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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
zu sein scheint, niemals zu dauernden Erfolgen geführt, wogegen die
stilisirten Palmetten-, Akanthus- u. s. w. Ornamente ihre ewige, klassische
Bedeutung selbst noch in unserer modernen Zeit des Realismus bewahrt
haben. Von der durch gewisse stilisirte Blüthenprojektionen, z. B. die
Palmette, vorgezeichneten Linie der Entwicklung ist man in der Haupt-
sache bis in die späteste antike Zeit (und sagen wir auch gleich, bis
zum Spätmittelalter) nicht mehr abgewichen. Aus solcher Erwägung
heraus ergab sich uns die Aufgabe, das spätantike Pflanzenranken-
ornament mit der Arabeske zu verknüpfen, die dazwischenliegenden
Entwicklungsphasen durch datirte Beispiele aufzuzeigen, und dies ist
uns, trotz des fast absoluten Mangels an Vorarbeiten, hoffentlich auch
gelungen.

Was wir im Nachfolgenden noch zu sagen haben, betrifft an-
scheinend bloss ein bestimmtes provincielles Gebiet innerhalb der
grossen gemeinsaracenischen Kunst. Aber schon die damit verknüpften
Fragen von allgemeinerer Bedeutung mögen es rechtfertigen, wenn wir
das Kapitel von der Arabeske mit der Erörterung einer Dekorations-
weise von scheinbar bloss lokaler Bedeutung abschliessen.

Es hat nämlich in der Kunst des saracenischen Orients auch eine
Art von Pflanzenrankenornamentik gegeben, die man als eine natura-
lisirende
bezeichnen könnte. Die Denkmäler, auf denen sie uns er-
halten ist, bestehen hauptsächlich aus Knüpfteppichen und aus Thon-
fliesen, und als ihre Heimat wird überwiegend Persien bezeichnet91).
Die Entstehungszeit der bezüglichen Denkmäler reicht zwar grossen-
theils herab in die letzten drei Jahrhunderte, da europäischer Einfluss
nicht bloss in der Türkei, sondern auch in Persien nachweislich breiten
Eingang gewonnen hatte. Aber an einzelnen Beispielen lässt sich das
naturalisirende Pflanzenrankenwerk bis in das 15. Jahrh. zurück ver-
folgen.

Fig. 195 zeigt ein Fragment sammt Eckstück von der Bordüre
eines persischen Teppichs92), dessen Entstehung aus stilistischen Gründen
in das 16. Jahrh. verlegt wird. Das Grundschema der Rankenführung
bildet die intermittirende Wellenranke, und zwar nach echt saracenischer

91) Von der persisch-saracenischen durchaus abhängig ist die indische
Pflanzenranken-Ornamentik; den Thatbestand umzukehren, wie auch schon
geschehen ist, war abermals nur möglich unter der Herrschaft des Vorurtheils
von einer wesentlich autochthonen Entwicklung aller ornamentalen Künste.
92) Abgebildet in dem vom k. k. österr. Handelsmuseum herausgegebenen
Prachtwerke: Orientalische Teppiche Taf. II.
22*

2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
zu sein scheint, niemals zu dauernden Erfolgen geführt, wogegen die
stilisirten Palmetten-, Akanthus- u. s. w. Ornamente ihre ewige, klassische
Bedeutung selbst noch in unserer modernen Zeit des Realismus bewahrt
haben. Von der durch gewisse stilisirte Blüthenprojektionen, z. B. die
Palmette, vorgezeichneten Linie der Entwicklung ist man in der Haupt-
sache bis in die späteste antike Zeit (und sagen wir auch gleich, bis
zum Spätmittelalter) nicht mehr abgewichen. Aus solcher Erwägung
heraus ergab sich uns die Aufgabe, das spätantike Pflanzenranken-
ornament mit der Arabeske zu verknüpfen, die dazwischenliegenden
Entwicklungsphasen durch datirte Beispiele aufzuzeigen, und dies ist
uns, trotz des fast absoluten Mangels an Vorarbeiten, hoffentlich auch
gelungen.

Was wir im Nachfolgenden noch zu sagen haben, betrifft an-
scheinend bloss ein bestimmtes provincielles Gebiet innerhalb der
grossen gemeinsaracenischen Kunst. Aber schon die damit verknüpften
Fragen von allgemeinerer Bedeutung mögen es rechtfertigen, wenn wir
das Kapitel von der Arabeske mit der Erörterung einer Dekorations-
weise von scheinbar bloss lokaler Bedeutung abschliessen.

