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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
Zeit gestellt waren, vermitteln. Eine neue religiöse Vorstellungswelt,
ein neuer Kultus hatten neue künstlerische Bedürfnisse und Aufgaben
geschaffen. Wie wenig zwar dieselben ursprünglich ein Heraustreten
aus der klassisch-antiken Dekorationswelt nothwendig erscheinen liessen,
wissen wir sattsam aus der Katakombenkunst. Erst allmälig verliess
man die Orpheus- und Hermes-Typen und schuf sich selbständige, na-
türlich in klassisch-traditioneller Pose und Gewandung. Aber all dies
war zunächst nur sozusagen Nothbau, ermangelte der wahrhaft künstle-
rischen Durchbildung und Behandlung. Es ist ein charakteristisches
Merkmal der altchristlichen Bildwerke, dass an ihnen gerade auf die
eigentlich künstlerischen Momente nur geringer Werth gelegt erscheint.
Man suchte irgend eine testamentarische Figur, den Träger irgend
einer der neuen religiösen Ideen zu verkörpern: auf Schönheit, Wohl-
laut, Ebenmaass wurde wenig Gewicht gelegt. Die Form wurde von
der Idee todtgeschlagen, -- soweit dies nämlich bei einem Künstler, der
wenigstens äusserlich noch unter dem Einflusse der klassischen Tradition
stand, eben möglich war.

Freilich musste späterhin eine Zeit kommen, wo der unversieg-
bare Drang nach Pflege des Formschönen wieder rege wurde und sich
an den christlichen Bildwerken und Malereien zu bethätigen suchte.
Auch dieser Drang wurde im byzantinischen Reiche nahezu im Keime
erstickt durch den Bildersturm. Und nachdem auch die letztere Be-
wegung ausgetobt hatte, war doch soviel in der Stimmung der Ge-
müther zurückgeblieben, dass das Kunstschaffen auf religiösem Gebiete
durch Regeln und Satzungen eng umgrenzt wurde. Wie weit sich da
Schönheitsdrang und wahrer Kunstschaffenstrieb noch bethätigen konnten,
ist es geschehen: dass nicht viel Raum hiezu übrig blieb, lag in der
Natur der Verhältnisse. Ja diese Wiederaufnahme der religiösen Kunst
wurde -- von einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet -- sogar zum
Verhängnisse für die Byzantiner: das Höchste darin zu erstreben, wie
es die Abendländer thaten, verwehrten ihnen ihre Satzungen, aber da
doch figürlich-religiöse Darstellungen den Hauptgegenstand künstleri-
schen Schaffens bilden sollten, kam man anderseits auch nicht dazu,
die Kunst entschieden auf rein dekorativen Boden, auf die Befriedigung
blosser menschlicher Schmuckfreudigkeit zu stellen, welchen Schritt
bekanntlich die Saracenen zu ihrem Vortheile gethan haben. Schwan-
kend in der Mitte zwischen dem Ringen nach dem Höchsten in der
religiösen Kunst und dem Streben nach Schaffung einer möglichst voll-
kommenen dekorativen Augenblicks-Augenweide, beides aber niemals

Die Arabeske.
Zeit gestellt waren, vermitteln. Eine neue religiöse Vorstellungswelt,
ein neuer Kultus hatten neue künstlerische Bedürfnisse und Aufgaben
geschaffen. Wie wenig zwar dieselben ursprünglich ein Heraustreten
aus der klassisch-antiken Dekorationswelt nothwendig erscheinen liessen,
wissen wir sattsam aus der Katakombenkunst. Erst allmälig verliess
man die Orpheus- und Hermes-Typen und schuf sich selbständige, na-
türlich in klassisch-traditioneller Pose und Gewandung. Aber all dies
war zunächst nur sozusagen Nothbau, ermangelte der wahrhaft künstle-
rischen Durchbildung und Behandlung. Es ist ein charakteristisches
Merkmal der altchristlichen Bildwerke, dass an ihnen gerade auf die
eigentlich künstlerischen Momente nur geringer Werth gelegt erscheint.
Man suchte irgend eine testamentarische Figur, den Träger irgend
einer der neuen religiösen Ideen zu verkörpern: auf Schönheit, Wohl-
laut, Ebenmaass wurde wenig Gewicht gelegt. Die Form wurde von
der Idee todtgeschlagen, — soweit dies nämlich bei einem Künstler, der
wenigstens äusserlich noch unter dem Einflusse der klassischen Tradition
stand, eben möglich war.

