Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.1. Egyptisches. falls nur in sehr geringem Maasse entsprechen, die Unzulänglichkeiteiner vielfach noch primitiven, ohne belehrende Einflüsse von Aussen her aus sich selbst heraus schaffenden bildenden Kunst zur Mitver- antwortung heranziehen dürfen, so fällt ein solcher Entschuldigungs- grund bei den verbindenden Bogenlinien hinweg: man hatte offenbar gar nicht die Absicht hierin bloss die Natur zu kopiren, sondern man schuf sich aus besonderen Beweggründen -- und diese konnten doch wohl nur rein künstlerischer Natur sein -- eine gefällige Verbindung zwischen den gereihten Blüthenmotiven: der altegyptische Bogenfries kann daher nichts Anderes gewesen sein als blosses Ornament32). Wir begegnen aber in der altegyptischen Kunst, insbesondere an [Abbildung]
Fig. 25. vegetabilischen Motive dagegen als das Untergeordnete,Spirale mit zwickelfüllenden Lotusblüthen. Accidentelle. Es sind dies jene Flächenverzierungen, denen das Motiv der Spirale zu Grunde liegt. Die Spirale in der flächenverzierenden Kunst ist ursprünglich ein 32) Das Gleiche könnte von einer anderen Art der Verbindung von Lotus-
motiven gelten. Man findet häufig die von einer Lotusblüthe bekrönten langen Schaftstengel mit kleinen tropfenförmigen Gebilden besetzt, denen augenscheinlich dasselbe Vorbild zu Grunde liegt, wie den tropfenförmigen Zwickelfüllungen. Goodyear (S. 50) hat dieselben ohne Zögern für Lotus- knospen erklärt, aber zugleich auf den Widerspruch einer solchen Anbringung der Knospe längs des Schaftstengels mit der Wirklichkeit hingewiesen, da in der Natur jede Knospe von einem selbständigen, aus dem Wasser empor- ragenden Stengel getragen wird. Es bleibt sonach kaum Anderes übrig, als auch diese Art der Verbindung zwischen Knospen und Blüthe aus bloss deko- rativen Beweggründen heraus zu erklären. In diesem Falle nun, sowie bei der Verbindung mittels Bogenlinien bilden immer die Blüthen- (oder Knospen-) Motive die Hauptsache, die verbindenden Linien die Nebensache, das Accidens 1. Egyptisches. falls nur in sehr geringem Maasse entsprechen, die Unzulänglichkeiteiner vielfach noch primitiven, ohne belehrende Einflüsse von Aussen her aus sich selbst heraus schaffenden bildenden Kunst zur Mitver- antwortung heranziehen dürfen, so fällt ein solcher Entschuldigungs- grund bei den verbindenden Bogenlinien hinweg: man hatte offenbar gar nicht die Absicht hierin bloss die Natur zu kopiren, sondern man schuf sich aus besonderen Beweggründen — und diese konnten doch wohl nur rein künstlerischer Natur sein — eine gefällige Verbindung zwischen den gereihten Blüthenmotiven: der altegyptische Bogenfries kann daher nichts Anderes gewesen sein als blosses Ornament32). Wir begegnen aber in der altegyptischen Kunst, insbesondere an [Abbildung]
Fig. 25. vegetabilischen Motive dagegen als das Untergeordnete,Spirale mit zwickelfüllenden Lotusblüthen. Accidentelle. Es sind dies jene Flächenverzierungen, denen das Motiv der Spirale zu Grunde liegt. Die Spirale in der flächenverzierenden Kunst ist ursprünglich ein 32) Das Gleiche könnte von einer anderen Art der Verbindung von Lotus-
motiven gelten. Man findet häufig die von einer Lotusblüthe bekrönten langen Schaftstengel mit kleinen tropfenförmigen Gebilden besetzt, denen augenscheinlich dasselbe Vorbild zu Grunde liegt, wie den tropfenförmigen Zwickelfüllungen. Goodyear (S. 50) hat dieselben ohne Zögern für Lotus- knospen erklärt, aber zugleich auf den Widerspruch einer solchen Anbringung der Knospe längs des Schaftstengels mit der Wirklichkeit hingewiesen, da in der Natur jede Knospe von einem selbständigen, aus dem Wasser empor- ragenden Stengel getragen wird. Es bleibt sonach kaum Anderes übrig, als auch diese Art der Verbindung zwischen Knospen und Blüthe aus bloss deko- rativen Beweggründen heraus zu erklären. In diesem Falle nun, sowie bei der Verbindung mittels Bogenlinien bilden immer die Blüthen- (oder Knospen-) Motive die Hauptsache, die verbindenden Linien die Nebensache, das Accidens <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0097" n="71"/><fw place="top" type="header">1. Egyptisches.