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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.
metrie. Dies hat man sicherlich -- nicht bloss zu Nikosthenes' Zeit,
sondern auch später -- als Durchbrechung der künstlerischen Schranken
angesehen, denn eine Nachfolge in so entschiedener Richtung lässt sich
selbst in vorgeschrittener rothfiguriger Zeit nur vereinzelt beobachten.
Aber bezeichnend ist der Versuch immerhin für die Tendenz, die zu jener
Zeit geherrscht hat, -- die Tendenz, die ererbten Fesseln zu sprengen,
das Rankenornament frei zu entfalten. Nur
ist der Vasenmaler von Fig. 103 darin für
seine Zeit entschieden zu weit gegangen.

Das Resultat, wie es in Fig. 103 vor-
liegt, ist auch kein sonderlich befriedigen-
des. Besser haben die Aufgabe die roth-
figurigen Vasenmaler gelöst, die den Ran-
kenzweig kranzartig um den Henkel her-
umgelegt haben (Fig. 104)17). Selbst die
sogen. nolanischen Vasen mit den einzelnen
Zweigen unter jedem Henkel nehmen mehr
Rücksicht auf die Symmetrie. In einem
Falle18) fassen die beiden Zweige -- je einer
unter jedem Henkel -- das Vasenbild in
der Mitte ein, so dass im Allgemeinen eine
Symmetrie wenigstens zwischen den beiden
Zweigen unter einander herrscht. In einem
anderen Falle (Fig. 105)19) spaltet sich der
Zweig oben in zwei Ranken, die wiederum
den zwischen ihnen liegenden Henkel sym-
metrisch flankiren. Im Uebrigen stehen
diese nolanischen Vasen in der That in
ihrer asymmetrischen Erscheinung dem
Schema von Fig. 103 sehr nahe, bilden
zusammen mit diesem und mit den min-

[Abbildung] Fig. 105.

Henkel-Ornament von einer
nolanischen Vase.

der seltenen Beispielen gleich Fig. 104 eine Ausnahme, und lassen
sich ebenfalls als eine -- vom Standpunkte griechischer Kunstempfin-
dung -- zu weitgehende Befreiung von den Fesseln der dekorativen
Komposition erklären. Dass uns übrigens Fig. 103 an einer Vase aus

17) Masner, Die Sammlung antiker Vasen etc. im österr. Mus. No. 339.
18) Brunn-Lau XXV. 2, 2a.
19) Ebenda No. 3.

8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.
metrie. Dies hat man sicherlich — nicht bloss zu Nikosthenes’ Zeit,
sondern auch später — als Durchbrechung der künstlerischen Schranken
angesehen, denn eine Nachfolge in so entschiedener Richtung lässt sich
selbst in vorgeschrittener rothfiguriger Zeit nur vereinzelt beobachten.
Aber bezeichnend ist der Versuch immerhin für die Tendenz, die zu jener
Zeit geherrscht hat, — die Tendenz, die ererbten Fesseln zu sprengen,
das Rankenornament frei zu entfalten. Nur
ist der Vasenmaler von Fig. 103 darin für
seine Zeit entschieden zu weit gegangen.

Das Resultat, wie es in Fig. 103 vor-
liegt, ist auch kein sonderlich befriedigen-
des. Besser haben die Aufgabe die roth-
figurigen Vasenmaler gelöst, die den Ran-
kenzweig kranzartig um den Henkel her-
umgelegt haben (Fig. 104)17). Selbst die
sogen. nolanischen Vasen mit den einzelnen
Zweigen unter jedem Henkel nehmen mehr
Rücksicht auf die Symmetrie. In einem
Falle18) fassen die beiden Zweige — je einer
unter jedem Henkel — das Vasenbild in
der Mitte ein, so dass im Allgemeinen eine
Symmetrie wenigstens zwischen den beiden
Zweigen unter einander herrscht. In einem
anderen Falle (Fig. 105)19) spaltet sich der
Zweig oben in zwei Ranken, die wiederum
den zwischen ihnen liegenden Henkel sym-
metrisch flankiren. Im Uebrigen stehen
diese nolanischen Vasen in der That in
ihrer asymmetrischen Erscheinung dem
Schema von Fig. 103 sehr nahe, bilden
zusammen mit diesem und mit den min-

[Abbildung] Fig. 105.

Henkel-Ornament von einer
nolanischen Vase.

der seltenen Beispielen gleich Fig. 104 eine Ausnahme, und lassen
sich ebenfalls als eine — vom Standpunkte griechischer Kunstempfin-
dung — zu weitgehende Befreiung von den Fesseln der dekorativen
Komposition erklären. Dass uns übrigens Fig. 103 an einer Vase aus

17) Masner, Die Sammlung antiker Vasen etc. im österr. Mus. No. 339.
18) Brunn-Lau XXV. 2, 2a.
19) Ebenda No. 3.
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[203/0229] 8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung. metrie. Dies hat man sicherlich — nicht bloss zu Nikosthenes’ Zeit, sondern auch später — als Durchbrechung der künstlerischen Schranken angesehen, denn eine Nachfolge in so entschiedener Richtung lässt sich selbst in vorgeschrittener rothfiguriger Zeit nur vereinzelt beobachten. Aber bezeichnend ist der Versuch immerhin für die Tendenz, die zu jener Zeit geherrscht hat, — die Tendenz, die ererbten Fesseln zu sprengen, das Rankenornament frei zu entfalten. Nur ist der Vasenmaler von Fig. 103 darin für seine Zeit entschieden zu weit gegangen. Das Resultat, wie es in Fig. 103 vor- liegt, ist auch kein sonderlich befriedigen- des. Besser haben die Aufgabe die roth- figurigen Vasenmaler gelöst, die den Ran- kenzweig kranzartig um den Henkel her- umgelegt haben (Fig. 104) 17). Selbst die sogen. nolanischen Vasen mit den einzelnen Zweigen unter jedem Henkel nehmen mehr Rücksicht auf die Symmetrie. In einem Falle 18) fassen die beiden Zweige — je einer unter jedem Henkel — das Vasenbild in der Mitte ein, so dass im Allgemeinen eine Symmetrie wenigstens zwischen den beiden Zweigen unter einander herrscht. In einem anderen Falle (Fig. 105) 19) spaltet sich der Zweig oben in zwei Ranken, die wiederum den zwischen ihnen liegenden Henkel sym- metrisch flankiren. Im Uebrigen stehen diese nolanischen Vasen in der That in ihrer asymmetrischen Erscheinung dem Schema von Fig. 103 sehr nahe, bilden zusammen mit diesem und mit den min- [Abbildung Fig. 105. Henkel-Ornament von einer nolanischen Vase.] der seltenen Beispielen gleich Fig. 104 eine Ausnahme, und lassen sich ebenfalls als eine — vom Standpunkte griechischer Kunstempfin- dung — zu weitgehende Befreiung von den Fesseln der dekorativen Komposition erklären. Dass uns übrigens Fig. 103 an einer Vase aus 17) Masner, Die Sammlung antiker Vasen etc. im österr. Mus. No. 339. 18) Brunn-Lau XXV. 2, 2a. 19) Ebenda No. 3.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/229>, abgerufen am 24.11.2024.