eines bogenförmigen Zäpfchens (d) das den von den beiden Voluten im Zusammenstossen gebildeten Winkel oder Zwickel ausfüllt, -- und einen krönenden Blattfächer (e). Wir pflegen dieses Motiv in der Form, in der es uns in der griechischen Kunst entgegentritt, als Palmette zu bezeichnen.
Der wichtigste, weil für die Gesammtform bezeichnendste Theil sind hier die Voluten. Sie sind als der in Seitenansicht projicirte Kelch der Blüthe aufzufassen, wie das Zwischenglied, Fig. 17, (von einem sogen. Porzellan-Amulet im Louvre) beweist, wo der Kelch nicht mit Zwickelzapfen und Blattfächer, sondern mit den dreieckigen Blättern des ersten Profiltypus (Fig. 7) gefüllt erscheint.
Das erste Auftreten desVolutenkelchsist von ausserordent- licher Wichtigkeit für die gesammte Geschichte der Orna- mentik. Dass mindestens zwischen den Volutenkelchformen der antiken Stile ein kausaler Zusammenhang obwalten müsse, hat man bereits seit Längerem gemuthmasst; insbesondere die Voluten des jonischen Kapitäls gaben in ihren augenscheinlichen Beziehungen zu den alt- orientalischen Volutenkapitälen den Forschern viel zu denken. Es hat sich allmälig eine ganze Literatur über diesen Gegenstand angesammelt, die sich bei Puchstein20) und zum Theil auch bei Goodyear21) zusammen- gestellt findet. Die Mehrzahl der Forscher rieth auf asiatischen Ur- sprung, und der Umstand, dass man -- offenbar unter dem Einflusse der beliebten Theorie, wonach so ziemlich alle älteren Künste eine wesentlich autochthone Entwicklung genommen hätten -- den historischen Zu- sammenhang der mesopotamischen mit der altegyptischen Kunst ge- flissentlich unterschätzte, war auch die Ursache, dass man die alt- egyptischen Volutenformen nicht in ihrer vollen Bedeutung als Ausgangs- punkt der ganzen Entwicklung erkannte, trotzdem schon vor mehreren Jahren ein französischer Ingenieur, M. Dieulafoy22), die Vorbildlichkeit gewisser altegyptischer Blätterformen für das jonische Kapitäl aus- drücklich behauptet hat. Mit aller Entschiedenheit ist für den egyptischen Volutenkelch als Ausgangspunkt für alle übrigen Palmettenformen der antiken Stile Goodyear (S. 71 ff.) eingetreten, wobei er zugleich eine Erklärung für die Entstehung des Volutenmotivs versucht hat.
Goodyear's Erklärung für das Aufkommen des Volutenkelchs knüpft
20) Das jonische Kapitäl, im Anhange.
21) S. 71 ff. in den Anmerkungen verstreut.
22) Dieulafoy, L'art antique de la Perse III. 34 ff.
A. Altorientalisches.
eines bogenförmigen Zäpfchens (d) das den von den beiden Voluten im Zusammenstossen gebildeten Winkel oder Zwickel ausfüllt, — und einen krönenden Blattfächer (e). Wir pflegen dieses Motiv in der Form, in der es uns in der griechischen Kunst entgegentritt, als Palmette zu bezeichnen.
Der wichtigste, weil für die Gesammtform bezeichnendste Theil sind hier die Voluten. Sie sind als der in Seitenansicht projicirte Kelch der Blüthe aufzufassen, wie das Zwischenglied, Fig. 17, (von einem sogen. Porzellan-Amulet im Louvre) beweist, wo der Kelch nicht mit Zwickelzapfen und Blattfächer, sondern mit den dreieckigen Blättern des ersten Profiltypus (Fig. 7) gefüllt erscheint.