Es hat nämlich in der Kunst des saracenischen Orients auch eine
Art von Pflanzenrankenornamentik gegeben, die man als eine natura-
lisirende
bezeichnen könnte. Die Denkmäler, auf denen sie uns er-
halten ist, bestehen hauptsächlich aus Knüpfteppichen und aus Thon-
fliesen, und als ihre Heimat wird überwiegend Persien bezeichnet91).
Die Entstehungszeit der bezüglichen Denkmäler reicht zwar grossen-
theils herab in die letzten drei Jahrhunderte, da europäischer Einfluss
nicht bloss in der Türkei, sondern auch in Persien nachweislich breiten
Eingang gewonnen hatte. Aber an einzelnen Beispielen lässt sich das
naturalisirende Pflanzenrankenwerk bis in das 15. Jahrh. zurück ver-
folgen.

Fig. 195 zeigt ein Fragment sammt Eckstück von der Bordüre
eines persischen Teppichs92), dessen Entstehung aus stilistischen Gründen
in das 16. Jahrh. verlegt wird. Das Grundschema der Rankenführung
bildet die intermittirende Wellenranke, und zwar nach echt saracenischer

91) Von der persisch-saracenischen durchaus abhängig ist die indische
Pflanzenranken-Ornamentik; den Thatbestand umzukehren, wie auch schon
geschehen ist, war abermals nur möglich unter der Herrschaft des Vorurtheils
von einer wesentlich autochthonen Entwicklung aller ornamentalen Künste.
92) Abgebildet in dem vom k. k. österr. Handelsmuseum herausgegebenen
Prachtwerke: Orientalische Teppiche Taf. II.
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[339/0365] 2. Frühsaracenische Rankenornamentik. zu sein scheint, niemals zu dauernden Erfolgen geführt, wogegen die stilisirten Palmetten-, Akanthus- u. s. w. Ornamente ihre ewige, klassische Bedeutung selbst noch in unserer modernen Zeit des Realismus bewahrt haben. Von der durch gewisse stilisirte Blüthenprojektionen, z. B. die Palmette, vorgezeichneten Linie der Entwicklung ist man in der Haupt- sache bis in die späteste antike Zeit (und sagen wir auch gleich, bis zum Spätmittelalter) nicht mehr abgewichen. Aus solcher Erwägung heraus ergab sich uns die Aufgabe, das spätantike Pflanzenranken- ornament mit der Arabeske zu verknüpfen, die dazwischenliegenden Entwicklungsphasen durch datirte Beispiele aufzuzeigen, und dies ist uns, trotz des fast absoluten Mangels an Vorarbeiten, hoffentlich auch gelungen. Was wir im Nachfolgenden noch zu sagen haben, betrifft an- scheinend bloss ein bestimmtes provincielles Gebiet innerhalb der grossen gemeinsaracenischen Kunst. Aber schon die damit verknüpften Fragen von allgemeinerer Bedeutung mögen es rechtfertigen, wenn wir das Kapitel von der Arabeske mit der Erörterung einer Dekorations- weise von scheinbar bloss lokaler Bedeutung abschliessen. Es hat nämlich in der Kunst des saracenischen Orients auch eine Art von Pflanzenrankenornamentik gegeben, die man als eine natura- lisirende bezeichnen könnte. Die Denkmäler, auf denen sie uns er- halten ist, bestehen hauptsächlich aus Knüpfteppichen und aus Thon- fliesen, und als ihre Heimat wird überwiegend Persien bezeichnet 91). Die Entstehungszeit der bezüglichen Denkmäler reicht zwar grossen- theils herab in die letzten drei Jahrhunderte, da europäischer Einfluss nicht bloss in der Türkei, sondern auch in Persien nachweislich breiten Eingang gewonnen hatte. Aber an einzelnen Beispielen lässt sich das naturalisirende Pflanzenrankenwerk bis in das 15. Jahrh. zurück ver- folgen. Fig. 195 zeigt ein Fragment sammt Eckstück von der Bordüre eines persischen Teppichs 92), dessen Entstehung aus stilistischen Gründen in das 16. Jahrh. verlegt wird. Das Grundschema der Rankenführung bildet die intermittirende Wellenranke, und zwar nach echt saracenischer 91) Von der persisch-saracenischen durchaus abhängig ist die indische Pflanzenranken-Ornamentik; den Thatbestand umzukehren, wie auch schon geschehen ist, war abermals nur möglich unter der Herrschaft des Vorurtheils von einer wesentlich autochthonen Entwicklung aller ornamentalen Künste. 92) Abgebildet in dem vom k. k. österr. Handelsmuseum herausgegebenen Prachtwerke: Orientalische Teppiche Taf. II. 22*

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/365>, abgerufen am 04.12.2024.