Wege der unmittelbaren Nachbildung eines Naturvorbildes, sondern in- folge eines völlig künstlerischen, ornamentgeschichtlichen Entwicklungs- processes entstanden ist.
Der Akanthus als plastisches Ornament, wie er sich z. B. am Lysikrates-Monument (Fig. 111) und auch schon an Grabstelen-Akro- terien früherer Decennien des 4. Jahrh. darstellt, zeigt eine unläugbare Aehnlichkeit mit dem Blatte der Acanthus spinosa (Fig. 112). Charak- teristisch für beide ist die Gliederung in einzelne Vorsprünge, deren jeder seinerseits in eine Anzahl scharfer ausspringender Zacken ge- gliedert ist; zwischen je zwei Vorsprüngen ist immer eine tiefe rund-
[Abbildung]
Fig. 113.
Halsverzierung eines Kapitäls von der nördlichen Vorhalle des Erechtheion.
liche Einziehung (die "Pfeifen" des plastischen Akanthus). Gerade diese Gliederung vermissen wir aber an den frühesten Bei- spielen von Akanthusornamenten.
Betrachten wir Fig. 113 von einem Kapitäl des Erechtheions32). Die einzelnen Rippen, in welche sich hier das stets im Profil gesehene Akanthusblatt gliedert, liegen gleichwerthig nebeneinander wie die radianten Blätter einer Palmette. Als Stelen-Bekrönung auf Lekythen aufgemalt, also in flacher Projektion (Fig. 114), erscheint das Blatt aus- geschnitten und mit spitzen Zacken besetzt, etwa wie ein Cactus- oder
32) Nach Quast I. 7, 2. Auf Grund des Vergleiches mit Gipsabgüssen erschien mir die alte Quast'sche Reproduktion völlig genau und zutreffend.
9. Das Aufkommen des Akanthus-Ornaments.
Wege der unmittelbaren Nachbildung eines Naturvorbildes, sondern in- folge eines völlig künstlerischen, ornamentgeschichtlichen Entwicklungs- processes entstanden ist.
Der Akanthus als plastisches Ornament, wie er sich z. B. am Lysikrates-Monument (Fig. 111) und auch schon an Grabstelen-Akro- terien früherer Decennien des 4. Jahrh. darstellt, zeigt eine unläugbare Aehnlichkeit mit dem Blatte der Acanthus spinosa (Fig. 112). Charak- teristisch für beide ist die Gliederung in einzelne Vorsprünge, deren jeder seinerseits in eine Anzahl scharfer ausspringender Zacken ge- gliedert ist; zwischen je zwei Vorsprüngen ist immer eine tiefe rund-
[Abbildung]
Fig. 113.
Halsverzierung eines Kapitäls von der nördlichen Vorhalle des Erechtheion.
liche Einziehung (die „Pfeifen“ des plastischen Akanthus). Gerade diese Gliederung vermissen wir aber an den frühesten Bei- spielen von Akanthusornamenten.
Betrachten wir Fig. 113 von einem Kapitäl des Erechtheions32). Die einzelnen Rippen, in welche sich hier das stets im Profil gesehene Akanthusblatt gliedert, liegen gleichwerthig nebeneinander wie die radianten Blätter einer Palmette. Als Stelen-Bekrönung auf Lekythen aufgemalt, also in flacher Projektion (Fig. 114), erscheint das Blatt aus- geschnitten und mit spitzen Zacken besetzt, etwa wie ein Cactus- oder
32) Nach Quast I. 7, 2. Auf Grund des Vergleiches mit Gipsabgüssen erschien mir die alte Quast’sche Reproduktion völlig genau und zutreffend.
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9. Das Aufkommen des Akanthus-Ornaments.
Wege der unmittelbaren Nachbildung eines Naturvorbildes, sondern in-
folge eines völlig künstlerischen, ornamentgeschichtlichen Entwicklungs-
processes entstanden ist.
Der Akanthus als plastisches Ornament, wie er sich z. B. am
Lysikrates-Monument (Fig. 111) und auch schon an Grabstelen-Akro-
terien früherer Decennien des 4. Jahrh. darstellt, zeigt eine unläugbare
Aehnlichkeit mit dem Blatte der Acanthus spinosa (Fig. 112). Charak-
teristisch für beide ist die Gliederung in einzelne Vorsprünge, deren
jeder seinerseits in eine Anzahl scharfer ausspringender Zacken ge-
gliedert ist; zwischen je zwei Vorsprüngen ist immer eine tiefe rund-
[Abbildung Fig. 113.
Halsverzierung eines Kapitäls von der nördlichen Vorhalle des Erechtheion.]
liche Einziehung (die „Pfeifen“ des plastischen Akanthus). Gerade
diese Gliederung vermissen wir aber an den frühesten Bei-
spielen von Akanthusornamenten.
Betrachten wir Fig. 113 von einem Kapitäl des Erechtheions 32).
Die einzelnen Rippen, in welche sich hier das stets im Profil gesehene
Akanthusblatt gliedert, liegen gleichwerthig nebeneinander wie die
radianten Blätter einer Palmette. Als Stelen-Bekrönung auf Lekythen
aufgemalt, also in flacher Projektion (Fig. 114), erscheint das Blatt aus-
geschnitten und mit spitzen Zacken besetzt, etwa wie ein Cactus- oder
32) Nach Quast I. 7, 2. Auf Grund des Vergleiches mit Gipsabgüssen
erschien mir die alte Quast’sche Reproduktion völlig genau und zutreffend.
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/241>, abgerufen am 29.06.2024.
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