde Hand die Inschriften hinzufügte, wenn es sich nicht etwa gar noch<lb/>
heraustellen sollte, worauf einzelne Spuren hindeuten, da&#x017F;s es in den grö&#x017F;seren<lb/>
Fabriken besondere Schriftmaler gab, wie heutzutage neben den Kupferstechern<lb/>
besondere Schriftstecher. Dadurch aber waren dem Irrtum und den Mi&#x017F;s-<lb/>
verständnissen die Wege hinlänglich geebnet.&#x201C;</note>? Warum schult und beauf-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0115] Deutung der unbenannten Göttin auf Thetis; wie sollte sie dazu kommen, den Achill an der Tötung des Kyknos zu verhindern? Und noch ein Wort über die voreilige Annahme falscher Namensbeischriften. Wenn man auf dem banausischen Stand- punkt steht, in den attischen Vasenmalern βάναυσοι, freilich solche des fünften Jahrhunderts zu sehen, die aus ihrem Homer und der ganzen bunten Heldensage mit freier Hand schöpfen, ohne viel nach geheimen Bezügen zu fragen, so wird mans begreifen, daſs auch einmal, wenn auch verhältnismäſsig selten, eine falsche Namensbeischrift mit unterläuft 31). Wenn man aber dem attischen Vasenmaler eine geistige Thätigkeit zuschreibt, wie dem tragischen Dichter bei Abfassung einer Trilogie, so ist es mir völlig unbe- greiflich, wie überhaupt den Figuren falsche Namen beigeschrieben werden konnten. Denn entweder schreibt der Maler selbst die Namen: wie ist es dann möglich, daſs er seine eigenen tiefen Gedanken vergessen hat? Oder er läſst sie durch einen Ge- hilfen schreiben: dann frage ich aber, wie kommt dieser zu total falschen Bezeichnungen und wie ist es möglich, daſs ein Maler vom Schlage des Duris es zuläſst, daſs die Schöpfungen seines poetischen Sinnes durch die Dummheit und Nachlässigkeit eines Gehilfen vernichtet werden 32)? Warum schult und beauf- 31) In den sehr seltenen Fällen, wo falsche Namensbeischriften sicher nachgewiesen sind, hat es damit meist seine eigene Bewandnis. Wenn auf der bekannten Amphora (Raoul Rochette M. I. LXXI 2, Overbeck Her. Gall. XIII 7) die Namen _______ und _______ vertauscht sind, so erklärt sich das aus dem gleichen Aussehen der drei ersten Buchstaben. Verschreibungen wie ______ statt ______ (Stephani Compte rendu pour l’année 1877 V, 6), die ebenso gut auf ein Versprechen oder Verhören zurückgeführt werden könnten, begegnen uns Allen auch heute. 32) Auf diese Frage wird uns auch in den Troischen Miscellen II S. 95 (Sitzungsber. d. bayer. Akad. 1868) keine Antwort zu teil, wo es heiſst: „Wir werden wenigstens als möglich zugeben müssen, daſs zuweilen eine fremde Hand die Inschriften hinzufügte, wenn es sich nicht etwa gar noch heraustellen sollte, worauf einzelne Spuren hindeuten, daſs es in den gröſseren Fabriken besondere Schriftmaler gab, wie heutzutage neben den Kupferstechern besondere Schriftstecher. Dadurch aber waren dem Irrtum und den Miſs- verständnissen die Wege hinlänglich geebnet.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/115
Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/115>, abgerufen am 27.11.2024.