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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
fortlaufenden Rankenschösslings in eine entgegengesetzte Richtung,
2. der Umstand, dass die durch das Volutenkelchblatt am unteren An-
satz deutlich charakterisirte Palmette nicht die freie Endigung des
Schösslings bildet, sondern denselben bloss durchsetzt. Wie aber
diese beiden, scheinbar grundsätzlichen Unterschiede bereits im alt-
griechischen Schema vorgebildet gewesen sind, beweist die in Fig. 167 a
gegebene Uebersetzung von Fig. 167 in's Antike. Die Ranke läuft hier
nicht einheitlich fort, sondern theilt sich, und die Palmette ist blosse
Zwickelfüllung53). Die byzantinische Zwischenstufe finden wir in Fig. 160.

Noch auf zwei Punkte, die uns an Fig. 167 bedeutsam entgegen-
treten, muss die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Erstlich auf die ausge-
sprochene tropfenförmige Zwickelfüllung in den Winkeln, die durch
die Abzweigung eines Hauptschösslings von der Hauptranke entstehen.
Das Postulat der Zwickelfüllung, überaus mächtig in pharaonischer Zeit
(S. 62), ist in Egypten auch im Mittelalter in bevorzugter Anwendung
geblieben. Man vgl. hiefür namentlich die Beispiele aus koptischen
Miniaturen, die Stassoff54) gegeben hat: die weit ausladenden, ovalen
Knöpfe in den Rankenzwickeln wirken daselbst geradezu unschön und
anstössig. Das zweite, noch bemerkenswerthere Detail an Fig. 167 be-
steht in den kommaähnlichen Schlitzen, durch welche jede Palmette
oder vielmehr Halbpalmette zweigetheilt ist. Es drückt sich darin eine
Untertheilung des durchsetzenden Blüthenmotivs aus, die neben der
Gliederung der Blattperipherie in Zacken nebenherläuft. Inwiefern
dieses Detail für die Fortentwicklung bedeutsam gewesen ist, wird sich
sofort an einem geeigneteren Beispiele zeigen lassen.

An Fig. 16855) laufen die Ranken zu spitzovalen Konfigurationen
zusammen. In das Innere der Spitzovale werden von unten zwei
Ranken entsendet, die sich in zwei Halbpalmetten fortsetzen. Diese
Halbpalmetten treten als Fächerhälften zu einer gesprengten Palmette
zusammen, die aber nocht nicht freie Endigung ist, sondern eine blosse
Durchsetzung der Ranken, die von den Spitzenden der beiden Fächer-
hälften sich fortsetzend umschlagen und nach abermaligem Zusammen-
schlusse erst in ein Dreiblatt auslaufen, das nun eine definitive freie
Endigung bildet. Auch für diese Art der Rankenführung fiele es nicht
schwer, das nackte klassische Schema hinzuzuzeichnen. Wir sind aber

53) Diese schematische Uebersetzung ist übrigens für das Mittelalter auch
monumental zu erweisen: Tragaltar in der Coll. Spitzer, Jvoires XIII.
54) Ornement slave et oriental Taf. 132--135.
55) Prisse a. a. O. 6.
Riegl, Stilfragen. 20

2. Frühsaracenische Rankenornamentik.
fortlaufenden Rankenschösslings in eine entgegengesetzte Richtung,
2. der Umstand, dass die durch das Volutenkelchblatt am unteren An-
satz deutlich charakterisirte Palmette nicht die freie Endigung des
Schösslings bildet, sondern denselben bloss durchsetzt. Wie aber
diese beiden, scheinbar grundsätzlichen Unterschiede bereits im alt-
griechischen Schema vorgebildet gewesen sind, beweist die in Fig. 167 a
gegebene Uebersetzung von Fig. 167 in’s Antike. Die Ranke läuft hier
nicht einheitlich fort, sondern theilt sich, und die Palmette ist blosse
Zwickelfüllung53). Die byzantinische Zwischenstufe finden wir in Fig. 160.

Noch auf zwei Punkte, die uns an Fig. 167 bedeutsam entgegen-
treten, muss die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Erstlich auf die ausge-
sprochene tropfenförmige Zwickelfüllung in den Winkeln, die durch
die Abzweigung eines Hauptschösslings von der Hauptranke entstehen.
Das Postulat der Zwickelfüllung, überaus mächtig in pharaonischer Zeit
(S. 62), ist in Egypten auch im Mittelalter in bevorzugter Anwendung
geblieben. Man vgl. hiefür namentlich die Beispiele aus koptischen
Miniaturen, die Stassoff54) gegeben hat: die weit ausladenden, ovalen
Knöpfe in den Rankenzwickeln wirken daselbst geradezu unschön und
anstössig. Das zweite, noch bemerkenswerthere Detail an Fig. 167 be-
steht in den kommaähnlichen Schlitzen, durch welche jede Palmette
oder vielmehr Halbpalmette zweigetheilt ist. Es drückt sich darin eine
Untertheilung des durchsetzenden Blüthenmotivs aus, die neben der
Gliederung der Blattperipherie in Zacken nebenherläuft. Inwiefern
dieses Detail für die Fortentwicklung bedeutsam gewesen ist, wird sich
sofort an einem geeigneteren Beispiele zeigen lassen.

