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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
Es ist nun unsere Aufgabe, zu zeigen, wie das Pflanzenorna-
ment neben und nach dem Dipylon in der griechischen Kunst
wieder zu Ehren kommt, wie es zum Theil die orientalischen
Errungenschaften schematisch wiederholt, namentlich aber
wie es an die grosse mykenische Errungenschaft, an die
freibewegte Pfanzenranke anknüpfend, diese selbst sowie
die angesetzten Blüthen im Sinne des Formschönen ausbildet,
so allmälig die Fähigkeit gewinnt, grössere Flächen zu
überziehen, und endlich auch menschliche und Thierfiguren
zur Dekoration heranzieht und sich subordinirt
. Da es sich
somit um die Schilderung eines fortlaufenden Entwicklungsganges
handelt, werden die Formen und die Denkmäler im Allgemeinen in
chronologischer Reihenfolge vorgeführt werden. Doch lässt sich die
letztere auf einem Gebiete, das so vielfach lokale und individuelle
Fortbildungen zeigt, nicht immer streng aufrecht erhalten. Ich er-
achte es daher für nöthig, auch an dieser Stelle zu betonen, dass es
sich hier nicht um einen chronologischen Fixirungs- oder genaueren
Datirungs-Versuch der betreffenden Vasengattungen u. s. f. handelt,
welche Aufgaben gewiss nicht ausschliesslich auf Grund des Pflanzen-
ornaments gelöst werden könnten. Nur die Stellung der einzelnen zu
besprechenden Denkmäler innerhalb der Entwicklungsgeschichte des
Pflanzenrankenornaments soll jeweilig nach Möglichkeit genau um-
grenzt werden; die auf breitester Basis vorgehende klassische Kunst-
archäologie mag daraus jene Schlüsse ziehen, zu welchen sie sich
durch Vergleichung mit dem Befund der übrigen Eigenthümlichkeiten
der bezüglichen Denkmäler berechtigt glaubt.

3. Melisches.

An die Spitze sind die melischen Vasen zu setzen. Das Mykenische
tritt in dieser frühgriechischen Vasenklasse noch am deutlichsten zu
Tage, und zwar gerade jene Elemente, die in die spätere hellenische
Kunst übergegangen sind. Als Beispiel diene Fig. 66, entlehnt aus
Conze's melischen Thongefässen (I. 1), wo auch die Details Fig. 67
(Mel. Thong. I. 4) und Fig. 53 (Mel. Thong. I. 5) zuerst publicirt sind.

Wenn wir von den rosettenartigen Gebilden absehen, so begegnen
uns an Fig. 66 von Einzelmotiven die beiden grundlegenden
Typen des egyptischen Lotus
: die spitzblättrige Profilansicht
(Fig. 53), sowie die Lotuspalmette (in Fig. 66 unter den Hinterbeinen

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
Es ist nun unsere Aufgabe, zu zeigen, wie das Pflanzenorna-
ment neben und nach dem Dipylon in der griechischen Kunst
wieder zu Ehren kommt, wie es zum Theil die orientalischen
Errungenschaften schematisch wiederholt, namentlich aber
wie es an die grosse mykenische Errungenschaft, an die
freibewegte Pfanzenranke anknüpfend, diese selbst sowie
die angesetzten Blüthen im Sinne des Formschönen ausbildet,
so allmälig die Fähigkeit gewinnt, grössere Flächen zu
überziehen, und endlich auch menschliche und Thierfiguren
zur Dekoration heranzieht und sich subordinirt
. Da es sich
somit um die Schilderung eines fortlaufenden Entwicklungsganges
handelt, werden die Formen und die Denkmäler im Allgemeinen in
chronologischer Reihenfolge vorgeführt werden. Doch lässt sich die
letztere auf einem Gebiete, das so vielfach lokale und individuelle
Fortbildungen zeigt, nicht immer streng aufrecht erhalten. Ich er-
achte es daher für nöthig, auch an dieser Stelle zu betonen, dass es
sich hier nicht um einen chronologischen Fixirungs- oder genaueren
Datirungs-Versuch der betreffenden Vasengattungen u. s. f. handelt,
welche Aufgaben gewiss nicht ausschliesslich auf Grund des Pflanzen-
ornaments gelöst werden könnten. Nur die Stellung der einzelnen zu
besprechenden Denkmäler innerhalb der Entwicklungsgeschichte des
Pflanzenrankenornaments soll jeweilig nach Möglichkeit genau um-
grenzt werden; die auf breitester Basis vorgehende klassische Kunst-
archäologie mag daraus jene Schlüsse ziehen, zu welchen sie sich
durch Vergleichung mit dem Befund der übrigen Eigenthümlichkeiten
der bezüglichen Denkmäler berechtigt glaubt.

