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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst.
und Technik von sehr wesentlichem Einflusse gewesen sein: so wird
die Malerei naturgemäss die lappige Blattbildung bevorzugen, während
die Steinskulptur der scharfkantigen zuneigt. Aber auch lokale Unter-
schiede werden obgewaltet haben -- Unterschiede, die zwar innerhalb
der kanonischen römischen Universalkunst keine wesentliche Bedeutung
gewinnen konnten, aber zur Zeit, da neue Impulse auftraten, neue
Dekorationsweisen in Fluss kamen, sehr wohl zu einer maassgebenderen
Stellung gelangen konnten. Wir wollen daher, bevor wir an die Erörte-
rung zweifellos saracenischer Denkmäler schreiten, noch raschen
Schrittes die Provinzen des oströmischen Reiches durcheilen, um zu
sehen, welche Fortsetzungen sich daselbst an die spätantike Universal-
kunst geknüpft haben.

[Abbildung] Fig. 157.

Gesimsstück aus El-Barah in Syrien.

Verhältnissmässig am meisten Kenntniss ist uns von der spätantik-
frühmittelalterlichen Kunst in Syrien geworden. Die Aufnahmen, die
der Graf de Vogüe von den centralsyrischen Städteruinen gemacht hat,
würden genügen, uns ein geschlossenes Charakterbild der syrischen
Ornamentik jener Zeit zu entwerfen, soweit dieselbe in der Architektur
Ausdruck gefunden hat. Wir werden uns im Folgenden bloss auf das
Pflanzenrankenornament beschränken.

Fig. 157 ist die Reproduktion eines Frieses von der grossen Pyra-
mide von El-Barah 37), die von de Vogüe in das 5. Jahrh. datirt wird.
Die fortlaufende Akanthusranke, die diesen Fries ziert, bringt uns so-
fort ein ähnliches Denkmal in Erinnerung, den Architrav von St. Johannes
zu Konstantinopel, Fig. 142. Vergleichen wir beide nebeneinander, so
gelangen wir zu dem überraschenden, aber unabweisbaren Ergebniss,
dass das syrische Beispiel die Vorstufe des konstantinopolitanischen
bildet. Gerade das, was wir an Fig. 142 vermisst haben, und was uns
darum von vornherein zögern hat lassen, darin eine fortlaufende Akan-

37) De Vogüe, Syrie centrale Taf. 76.
19*

1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst.
und Technik von sehr wesentlichem Einflusse gewesen sein: so wird
die Malerei naturgemäss die lappige Blattbildung bevorzugen, während
die Steinskulptur der scharfkantigen zuneigt. Aber auch lokale Unter-
schiede werden obgewaltet haben — Unterschiede, die zwar innerhalb
der kanonischen römischen Universalkunst keine wesentliche Bedeutung
gewinnen konnten, aber zur Zeit, da neue Impulse auftraten, neue
Dekorationsweisen in Fluss kamen, sehr wohl zu einer maassgebenderen
Stellung gelangen konnten. Wir wollen daher, bevor wir an die Erörte-
rung zweifellos saracenischer Denkmäler schreiten, noch raschen
Schrittes die Provinzen des oströmischen Reiches durcheilen, um zu
sehen, welche Fortsetzungen sich daselbst an die spätantike Universal-
kunst geknüpft haben.

[Abbildung] Fig. 157.

Gesimsstück aus El-Barah in Syrien.

Verhältnissmässig am meisten Kenntniss ist uns von der spätantik-
frühmittelalterlichen Kunst in Syrien geworden. Die Aufnahmen, die
der Graf de Vogüé von den centralsyrischen Städteruinen gemacht hat,
würden genügen, uns ein geschlossenes Charakterbild der syrischen
Ornamentik jener Zeit zu entwerfen, soweit dieselbe in der Architektur
Ausdruck gefunden hat. Wir werden uns im Folgenden bloss auf das
Pflanzenrankenornament beschränken.

Fig. 157 ist die Reproduktion eines Frieses von der grossen Pyra-
mide von El-Barah 37), die von de Vogüé in das 5. Jahrh. datirt wird.
Die fortlaufende Akanthusranke, die diesen Fries ziert, bringt uns so-
fort ein ähnliches Denkmal in Erinnerung, den Architrav von St. Johannes
zu Konstantinopel, Fig. 142. Vergleichen wir beide nebeneinander, so
gelangen wir zu dem überraschenden, aber unabweisbaren Ergebniss,
dass das syrische Beispiel die Vorstufe des konstantinopolitanischen
bildet. Gerade das, was wir an Fig. 142 vermisst haben, und was uns
darum von vornherein zögern hat lassen, darin eine fortlaufende Akan-

37) De Vogüé, Syrie centrale Taf. 76.
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[291/0317] 1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst. und Technik von sehr wesentlichem Einflusse gewesen sein: so wird die Malerei naturgemäss die lappige Blattbildung bevorzugen, während die Steinskulptur der scharfkantigen zuneigt. Aber auch lokale Unter- schiede werden obgewaltet haben — Unterschiede, die zwar innerhalb der kanonischen römischen Universalkunst keine wesentliche Bedeutung gewinnen konnten, aber zur Zeit, da neue Impulse auftraten, neue Dekorationsweisen in Fluss kamen, sehr wohl zu einer maassgebenderen Stellung gelangen konnten. Wir wollen daher, bevor wir an die Erörte- rung zweifellos saracenischer Denkmäler schreiten, noch raschen Schrittes die Provinzen des oströmischen Reiches durcheilen, um zu sehen, welche Fortsetzungen sich daselbst an die spätantike Universal- kunst geknüpft haben. [Abbildung Fig. 157. Gesimsstück aus El-Barah in Syrien. ] Verhältnissmässig am meisten Kenntniss ist uns von der spätantik- frühmittelalterlichen Kunst in Syrien geworden. Die Aufnahmen, die der Graf de Vogüé von den centralsyrischen Städteruinen gemacht hat, würden genügen, uns ein geschlossenes Charakterbild der syrischen Ornamentik jener Zeit zu entwerfen, soweit dieselbe in der Architektur Ausdruck gefunden hat. Wir werden uns im Folgenden bloss auf das Pflanzenrankenornament beschränken. Fig. 157 ist die Reproduktion eines Frieses von der grossen Pyra- mide von El-Barah 37), die von de Vogüé in das 5. Jahrh. datirt wird. Die fortlaufende Akanthusranke, die diesen Fries ziert, bringt uns so- fort ein ähnliches Denkmal in Erinnerung, den Architrav von St. Johannes zu Konstantinopel, Fig. 142. Vergleichen wir beide nebeneinander, so gelangen wir zu dem überraschenden, aber unabweisbaren Ergebniss, dass das syrische Beispiel die Vorstufe des konstantinopolitanischen bildet. Gerade das, was wir an Fig. 142 vermisst haben, und was uns darum von vornherein zögern hat lassen, darin eine fortlaufende Akan- 37) De Vogüé, Syrie centrale Taf. 76. 19*

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/317>, abgerufen am 29.11.2024.