An Fig. 16855) laufen die Ranken zu spitzovalen Konfigurationen
zusammen. In das Innere der Spitzovale werden von unten zwei
Ranken entsendet, die sich in zwei Halbpalmetten fortsetzen. Diese
Halbpalmetten treten als Fächerhälften zu einer gesprengten Palmette
zusammen, die aber nocht nicht freie Endigung ist, sondern eine blosse
Durchsetzung der Ranken, die von den Spitzenden der beiden Fächer-
hälften sich fortsetzend umschlagen und nach abermaligem Zusammen-
schlusse erst in ein Dreiblatt auslaufen, das nun eine definitive freie
Endigung bildet. Auch für diese Art der Rankenführung fiele es nicht
schwer, das nackte klassische Schema hinzuzuzeichnen. Wir sind aber

53) Diese schematische Uebersetzung ist übrigens für das Mittelalter auch
monumental zu erweisen: Tragaltar in der Coll. Spitzer, Jvoires XIII.
54) Ornement slave et oriental Taf. 132—135.
55) Prisse a. a. O. 6.
Riegl, Stilfragen. 20
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[305/0331] 2. Frühsaracenische Rankenornamentik. fortlaufenden Rankenschösslings in eine entgegengesetzte Richtung, 2. der Umstand, dass die durch das Volutenkelchblatt am unteren An- satz deutlich charakterisirte Palmette nicht die freie Endigung des Schösslings bildet, sondern denselben bloss durchsetzt. Wie aber diese beiden, scheinbar grundsätzlichen Unterschiede bereits im alt- griechischen Schema vorgebildet gewesen sind, beweist die in Fig. 167 a gegebene Uebersetzung von Fig. 167 in’s Antike. Die Ranke läuft hier nicht einheitlich fort, sondern theilt sich, und die Palmette ist blosse Zwickelfüllung 53). Die byzantinische Zwischenstufe finden wir in Fig. 160. Noch auf zwei Punkte, die uns an Fig. 167 bedeutsam entgegen- treten, muss die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Erstlich auf die ausge- sprochene tropfenförmige Zwickelfüllung in den Winkeln, die durch die Abzweigung eines Hauptschösslings von der Hauptranke entstehen. Das Postulat der Zwickelfüllung, überaus mächtig in pharaonischer Zeit (S. 62), ist in Egypten auch im Mittelalter in bevorzugter Anwendung geblieben. Man vgl. hiefür namentlich die Beispiele aus koptischen Miniaturen, die Stassoff 54) gegeben hat: die weit ausladenden, ovalen Knöpfe in den Rankenzwickeln wirken daselbst geradezu unschön und anstössig. Das zweite, noch bemerkenswerthere Detail an Fig. 167 be- steht in den kommaähnlichen Schlitzen, durch welche jede Palmette oder vielmehr Halbpalmette zweigetheilt ist. Es drückt sich darin eine Untertheilung des durchsetzenden Blüthenmotivs aus, die neben der Gliederung der Blattperipherie in Zacken nebenherläuft. Inwiefern dieses Detail für die Fortentwicklung bedeutsam gewesen ist, wird sich sofort an einem geeigneteren Beispiele zeigen lassen. An Fig. 168 55) laufen die Ranken zu spitzovalen Konfigurationen zusammen. In das Innere der Spitzovale werden von unten zwei Ranken entsendet, die sich in zwei Halbpalmetten fortsetzen. Diese Halbpalmetten treten als Fächerhälften zu einer gesprengten Palmette zusammen, die aber nocht nicht freie Endigung ist, sondern eine blosse Durchsetzung der Ranken, die von den Spitzenden der beiden Fächer- hälften sich fortsetzend umschlagen und nach abermaligem Zusammen- schlusse erst in ein Dreiblatt auslaufen, das nun eine definitive freie Endigung bildet. Auch für diese Art der Rankenführung fiele es nicht schwer, das nackte klassische Schema hinzuzuzeichnen. Wir sind aber 53) Diese schematische Uebersetzung ist übrigens für das Mittelalter auch monumental zu erweisen: Tragaltar in der Coll. Spitzer, Jvoires XIII. 54) Ornement slave et oriental Taf. 132—135. 55) Prisse a. a. O. 6. Riegl, Stilfragen. 20

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/331>, abgerufen am 12.12.2024.