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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst.
Giebels ist mit einer nicht eben fein ausgeführten Gruppe von zwei
Personen geschmückt, worin Gayet David und Bathseba erkennen wollte.
Uns interessirt hier bloss das Ornament, das sich in dem zweimal spitz-
winklig gebrochenen Bordürenbande befindet. Dieses Ornament besteht
aus zwei ineinander verschlungenen Wellenranken. Die Blätter -- drei-
theilige Ableger des Akanthusblattes, wo nicht direkte Epigonen der
flachen Halbpalmetten -- zweigen nicht frei an selbständigen Stielen
von der Ranke ab, sondern durchsetzen die letztere. Eines der drei
Blättchen, aus denen jedes grössere Blatt besteht, ist nach rückwärts
gekrümmt, und somit als Kelchblatt aufzufassen; die beiden anderen
Blätter weisen in der Richtung der Ranke. Man braucht bloss diese
beiden letzteren nicht in selbständiger Ausladung zu belassen, sondern
in eine feste, glatte Umrisslinie zu bannen, und wir haben eines der
allergebräuchlichsten saracenischen Streifenmuster, namentlich für
pilasterförmig aufsteigende Füllungen. Zu Grunde liegt wiederum
nichts anderes, als die neue emancipirte Weise, die Ranke von den
Spitzen der unfreien Akanthushalbblätter oder Halbpalmetten weiter zu
führen. Wo aber die Ranken endgiltig auslaufen, dort bilden Voll-
blätter (oder Vollpalmetten, was bei der nunmehrigen schematischen
Stilisirung schwer zu entscheiden ist) die freie Endigung.

Wie es das spätere häufige Vorkommen dieser Art von Ranken-
verzierung in der ausgebildet saracenischen Stilisirung erwarten lässt,
ist dasselbe in der byzantinischen Uebergangsfassung an Skulpturen
egyptischer Provenienz noch wiederholt nachzuweisen: so bei Gayet
Taf. 4 und Taf. 93. Gayet allerdings will die figürlichen Darstellungen,
die damit auf Taf 4 und 6 verbunden sind, als Zeugnisse für byzan-
tinischen Ursprung geltend machen und die Stücke daher für importirt
ansehen. Wir, die wir Gayet's Unterscheidung zwischen einer byzan-
tinischen und einer national-egyptischen Kunst im 6. und 7. Jahrhundert
n. Ch. keineswegs für begründet erachten, werden auch die erwähnten
Denkmäler ohne Bedenken egyptischem Ursprunge zuweisen. Aber
wenn dem selbst so wäre, wie Gayet möchte, würde dies für unseren
Gegenstand kein wesentlich anderes Resultat bedeuten: der zur sara-
cenischen Einverleibung des Profilblattes in die Ranke treibende Zug,
der sich als dem Schema von Fig. 159 zu Grunde liegend erwiesen hat,
wurde ja von uns bereits an so vielen anderen Denkmälern aus dem
oströmischen Reiche, auch solchen lokal konstantinopolitanischer Her-
kunft, festgestellt. Es ist nur ein recht unzweideutiger und entschiedener
Schritt nach der angedeuteten Richtung, den uns Fig. 159 repräsentirt,

1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst.
Giebels ist mit einer nicht eben fein ausgeführten Gruppe von zwei
Personen geschmückt, worin Gayet David und Bathseba erkennen wollte.
Uns interessirt hier bloss das Ornament, das sich in dem zweimal spitz-
winklig gebrochenen Bordürenbande befindet. Dieses Ornament besteht
aus zwei ineinander verschlungenen Wellenranken. Die Blätter — drei-
theilige Ableger des Akanthusblattes, wo nicht direkte Epigonen der
flachen Halbpalmetten — zweigen nicht frei an selbständigen Stielen
von der Ranke ab, sondern durchsetzen die letztere. Eines der drei
Blättchen, aus denen jedes grössere Blatt besteht, ist nach rückwärts
gekrümmt, und somit als Kelchblatt aufzufassen; die beiden anderen
Blätter weisen in der Richtung der Ranke. Man braucht bloss diese
beiden letzteren nicht in selbständiger Ausladung zu belassen, sondern
in eine feste, glatte Umrisslinie zu bannen, und wir haben eines der
allergebräuchlichsten saracenischen Streifenmuster, namentlich für
pilasterförmig aufsteigende Füllungen. Zu Grunde liegt wiederum
nichts anderes, als die neue emancipirte Weise, die Ranke von den
Spitzen der unfreien Akanthushalbblätter oder Halbpalmetten weiter zu
führen. Wo aber die Ranken endgiltig auslaufen, dort bilden Voll-
blätter (oder Vollpalmetten, was bei der nunmehrigen schematischen
Stilisirung schwer zu entscheiden ist) die freie Endigung.

