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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
lirung von c, d entgegentritt, und nicht der starre Fächer der strengen
griechischen Halbpalmette. Es braucht hiefür bloss an das Ergebniss
unserer früheren Untersuchungen über den Akanthus (S. 218 ff) erinnert
zu werden: das Akanthusblatt in Vollansicht ist ja selbst nichts an-
deres als die naturalisirte Palmette, das Akanthusblatt in der Profil-
ansicht (etwa in der Akanthusranke) nichts als die naturalisirte Halb-
palmette.

Damit soll aber nicht gesagt sein, dass das strenger stilisirte
griechische Rankenornament von der saracenischen Arabesken-Orna-
mentik grundsätzlich ausgeschlossen gewesen ist. So wie in der ganzen
römischen Kaiserzeit die griechischen Palmettenranken neben der
Akanthusranke in Verwendung gestanden sind, liefen auch in der
saracenischen Kunst allezeit strenger stilisirte Rankenbildungen und
Blüthenmotive neben solchen eines mehr naturalisirenden Charakters
einher. Den Nachweis hiefür werden wir späterhin an der Hand von
Denkmälern zu führen in der Lage sein; hier sei nur zur vorläufigen
Probe auf den augenfälligen Unterschied verwiesen, der in Fig. 139
zwischen d und g zu beobachten ist. Die Halbpalmette d ist akanthi-
sirend gebildet, gleichsam perspektivisch projicirt: die Vollpalmette g
dagegen ist reines "Flachornament", an welchem ein Bestreben, der
natürlichen Erscheinung in der zeichnerischen Wiedergabe greifbar
näher zu kommen, nicht ersichtlich ist.

Doch der genetische Zusammenhang der Arabeske mit der klas-
sisch-antiken Ranke ist ja dasjenige, was wir erst beweisen wollen.
Als ausgemachte Voraussetzung dürfen wir auf Grund unserer Erörte-
rung der Einzelmotive von Fig. 139 bloss den Umstand ansehen, dass
die Arabeske als Pflanzenrankenornament aufzufassen ist. Versuchen
wir es zuerst dasjenige festzustellen, was die saracenische Ranke von
der klassisch-antiken unterscheidet; auf diesem Wege werden wir am
raschesten dazu gelangen, ein genaues Bild von den Sondereigenthüm-
lichkeiten der Arabeske zu gewinnen. Diese Unterschiede betreffen
theils die das Gerippe bildenden Rankenlinien, theils die Behandlung
der Blüthenmotive.

In der Führung der Rankenlinien herrscht zwischen dem
klassischen Rankenornament und der Arabeske der grundsätzliche
Unterschied, dass bei dem ersteren die einzelnen Ranken klar und
selbständig neben einander über den Grund hinweggelegt erscheinen,
während sie sich bei der Arabeske vielfach durchschneiden und
durchkreuzen. Zwar verhält es sich auch mit dieser Definition wie

Die Arabeske.
lirung von c, d entgegentritt, und nicht der starre Fächer der strengen
griechischen Halbpalmette. Es braucht hiefür bloss an das Ergebniss
unserer früheren Untersuchungen über den Akanthus (S. 218 ff) erinnert
zu werden: das Akanthusblatt in Vollansicht ist ja selbst nichts an-
deres als die naturalisirte Palmette, das Akanthusblatt in der Profil-
ansicht (etwa in der Akanthusranke) nichts als die naturalisirte Halb-
palmette.

Damit soll aber nicht gesagt sein, dass das strenger stilisirte
griechische Rankenornament von der saracenischen Arabesken-Orna-
mentik grundsätzlich ausgeschlossen gewesen ist. So wie in der ganzen
römischen Kaiserzeit die griechischen Palmettenranken neben der
Akanthusranke in Verwendung gestanden sind, liefen auch in der
saracenischen Kunst allezeit strenger stilisirte Rankenbildungen und
Blüthenmotive neben solchen eines mehr naturalisirenden Charakters
einher. Den Nachweis hiefür werden wir späterhin an der Hand von
Denkmälern zu führen in der Lage sein; hier sei nur zur vorläufigen
Probe auf den augenfälligen Unterschied verwiesen, der in Fig. 139
zwischen d und g zu beobachten ist. Die Halbpalmette d ist akanthi-
sirend gebildet, gleichsam perspektivisch projicirt: die Vollpalmette g
dagegen ist reines „Flachornament“, an welchem ein Bestreben, der
natürlichen Erscheinung in der zeichnerischen Wiedergabe greifbar
näher zu kommen, nicht ersichtlich ist.