3. Melisches.

An die Spitze sind die melischen Vasen zu setzen. Das Mykenische
tritt in dieser frühgriechischen Vasenklasse noch am deutlichsten zu
Tage, und zwar gerade jene Elemente, die in die spätere hellenische
Kunst übergegangen sind. Als Beispiel diene Fig. 66, entlehnt aus
Conze’s melischen Thongefässen (I. 1), wo auch die Details Fig. 67
(Mel. Thong. I. 4) und Fig. 53 (Mel. Thong. I. 5) zuerst publicirt sind.

Wenn wir von den rosettenartigen Gebilden absehen, so begegnen
uns an Fig. 66 von Einzelmotiven die beiden grundlegenden
Typen des egyptischen Lotus
: die spitzblättrige Profilansicht
(Fig. 53), sowie die Lotuspalmette (in Fig. 66 unter den Hinterbeinen

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[154/0180] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. Es ist nun unsere Aufgabe, zu zeigen, wie das Pflanzenorna- ment neben und nach dem Dipylon in der griechischen Kunst wieder zu Ehren kommt, wie es zum Theil die orientalischen Errungenschaften schematisch wiederholt, namentlich aber wie es an die grosse mykenische Errungenschaft, an die freibewegte Pfanzenranke anknüpfend, diese selbst sowie die angesetzten Blüthen im Sinne des Formschönen ausbildet, so allmälig die Fähigkeit gewinnt, grössere Flächen zu überziehen, und endlich auch menschliche und Thierfiguren zur Dekoration heranzieht und sich subordinirt. Da es sich somit um die Schilderung eines fortlaufenden Entwicklungsganges handelt, werden die Formen und die Denkmäler im Allgemeinen in chronologischer Reihenfolge vorgeführt werden. Doch lässt sich die letztere auf einem Gebiete, das so vielfach lokale und individuelle Fortbildungen zeigt, nicht immer streng aufrecht erhalten. Ich er- achte es daher für nöthig, auch an dieser Stelle zu betonen, dass es sich hier nicht um einen chronologischen Fixirungs- oder genaueren Datirungs-Versuch der betreffenden Vasengattungen u. s. f. handelt, welche Aufgaben gewiss nicht ausschliesslich auf Grund des Pflanzen- ornaments gelöst werden könnten. Nur die Stellung der einzelnen zu besprechenden Denkmäler innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Pflanzenrankenornaments soll jeweilig nach Möglichkeit genau um- grenzt werden; die auf breitester Basis vorgehende klassische Kunst- archäologie mag daraus jene Schlüsse ziehen, zu welchen sie sich durch Vergleichung mit dem Befund der übrigen Eigenthümlichkeiten der bezüglichen Denkmäler berechtigt glaubt. 3. Melisches. An die Spitze sind die melischen Vasen zu setzen. Das Mykenische tritt in dieser frühgriechischen Vasenklasse noch am deutlichsten zu Tage, und zwar gerade jene Elemente, die in die spätere hellenische Kunst übergegangen sind. Als Beispiel diene Fig. 66, entlehnt aus Conze’s melischen Thongefässen (I. 1), wo auch die Details Fig. 67 (Mel. Thong. I. 4) und Fig. 53 (Mel. Thong. I. 5) zuerst publicirt sind. Wenn wir von den rosettenartigen Gebilden absehen, so begegnen uns an Fig. 66 von Einzelmotiven die beiden grundlegenden Typen des egyptischen Lotus: die spitzblättrige Profilansicht (Fig. 53), sowie die Lotuspalmette (in Fig. 66 unter den Hinterbeinen

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/180>, abgerufen am 23.11.2024.