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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
Schwierigkeiten an den Rändern zur Folge hatte. Die pompejanische
Kunst hatte es aber auch zu Wege gebracht, einen Ausgleich zu finden
zwischen dem geometrischen Grundschema und der Neigung für eine
nichtgeometrische Füllung: indem sie entsprechend stilisirte vege-
tabilische Motive dazu verwendet hat, um damit geometri-
sche Kompartimente zu bilden
. Der Beweis liegt vor auf einer
mosaicirten Säule im Neapeler Museum (Fig. 171)66): das Rautennetz
ist durch Blüthenkelche hergestellt, die auf gerade Diagonallinien auf-
gereiht sind; an den Durchkreuzungsstellen sitzen Rosetten mit vier
kreuzweise davon ausgehenden dreispältigen Blüthenprofilen, als Fül-
lungen dienen gleichfalls Rosetten, wofür
auch der Grund klar zu Tage liegt: die
Rosette zeigt nämlich die symmetrischeste,
und daher geometrischeste Projektion, in
der sich überhaupt Blumen darstellen
lassen.

Die Wichtigkeit, die das eben erörterte
pompejanische Flächenmuster innerhalb der
Gesammtgeschichte der Ornamentik bean-
spruchen darf, kann nicht genug betont
werden. Es liegt uns hiemit ein vollkom-
mener unendlicher Rapport vor, bestritten
durch vegetabilische Motive in der ent-
sprechenden Auswahl und Stilisirung. Zum
ersten Male tritt uns hier dieses Schema
entgegen, das späterhin in der saraceni-

[Abbildung] Fig. 171.

Mosaizirter Säulenschaft
aus Pompeji.

schen Dekoration, insbesondere in der Ornamentik von Teppichen
und Fliesen von so übermächtiger Bedeutsamkeit geworden ist: halbe
Blumenprofile an den Rändern, die sich in der Phantasie zu ganzen
ergänzen und somit das Muster in's Unendliche fortspinnen lassen.
Wie überraschend dieses Beispiel uns innerhalb der pompejanischen Orna-
mentik entgegentritt, wird erst recht klar, wenn man sich vergegen-
wärtigt, wie peinlich die Römer noch in viel späterer Zeit darauf ge-
sehen haben, vegetabilische Ornamente in der Komposition als untheil-
bares Ganzes zur Anschauung zu bringen. Als solches typisches Beispiel
für römische Flächendekoration mittels vegetabilischer Ornamentmotive
diene Fig. 17267).


66) Niccolini, Descriz. gen. LXIII.
67) Desgodetz, Les edifices antiques de Rome, Temple du Jupiter tonnant III.

2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
Schwierigkeiten an den Rändern zur Folge hatte. Die pompejanische
Kunst hatte es aber auch zu Wege gebracht, einen Ausgleich zu finden
zwischen dem geometrischen Grundschema und der Neigung für eine
nichtgeometrische Füllung: indem sie entsprechend stilisirte vege-
tabilische Motive dazu verwendet hat, um damit geometri-
sche Kompartimente zu bilden
. Der Beweis liegt vor auf einer
mosaicirten Säule im Neapeler Museum (Fig. 171)66): das Rautennetz
ist durch Blüthenkelche hergestellt, die auf gerade Diagonallinien auf-
gereiht sind; an den Durchkreuzungsstellen sitzen Rosetten mit vier
kreuzweise davon ausgehenden dreispältigen Blüthenprofilen, als Fül-
lungen dienen gleichfalls Rosetten, wofür
auch der Grund klar zu Tage liegt: die
Rosette zeigt nämlich die symmetrischeste,
und daher geometrischeste Projektion, in
der sich überhaupt Blumen darstellen
lassen.

