Das diesen Ausführungen gewidmete 3. Kapitel glaube ich unter Er- wägung der also klargestellten Bedeutung des Gegenstandes als eine ganz wesentliche "Grundlegung" betrachten zu dürfen.
Solange man in der Pflanzenornamentik an den überlieferten stilisirten Typen festhielt, ist der historische Gang als solcher unschwer festzustellen; dagegen müsste eine grosse Unsicherheit in den Schluss- folgerungen eintreten in dem Momente, wo der Mensch in der Zeich- nung der Ornamente der natürlichen Erscheinung einer vorbildlichen Pflanze möglichst nahe zu kommen trachten würde. Z. B. kann die Projektion der Palmette, die wir in Egypten und Griechenland an- treffen, kaum beiderseits selbständig erfunden sein, da dieses Motiv eine durchaus nicht in der natürlichen Erscheinung begründete Blüthen- form wiedergiebt: der Schluss ist unabweisbar, dass das Motiv nur an einem Orte entstanden sein kann und nach dem andern übertragen worden sein muss. Ganz anders, wenn wir an zwei ornamentalen Werken verschiedener Herkunft etwa eine Rose in ihrer natürlichen Erscheinung dargestellt fänden: die natürliche Erscheinung der Rose in den verschiedensten Ländern ist im Allgemeinen die gleiche; eine selbständige Entstehung jener Kopien da und dort wäre hienach sehr wohl denkbar. Nun ist es aber ein Erfahrungssatz, der sich uns ge- rade aus einer Gesammtbetrachtung des Pflanzenornaments ergeben wird, dass eine realistische Darstellung von Blumen zu dekorativen Zwecken, wie sie heutzutage im Schwange ist, erst der neueren Zeit angehört. Der naive Kunstsinn früherer Kulturperioden verlangte vor Allem die Beobachtung der Symmetrie, auch in Nachbildungen von Naturwesen. In der Darstellung von Mensch und Thier hat man sich frühzeitig davon emancipirt, sich mit Anordnung derselben im Wappen- stil u. dergl. beholfen; ein so untergeordnetes, scheinbar lebloses Ding wie die Pflanze dagegen hat man noch in den reifesten Stilen ver- flossener Jahrhunderte symmetrisirt, stilisirt -- namentlich, sofern man dem Pflanzenbilde nicht eine gegenständliche Bedeutung unterlegte, sondern in der That ein blosses Ornament beabsichtigt war. Von der Stilisirung der ältesten Zeit zum Realismus der modernen ist man aber nicht mit einem Schlage übergetreten. Zu wiederholten Malen begegnen wir in der Geschichte des Pflanzenornaments einer Neigung zur Natura- lisirung, zur Annäherung der Pflanzenornamente an die reale perspek-
Einleitung.
Das diesen Ausführungen gewidmete 3. Kapitel glaube ich unter Er- wägung der also klargestellten Bedeutung des Gegenstandes als eine ganz wesentliche „Grundlegung“ betrachten zu dürfen.