Freilich musste späterhin eine Zeit kommen, wo der unversieg-
bare Drang nach Pflege des Formschönen wieder rege wurde und sich
an den christlichen Bildwerken und Malereien zu bethätigen suchte.
Auch dieser Drang wurde im byzantinischen Reiche nahezu im Keime
erstickt durch den Bildersturm. Und nachdem auch die letztere Be-
wegung ausgetobt hatte, war doch soviel in der Stimmung der Ge-
müther zurückgeblieben, dass das Kunstschaffen auf religiösem Gebiete
durch Regeln und Satzungen eng umgrenzt wurde. Wie weit sich da
Schönheitsdrang und wahrer Kunstschaffenstrieb noch bethätigen konnten,
ist es geschehen: dass nicht viel Raum hiezu übrig blieb, lag in der
Natur der Verhältnisse. Ja diese Wiederaufnahme der religiösen Kunst
wurde — von einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet — sogar zum
Verhängnisse für die Byzantiner: das Höchste darin zu erstreben, wie
es die Abendländer thaten, verwehrten ihnen ihre Satzungen, aber da
doch figürlich-religiöse Darstellungen den Hauptgegenstand künstleri-
schen Schaffens bilden sollten, kam man anderseits auch nicht dazu,
die Kunst entschieden auf rein dekorativen Boden, auf die Befriedigung
blosser menschlicher Schmuckfreudigkeit zu stellen, welchen Schritt
bekanntlich die Saracenen zu ihrem Vortheile gethan haben. Schwan-
kend in der Mitte zwischen dem Ringen nach dem Höchsten in der
religiösen Kunst und dem Streben nach Schaffung einer möglichst voll-
kommenen dekorativen Augenblicks-Augenweide, beides aber niemals

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[274/0300] Die Arabeske. Zeit gestellt waren, vermitteln. Eine neue religiöse Vorstellungswelt, ein neuer Kultus hatten neue künstlerische Bedürfnisse und Aufgaben geschaffen. Wie wenig zwar dieselben ursprünglich ein Heraustreten aus der klassisch-antiken Dekorationswelt nothwendig erscheinen liessen, wissen wir sattsam aus der Katakombenkunst. Erst allmälig verliess man die Orpheus- und Hermes-Typen und schuf sich selbständige, na- türlich in klassisch-traditioneller Pose und Gewandung. Aber all dies war zunächst nur sozusagen Nothbau, ermangelte der wahrhaft künstle- rischen Durchbildung und Behandlung. Es ist ein charakteristisches Merkmal der altchristlichen Bildwerke, dass an ihnen gerade auf die eigentlich künstlerischen Momente nur geringer Werth gelegt erscheint. Man suchte irgend eine testamentarische Figur, den Träger irgend einer der neuen religiösen Ideen zu verkörpern: auf Schönheit, Wohl- laut, Ebenmaass wurde wenig Gewicht gelegt. Die Form wurde von der Idee todtgeschlagen, — soweit dies nämlich bei einem Künstler, der wenigstens äusserlich noch unter dem Einflusse der klassischen Tradition stand, eben möglich war. Freilich musste späterhin eine Zeit kommen, wo der unversieg- bare Drang nach Pflege des Formschönen wieder rege wurde und sich an den christlichen Bildwerken und Malereien zu bethätigen suchte. Auch dieser Drang wurde im byzantinischen Reiche nahezu im Keime erstickt durch den Bildersturm. Und nachdem auch die letztere Be- wegung ausgetobt hatte, war doch soviel in der Stimmung der Ge- müther zurückgeblieben, dass das Kunstschaffen auf religiösem Gebiete durch Regeln und Satzungen eng umgrenzt wurde. Wie weit sich da Schönheitsdrang und wahrer Kunstschaffenstrieb noch bethätigen konnten, ist es geschehen: dass nicht viel Raum hiezu übrig blieb, lag in der Natur der Verhältnisse. Ja diese Wiederaufnahme der religiösen Kunst wurde — von einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet — sogar zum Verhängnisse für die Byzantiner: das Höchste darin zu erstreben, wie es die Abendländer thaten, verwehrten ihnen ihre Satzungen, aber da doch figürlich-religiöse Darstellungen den Hauptgegenstand künstleri- schen Schaffens bilden sollten, kam man anderseits auch nicht dazu, die Kunst entschieden auf rein dekorativen Boden, auf die Befriedigung blosser menschlicher Schmuckfreudigkeit zu stellen, welchen Schritt bekanntlich die Saracenen zu ihrem Vortheile gethan haben. Schwan- kend in der Mitte zwischen dem Ringen nach dem Höchsten in der religiösen Kunst und dem Streben nach Schaffung einer möglichst voll- kommenen dekorativen Augenblicks-Augenweide, beides aber niemals

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/300>, abgerufen am 24.11.2024.