Die Wichtigkeit, die das eben erörterte
pompejanische Flächenmuster innerhalb der
Gesammtgeschichte der Ornamentik bean-
spruchen darf, kann nicht genug betont
werden. Es liegt uns hiemit ein vollkom-
mener unendlicher Rapport vor, bestritten
durch vegetabilische Motive in der ent-
sprechenden Auswahl und Stilisirung. Zum
ersten Male tritt uns hier dieses Schema
entgegen, das späterhin in der saraceni-

[Abbildung] Fig. 171.

Mosaizirter Säulenschaft
aus Pompeji.

schen Dekoration, insbesondere in der Ornamentik von Teppichen
und Fliesen von so übermächtiger Bedeutsamkeit geworden ist: halbe
Blumenprofile an den Rändern, die sich in der Phantasie zu ganzen
ergänzen und somit das Muster in’s Unendliche fortspinnen lassen.
Wie überraschend dieses Beispiel uns innerhalb der pompejanischen Orna-
mentik entgegentritt, wird erst recht klar, wenn man sich vergegen-
wärtigt, wie peinlich die Römer noch in viel späterer Zeit darauf ge-
sehen haben, vegetabilische Ornamente in der Komposition als untheil-
bares Ganzes zur Anschauung zu bringen. Als solches typisches Beispiel
für römische Flächendekoration mittels vegetabilischer Ornamentmotive
diene Fig. 17267).


66) Niccolini, Descriz. gen. LXIII.
67) Desgodetz, Les édifices antiques de Rome, Temple du Jupiter tonnant III.
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[313/0339] 2. Frühsaracenische Rankenornamentik. Schwierigkeiten an den Rändern zur Folge hatte. Die pompejanische Kunst hatte es aber auch zu Wege gebracht, einen Ausgleich zu finden zwischen dem geometrischen Grundschema und der Neigung für eine nichtgeometrische Füllung: indem sie entsprechend stilisirte vege- tabilische Motive dazu verwendet hat, um damit geometri- sche Kompartimente zu bilden. Der Beweis liegt vor auf einer mosaicirten Säule im Neapeler Museum (Fig. 171) 66): das Rautennetz ist durch Blüthenkelche hergestellt, die auf gerade Diagonallinien auf- gereiht sind; an den Durchkreuzungsstellen sitzen Rosetten mit vier kreuzweise davon ausgehenden dreispältigen Blüthenprofilen, als Fül- lungen dienen gleichfalls Rosetten, wofür auch der Grund klar zu Tage liegt: die Rosette zeigt nämlich die symmetrischeste, und daher geometrischeste Projektion, in der sich überhaupt Blumen darstellen lassen. Die Wichtigkeit, die das eben erörterte pompejanische Flächenmuster innerhalb der Gesammtgeschichte der Ornamentik bean- spruchen darf, kann nicht genug betont werden. Es liegt uns hiemit ein vollkom- mener unendlicher Rapport vor, bestritten durch vegetabilische Motive in der ent- sprechenden Auswahl und Stilisirung. Zum ersten Male tritt uns hier dieses Schema entgegen, das späterhin in der saraceni- [Abbildung Fig. 171. Mosaizirter Säulenschaft aus Pompeji.] schen Dekoration, insbesondere in der Ornamentik von Teppichen und Fliesen von so übermächtiger Bedeutsamkeit geworden ist: halbe Blumenprofile an den Rändern, die sich in der Phantasie zu ganzen ergänzen und somit das Muster in’s Unendliche fortspinnen lassen. Wie überraschend dieses Beispiel uns innerhalb der pompejanischen Orna- mentik entgegentritt, wird erst recht klar, wenn man sich vergegen- wärtigt, wie peinlich die Römer noch in viel späterer Zeit darauf ge- sehen haben, vegetabilische Ornamente in der Komposition als untheil- bares Ganzes zur Anschauung zu bringen. Als solches typisches Beispiel für römische Flächendekoration mittels vegetabilischer Ornamentmotive diene Fig. 172 67). 66) Niccolini, Descriz. gen. LXIII. 67) Desgodetz, Les édifices antiques de Rome, Temple du Jupiter tonnant III.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/339>, abgerufen am 23.12.2024.