Solange man in der Pflanzenornamentik an den überlieferten stilisirten Typen festhielt, ist der historische Gang als solcher unschwer festzustellen; dagegen müsste eine grosse Unsicherheit in den Schluss- folgerungen eintreten in dem Momente, wo der Mensch in der Zeich- nung der Ornamente der natürlichen Erscheinung einer vorbildlichen Pflanze möglichst nahe zu kommen trachten würde. Z. B. kann die Projektion der Palmette, die wir in Egypten und Griechenland an- treffen, kaum beiderseits selbständig erfunden sein, da dieses Motiv eine durchaus nicht in der natürlichen Erscheinung begründete Blüthen- form wiedergiebt: der Schluss ist unabweisbar, dass das Motiv nur an einem Orte entstanden sein kann und nach dem andern übertragen worden sein muss. Ganz anders, wenn wir an zwei ornamentalen Werken verschiedener Herkunft etwa eine Rose in ihrer natürlichen Erscheinung dargestellt fänden: die natürliche Erscheinung der Rose in den verschiedensten Ländern ist im Allgemeinen die gleiche; eine selbständige Entstehung jener Kopien da und dort wäre hienach sehr wohl denkbar. Nun ist es aber ein Erfahrungssatz, der sich uns ge- rade aus einer Gesammtbetrachtung des Pflanzenornaments ergeben wird, dass eine realistische Darstellung von Blumen zu dekorativen Zwecken, wie sie heutzutage im Schwange ist, erst der neueren Zeit angehört. Der naive Kunstsinn früherer Kulturperioden verlangte vor Allem die Beobachtung der Symmetrie, auch in Nachbildungen von Naturwesen. In der Darstellung von Mensch und Thier hat man sich frühzeitig davon emancipirt, sich mit Anordnung derselben im Wappen- stil u. dergl. beholfen; ein so untergeordnetes, scheinbar lebloses Ding wie die Pflanze dagegen hat man noch in den reifesten Stilen ver- flossener Jahrhunderte symmetrisirt, stilisirt — namentlich, sofern man dem Pflanzenbilde nicht eine gegenständliche Bedeutung unterlegte, sondern in der That ein blosses Ornament beabsichtigt war. Von der Stilisirung der ältesten Zeit zum Realismus der modernen ist man aber nicht mit einem Schlage übergetreten. Zu wiederholten Malen begegnen wir in der Geschichte des Pflanzenornaments einer Neigung zur Natura- lisirung, zur Annäherung der Pflanzenornamente an die reale perspek-
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[XIV/0020]
Einleitung.
Das diesen Ausführungen gewidmete 3. Kapitel glaube ich unter Er-
wägung der also klargestellten Bedeutung des Gegenstandes als eine
ganz wesentliche „Grundlegung“ betrachten zu dürfen.
Solange man in der Pflanzenornamentik an den überlieferten
stilisirten Typen festhielt, ist der historische Gang als solcher unschwer
festzustellen; dagegen müsste eine grosse Unsicherheit in den Schluss-
folgerungen eintreten in dem Momente, wo der Mensch in der Zeich-
nung der Ornamente der natürlichen Erscheinung einer vorbildlichen
Pflanze möglichst nahe zu kommen trachten würde. Z. B. kann die
Projektion der Palmette, die wir in Egypten und Griechenland an-
treffen, kaum beiderseits selbständig erfunden sein, da dieses Motiv
eine durchaus nicht in der natürlichen Erscheinung begründete Blüthen-
form wiedergiebt: der Schluss ist unabweisbar, dass das Motiv nur an
einem Orte entstanden sein kann und nach dem andern übertragen
worden sein muss. Ganz anders, wenn wir an zwei ornamentalen
Werken verschiedener Herkunft etwa eine Rose in ihrer natürlichen
Erscheinung dargestellt fänden: die natürliche Erscheinung der Rose
in den verschiedensten Ländern ist im Allgemeinen die gleiche; eine
selbständige Entstehung jener Kopien da und dort wäre hienach sehr
wohl denkbar. Nun ist es aber ein Erfahrungssatz, der sich uns ge-
rade aus einer Gesammtbetrachtung des Pflanzenornaments ergeben
wird, dass eine realistische Darstellung von Blumen zu dekorativen
Zwecken, wie sie heutzutage im Schwange ist, erst der neueren Zeit
angehört. Der naive Kunstsinn früherer Kulturperioden verlangte vor
Allem die Beobachtung der Symmetrie, auch in Nachbildungen von
Naturwesen. In der Darstellung von Mensch und Thier hat man sich
frühzeitig davon emancipirt, sich mit Anordnung derselben im Wappen-
stil u. dergl. beholfen; ein so untergeordnetes, scheinbar lebloses Ding
wie die Pflanze dagegen hat man noch in den reifesten Stilen ver-
flossener Jahrhunderte symmetrisirt, stilisirt — namentlich, sofern man
dem Pflanzenbilde nicht eine gegenständliche Bedeutung unterlegte,
sondern in der That ein blosses Ornament beabsichtigt war. Von der
Stilisirung der ältesten Zeit zum Realismus der modernen ist man aber
nicht mit einem Schlage übergetreten. Zu wiederholten Malen begegnen
wir in der Geschichte des Pflanzenornaments einer Neigung zur Natura-
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/20>, abgerufen am 24.11.2024.
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