</fw><lb/> falls nur in sehr geringem Maasse entsprechen, die Unzulänglichkeit<lb/> einer vielfach noch primitiven, ohne belehrende Einflüsse von Aussen<lb/> her aus sich selbst heraus schaffenden bildenden Kunst zur Mitver-<lb/> antwortung heranziehen dürfen, so fällt ein solcher Entschuldigungs-<lb/> grund bei den verbindenden Bogenlinien hinweg: man hatte offenbar<lb/> gar nicht die Absicht hierin bloss die Natur zu kopiren, sondern man<lb/> schuf sich aus besonderen Beweggründen — und diese konnten doch<lb/> wohl nur rein künstlerischer Natur sein — eine gefällige Verbindung<lb/> zwischen den gereihten Blüthenmotiven: der altegyptische Bogenfries<lb/> kann daher nichts Anderes gewesen sein als blosses Ornament<note place="foot" n="32)">Das Gleiche könnte von einer anderen Art der Verbindung von Lotus-<lb/> motiven gelten. Man findet häufig die von einer Lotusblüthe bekrönten<lb/> langen Schaftstengel mit kleinen tropfenförmigen Gebilden besetzt, denen<lb/> augenscheinlich dasselbe Vorbild zu Grunde liegt, wie den tropfenförmigen<lb/> Zwickelfüllungen. Goodyear (S. 50) hat dieselben ohne Zögern für Lotus-<lb/> knospen erklärt, aber zugleich auf den Widerspruch einer solchen Anbringung<lb/> der Knospe längs des Schaftstengels mit der Wirklichkeit hingewiesen, da in<lb/> der Natur jede Knospe von einem selbständigen, aus dem Wasser empor-<lb/> ragenden Stengel getragen wird. Es bleibt sonach kaum Anderes übrig, als<lb/> auch diese Art der Verbindung zwischen Knospen und Blüthe aus bloss deko-<lb/> rativen Beweggründen heraus zu erklären. In diesem Falle nun, sowie bei<lb/> der Verbindung mittels Bogenlinien bilden immer die Blüthen- (oder Knospen-)<lb/> Motive die Hauptsache, die verbindenden Linien die Nebensache, das Accidens</note>.</p><lb/> <p>Wir begegnen aber in der altegyptischen Kunst, insbesondere an<lb/> Denkmälern aus der Zeit des Neuen Reiches, noch einem anderen<lb/> Schema von Flächenverzierung, in welchem die <hi rendition="#g">verbindenden Ele-<lb/> mente als das Maassgebende, Musterbildende erscheinen, die</hi><lb/><figure><head>Fig. 25.</head><lb/><p>Spirale mit zwickelfüllenden Lotusblüthen.</p></figure><lb/><hi rendition="#g">vegetabilischen Motive dagegen als das Untergeordnete,<lb/> Accidentelle</hi>. Es sind dies jene Flächenverzierungen, denen das<lb/> Motiv der Spirale zu Grunde liegt.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#i">Spirale</hi> in der flächenverzierenden Kunst ist ursprünglich ein<lb/> rein lineares, also ein geometrisches Element. Wir werden weiter unten<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0097]
1. Egyptisches.
falls nur in sehr geringem Maasse entsprechen, die Unzulänglichkeit
einer vielfach noch primitiven, ohne belehrende Einflüsse von Aussen
her aus sich selbst heraus schaffenden bildenden Kunst zur Mitver-
antwortung heranziehen dürfen, so fällt ein solcher Entschuldigungs-
grund bei den verbindenden Bogenlinien hinweg: man hatte offenbar
gar nicht die Absicht hierin bloss die Natur zu kopiren, sondern man
schuf sich aus besonderen Beweggründen — und diese konnten doch
wohl nur rein künstlerischer Natur sein — eine gefällige Verbindung
zwischen den gereihten Blüthenmotiven: der altegyptische Bogenfries
kann daher nichts Anderes gewesen sein als blosses Ornament 32).
Wir begegnen aber in der altegyptischen Kunst, insbesondere an
Denkmälern aus der Zeit des Neuen Reiches, noch einem anderen
Schema von Flächenverzierung, in welchem die verbindenden Ele-
mente als das Maassgebende, Musterbildende erscheinen, die
[Abbildung Fig. 25.
Spirale mit zwickelfüllenden Lotusblüthen.]
vegetabilischen Motive dagegen als das Untergeordnete,
Accidentelle. Es sind dies jene Flächenverzierungen, denen das
Motiv der Spirale zu Grunde liegt.
Die Spirale in der flächenverzierenden Kunst ist ursprünglich ein
rein lineares, also ein geometrisches Element. Wir werden weiter unten
32) Das Gleiche könnte von einer anderen Art der Verbindung von Lotus-
motiven gelten. Man findet häufig die von einer Lotusblüthe bekrönten
langen Schaftstengel mit kleinen tropfenförmigen Gebilden besetzt, denen
augenscheinlich dasselbe Vorbild zu Grunde liegt, wie den tropfenförmigen
Zwickelfüllungen. Goodyear (S. 50) hat dieselben ohne Zögern für Lotus-
knospen erklärt, aber zugleich auf den Widerspruch einer solchen Anbringung
der Knospe längs des Schaftstengels mit der Wirklichkeit hingewiesen, da in
der Natur jede Knospe von einem selbständigen, aus dem Wasser empor-
ragenden Stengel getragen wird. Es bleibt sonach kaum Anderes übrig, als
auch diese Art der Verbindung zwischen Knospen und Blüthe aus bloss deko-
rativen Beweggründen heraus zu erklären. In diesem Falle nun, sowie bei
der Verbindung mittels Bogenlinien bilden immer die Blüthen- (oder Knospen-)
Motive die Hauptsache, die verbindenden Linien die Nebensache, das Accidens
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