Doch der genetische Zusammenhang der Arabeske mit der klas-
sisch-antiken Ranke ist ja dasjenige, was wir erst beweisen wollen.
Als ausgemachte Voraussetzung dürfen wir auf Grund unserer Erörte-
rung der Einzelmotive von Fig. 139 bloss den Umstand ansehen, dass
die Arabeske als Pflanzenrankenornament aufzufassen ist. Versuchen
wir es zuerst dasjenige festzustellen, was die saracenische Ranke von
der klassisch-antiken unterscheidet; auf diesem Wege werden wir am
raschesten dazu gelangen, ein genaues Bild von den Sondereigenthüm-
lichkeiten der Arabeske zu gewinnen. Diese Unterschiede betreffen
theils die das Gerippe bildenden Rankenlinien, theils die Behandlung
der Blüthenmotive.

In der Führung der Rankenlinien herrscht zwischen dem
klassischen Rankenornament und der Arabeske der grundsätzliche
Unterschied, dass bei dem ersteren die einzelnen Ranken klar und
selbständig neben einander über den Grund hinweggelegt erscheinen,
während sie sich bei der Arabeske vielfach durchschneiden und
durchkreuzen. Zwar verhält es sich auch mit dieser Definition wie

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[265/0291] Die Arabeske. lirung von c, d entgegentritt, und nicht der starre Fächer der strengen griechischen Halbpalmette. Es braucht hiefür bloss an das Ergebniss unserer früheren Untersuchungen über den Akanthus (S. 218 ff) erinnert zu werden: das Akanthusblatt in Vollansicht ist ja selbst nichts an- deres als die naturalisirte Palmette, das Akanthusblatt in der Profil- ansicht (etwa in der Akanthusranke) nichts als die naturalisirte Halb- palmette. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass das strenger stilisirte griechische Rankenornament von der saracenischen Arabesken-Orna- mentik grundsätzlich ausgeschlossen gewesen ist. So wie in der ganzen römischen Kaiserzeit die griechischen Palmettenranken neben der Akanthusranke in Verwendung gestanden sind, liefen auch in der saracenischen Kunst allezeit strenger stilisirte Rankenbildungen und Blüthenmotive neben solchen eines mehr naturalisirenden Charakters einher. Den Nachweis hiefür werden wir späterhin an der Hand von Denkmälern zu führen in der Lage sein; hier sei nur zur vorläufigen Probe auf den augenfälligen Unterschied verwiesen, der in Fig. 139 zwischen d und g zu beobachten ist. Die Halbpalmette d ist akanthi- sirend gebildet, gleichsam perspektivisch projicirt: die Vollpalmette g dagegen ist reines „Flachornament“, an welchem ein Bestreben, der natürlichen Erscheinung in der zeichnerischen Wiedergabe greifbar näher zu kommen, nicht ersichtlich ist. Doch der genetische Zusammenhang der Arabeske mit der klas- sisch-antiken Ranke ist ja dasjenige, was wir erst beweisen wollen. Als ausgemachte Voraussetzung dürfen wir auf Grund unserer Erörte- rung der Einzelmotive von Fig. 139 bloss den Umstand ansehen, dass die Arabeske als Pflanzenrankenornament aufzufassen ist. Versuchen wir es zuerst dasjenige festzustellen, was die saracenische Ranke von der klassisch-antiken unterscheidet; auf diesem Wege werden wir am raschesten dazu gelangen, ein genaues Bild von den Sondereigenthüm- lichkeiten der Arabeske zu gewinnen. Diese Unterschiede betreffen theils die das Gerippe bildenden Rankenlinien, theils die Behandlung der Blüthenmotive. In der Führung der Rankenlinien herrscht zwischen dem klassischen Rankenornament und der Arabeske der grundsätzliche Unterschied, dass bei dem ersteren die einzelnen Ranken klar und selbständig neben einander über den Grund hinweggelegt erscheinen, während sie sich bei der Arabeske vielfach durchschneiden und durchkreuzen. Zwar verhält es sich auch mit dieser Definition wie

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/291>, abgerufen am 23.12.2024.