Wie es das spätere häufige Vorkommen dieser Art von Ranken-
verzierung in der ausgebildet saracenischen Stilisirung erwarten lässt,
ist dasselbe in der byzantinischen Uebergangsfassung an Skulpturen
egyptischer Provenienz noch wiederholt nachzuweisen: so bei Gayet
Taf. 4 und Taf. 93. Gayet allerdings will die figürlichen Darstellungen,
die damit auf Taf 4 und 6 verbunden sind, als Zeugnisse für byzan-
tinischen Ursprung geltend machen und die Stücke daher für importirt
ansehen. Wir, die wir Gayet’s Unterscheidung zwischen einer byzan-
tinischen und einer national-egyptischen Kunst im 6. und 7. Jahrhundert
n. Ch. keineswegs für begründet erachten, werden auch die erwähnten
Denkmäler ohne Bedenken egyptischem Ursprunge zuweisen. Aber
wenn dem selbst so wäre, wie Gayet möchte, würde dies für unseren
Gegenstand kein wesentlich anderes Resultat bedeuten: der zur sara-
cenischen Einverleibung des Profilblattes in die Ranke treibende Zug,
der sich als dem Schema von Fig. 159 zu Grunde liegend erwiesen hat,
wurde ja von uns bereits an so vielen anderen Denkmälern aus dem
oströmischen Reiche, auch solchen lokal konstantinopolitanischer Her-
kunft, festgestellt. Es ist nur ein recht unzweideutiger und entschiedener
Schritt nach der angedeuteten Richtung, den uns Fig. 159 repräsentirt,

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[295/0321] 1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst. Giebels ist mit einer nicht eben fein ausgeführten Gruppe von zwei Personen geschmückt, worin Gayet David und Bathseba erkennen wollte. Uns interessirt hier bloss das Ornament, das sich in dem zweimal spitz- winklig gebrochenen Bordürenbande befindet. Dieses Ornament besteht aus zwei ineinander verschlungenen Wellenranken. Die Blätter — drei- theilige Ableger des Akanthusblattes, wo nicht direkte Epigonen der flachen Halbpalmetten — zweigen nicht frei an selbständigen Stielen von der Ranke ab, sondern durchsetzen die letztere. Eines der drei Blättchen, aus denen jedes grössere Blatt besteht, ist nach rückwärts gekrümmt, und somit als Kelchblatt aufzufassen; die beiden anderen Blätter weisen in der Richtung der Ranke. Man braucht bloss diese beiden letzteren nicht in selbständiger Ausladung zu belassen, sondern in eine feste, glatte Umrisslinie zu bannen, und wir haben eines der allergebräuchlichsten saracenischen Streifenmuster, namentlich für pilasterförmig aufsteigende Füllungen. Zu Grunde liegt wiederum nichts anderes, als die neue emancipirte Weise, die Ranke von den Spitzen der unfreien Akanthushalbblätter oder Halbpalmetten weiter zu führen. Wo aber die Ranken endgiltig auslaufen, dort bilden Voll- blätter (oder Vollpalmetten, was bei der nunmehrigen schematischen Stilisirung schwer zu entscheiden ist) die freie Endigung. Wie es das spätere häufige Vorkommen dieser Art von Ranken- verzierung in der ausgebildet saracenischen Stilisirung erwarten lässt, ist dasselbe in der byzantinischen Uebergangsfassung an Skulpturen egyptischer Provenienz noch wiederholt nachzuweisen: so bei Gayet Taf. 4 und Taf. 93. Gayet allerdings will die figürlichen Darstellungen, die damit auf Taf 4 und 6 verbunden sind, als Zeugnisse für byzan- tinischen Ursprung geltend machen und die Stücke daher für importirt ansehen. Wir, die wir Gayet’s Unterscheidung zwischen einer byzan- tinischen und einer national-egyptischen Kunst im 6. und 7. Jahrhundert n. Ch. keineswegs für begründet erachten, werden auch die erwähnten Denkmäler ohne Bedenken egyptischem Ursprunge zuweisen. Aber wenn dem selbst so wäre, wie Gayet möchte, würde dies für unseren Gegenstand kein wesentlich anderes Resultat bedeuten: der zur sara- cenischen Einverleibung des Profilblattes in die Ranke treibende Zug, der sich als dem Schema von Fig. 159 zu Grunde liegend erwiesen hat, wurde ja von uns bereits an so vielen anderen Denkmälern aus dem oströmischen Reiche, auch solchen lokal konstantinopolitanischer Her- kunft, festgestellt. Es ist nur ein recht unzweideutiger und entschiedener Schritt nach der angedeuteten Richtung, den uns Fig. 159 repräsentirt,

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/321>, abgerufen am 30.11.2024.