Das erste Auftreten desVolutenkelchsist von ausserordent- licher Wichtigkeit für die gesammte Geschichte der Orna- mentik. Dass mindestens zwischen den Volutenkelchformen der antiken Stile ein kausaler Zusammenhang obwalten müsse, hat man bereits seit Längerem gemuthmasst; insbesondere die Voluten des jonischen Kapitäls gaben in ihren augenscheinlichen Beziehungen zu den alt- orientalischen Volutenkapitälen den Forschern viel zu denken. Es hat sich allmälig eine ganze Literatur über diesen Gegenstand angesammelt, die sich bei Puchstein20) und zum Theil auch bei Goodyear21) zusammen- gestellt findet. Die Mehrzahl der Forscher rieth auf asiatischen Ur- sprung, und der Umstand, dass man — offenbar unter dem Einflusse der beliebten Theorie, wonach so ziemlich alle älteren Künste eine wesentlich autochthone Entwicklung genommen hätten — den historischen Zu- sammenhang der mesopotamischen mit der altegyptischen Kunst ge- flissentlich unterschätzte, war auch die Ursache, dass man die alt- egyptischen Volutenformen nicht in ihrer vollen Bedeutung als Ausgangs- punkt der ganzen Entwicklung erkannte, trotzdem schon vor mehreren Jahren ein französischer Ingenieur, M. Dieulafoy22), die Vorbildlichkeit gewisser altegyptischer Blätterformen für das jonische Kapitäl aus- drücklich behauptet hat. Mit aller Entschiedenheit ist für den egyptischen Volutenkelch als Ausgangspunkt für alle übrigen Palmettenformen der antiken Stile Goodyear (S. 71 ff.) eingetreten, wobei er zugleich eine Erklärung für die Entstehung des Volutenmotivs versucht hat.
Goodyear’s Erklärung für das Aufkommen des Volutenkelchs knüpft
20) Das jonische Kapitäl, im Anhange.
21) S. 71 ff. in den Anmerkungen verstreut.
22) Dieulafoy, L’art antique de la Perse III. 34 ff.
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A. Altorientalisches.
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im Zusammenstossen gebildeten Winkel oder Zwickel ausfüllt, — und
einen krönenden Blattfächer (e). Wir pflegen dieses Motiv in der Form,
in der es uns in der griechischen Kunst entgegentritt, als Palmette zu
bezeichnen.
Der wichtigste, weil für die Gesammtform bezeichnendste Theil
sind hier die Voluten. Sie sind als der in Seitenansicht projicirte
Kelch der Blüthe aufzufassen, wie das Zwischenglied, Fig. 17, (von
einem sogen. Porzellan-Amulet im Louvre) beweist, wo der Kelch nicht
mit Zwickelzapfen und Blattfächer, sondern mit den dreieckigen Blättern
des ersten Profiltypus (Fig. 7) gefüllt erscheint.
Das erste Auftreten des Volutenkelchs ist von ausserordent-
licher Wichtigkeit für die gesammte Geschichte der Orna-
mentik. Dass mindestens zwischen den Volutenkelchformen der antiken
Stile ein kausaler Zusammenhang obwalten müsse, hat man bereits
seit Längerem gemuthmasst; insbesondere die Voluten des jonischen
Kapitäls gaben in ihren augenscheinlichen Beziehungen zu den alt-
orientalischen Volutenkapitälen den Forschern viel zu denken. Es hat
sich allmälig eine ganze Literatur über diesen Gegenstand angesammelt,
die sich bei Puchstein 20) und zum Theil auch bei Goodyear 21) zusammen-
gestellt findet. Die Mehrzahl der Forscher rieth auf asiatischen Ur-
sprung, und der Umstand, dass man — offenbar unter dem Einflusse der
beliebten Theorie, wonach so ziemlich alle älteren Künste eine wesentlich
autochthone Entwicklung genommen hätten — den historischen Zu-
sammenhang der mesopotamischen mit der altegyptischen Kunst ge-
flissentlich unterschätzte, war auch die Ursache, dass man die alt-
egyptischen Volutenformen nicht in ihrer vollen Bedeutung als Ausgangs-
punkt der ganzen Entwicklung erkannte, trotzdem schon vor mehreren
Jahren ein französischer Ingenieur, M. Dieulafoy 22), die Vorbildlichkeit
gewisser altegyptischer Blätterformen für das jonische Kapitäl aus-
drücklich behauptet hat. Mit aller Entschiedenheit ist für den egyptischen
Volutenkelch als Ausgangspunkt für alle übrigen Palmettenformen der
antiken Stile Goodyear (S. 71 ff.) eingetreten, wobei er zugleich eine
Erklärung für die Entstehung des Volutenmotivs versucht hat.
Goodyear’s Erklärung für das Aufkommen des Volutenkelchs knüpft
20) Das jonische Kapitäl, im Anhange.
21) S. 71 ff. in den Anmerkungen verstreut.
22) Dieulafoy, L’art antique de la Perse III. 34 ff.
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/86>, abgerufen am 18.07.2024.
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