B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
attischen Ursprung zurückgeführt wird; genau dasselbe Muster findet sich übrigens an einer in Athen gefundenen Amphora, die auf S. 46 des Textes zu den Antiken Denkmälern Bd. I abgebildet ist. Das Ornament als Ganzes setzt sich zusammen aus Blüthenmotiven und aus Rankenlinien; betrachten wir zunächst die ersteren gesondert für sich.
Wir unterscheiden da zweierlei Motive: Lotusblüthen, gekenn- zeichnet durch die weitausladenden Seitenblätter, und Palmetten oder besser gesagt blosse Palmettenfächer. Das grössere, wichtigere Motiv sind augenscheinlich die Lotusblüthen; dagegen treten die Palmetten sowohl in der Grösse, als wegen des anscheinenden Mangels des zur selb- ständigen Palmette unentbehrlichen Volutenkelchs zurück. Die Lotus- blüthen sind nun ebenso wie die Palmetten mit der Krone abwechselnd
[Abbildung]
Fig. 83.
Gemaltes Rankengeschlinge von einer Schüssel aus Aegina.
von unten nach oben und von oben nach unten gekehrt, worin wir das intermittirende Wellenrankenschema bereits ahnen. Um dieses letztere vollends sicherzustellen, bedarf es aber des Nachweises einer entspre- chenden Verbindung.
Diese letztere erscheint hergestellt durch die schlingenförmig verlaufenden Rankenlinien. An der Stelle nämlich, wo zwei Schlingen ineinander greifen, sitzt immer auf der einen Seite eine Lotusblüthe, auf der anderen eine Palmette. Die zwei Schlingen ver- treten auf solche Weise die Stelle von zwei Spiraleinrollungen eines Volutenkelchs, indem sie für eine darüber sich erhebende Blüthe den Kelch bilden. Man lösche jenen Theil der Rankenlinien, der sich durch die Lotusblüthen hindurch schlingt und dieselben halbirt, ferner die bloss raumfüllenden Spiralen, die sich beiderseits an die Palmetten ansetzen, so gewinnt man das nackte Schema der intermittirenden Wellenranke, an deren Berg- und Thalpunkten Lotusblüthen ansetzen. Die Palmetten
B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
attischen Ursprung zurückgeführt wird; genau dasselbe Muster findet sich übrigens an einer in Athen gefundenen Amphora, die auf S. 46 des Textes zu den Antiken Denkmälern Bd. I abgebildet ist. Das Ornament als Ganzes setzt sich zusammen aus Blüthenmotiven und aus Rankenlinien; betrachten wir zunächst die ersteren gesondert für sich.
Wir unterscheiden da zweierlei Motive: Lotusblüthen, gekenn- zeichnet durch die weitausladenden Seitenblätter, und Palmetten oder besser gesagt blosse Palmettenfächer. Das grössere, wichtigere Motiv sind augenscheinlich die Lotusblüthen; dagegen treten die Palmetten sowohl in der Grösse, als wegen des anscheinenden Mangels des zur selb- ständigen Palmette unentbehrlichen Volutenkelchs zurück. Die Lotus- blüthen sind nun ebenso wie die Palmetten mit der Krone abwechselnd
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Fig. 83.
Gemaltes Rankengeschlinge von einer Schüssel aus Aegina.
von unten nach oben und von oben nach unten gekehrt, worin wir das intermittirende Wellenrankenschema bereits ahnen. Um dieses letztere vollends sicherzustellen, bedarf es aber des Nachweises einer entspre- chenden Verbindung.
Diese letztere erscheint hergestellt durch die schlingenförmig verlaufenden Rankenlinien. An der Stelle nämlich, wo zwei Schlingen ineinander greifen, sitzt immer auf der einen Seite eine Lotusblüthe, auf der anderen eine Palmette. Die zwei Schlingen ver- treten auf solche Weise die Stelle von zwei Spiraleinrollungen eines Volutenkelchs, indem sie für eine darüber sich erhebende Blüthe den Kelch bilden. Man lösche jenen Theil der Rankenlinien, der sich durch die Lotusblüthen hindurch schlingt und dieselben halbirt, ferner die bloss raumfüllenden Spiralen, die sich beiderseits an die Palmetten ansetzen, so gewinnt man das nackte Schema der intermittirenden Wellenranke, an deren Berg- und Thalpunkten Lotusblüthen ansetzen. Die Palmetten
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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
attischen Ursprung zurückgeführt wird; genau dasselbe Muster findet
sich übrigens an einer in Athen gefundenen Amphora, die auf S. 46
des Textes zu den Antiken Denkmälern Bd. I abgebildet ist. Das
Ornament als Ganzes setzt sich zusammen aus Blüthenmotiven und aus
Rankenlinien; betrachten wir zunächst die ersteren gesondert für sich.
Wir unterscheiden da zweierlei Motive: Lotusblüthen, gekenn-
zeichnet durch die weitausladenden Seitenblätter, und Palmetten oder
besser gesagt blosse Palmettenfächer. Das grössere, wichtigere Motiv
sind augenscheinlich die Lotusblüthen; dagegen treten die Palmetten
sowohl in der Grösse, als wegen des anscheinenden Mangels des zur selb-
ständigen Palmette unentbehrlichen Volutenkelchs zurück. Die Lotus-
blüthen sind nun ebenso wie die Palmetten mit der Krone abwechselnd
[Abbildung Fig. 83.
Gemaltes Rankengeschlinge von einer Schüssel aus Aegina.]
von unten nach oben und von oben nach unten gekehrt, worin wir das
intermittirende Wellenrankenschema bereits ahnen. Um dieses letztere
vollends sicherzustellen, bedarf es aber des Nachweises einer entspre-
chenden Verbindung.
Diese letztere erscheint hergestellt durch die schlingenförmig
verlaufenden Rankenlinien. An der Stelle nämlich, wo zwei
Schlingen ineinander greifen, sitzt immer auf der einen Seite eine
Lotusblüthe, auf der anderen eine Palmette. Die zwei Schlingen ver-
treten auf solche Weise die Stelle von zwei Spiraleinrollungen eines
Volutenkelchs, indem sie für eine darüber sich erhebende Blüthe den
Kelch bilden. Man lösche jenen Theil der Rankenlinien, der sich durch
die Lotusblüthen hindurch schlingt und dieselben halbirt, ferner die bloss
raumfüllenden Spiralen, die sich beiderseits an die Palmetten ansetzen,
so gewinnt man das nackte Schema der intermittirenden Wellenranke,
an deren Berg- und Thalpunkten Lotusblüthen ansetzen. Die Palmetten
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/206>, abgerufen am 23.07.2024.
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