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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.

Ich glaube also in der Spirale nur eine besondere Art der Band-
ornamentik erblicken zu sollen. Das Bandornament ist aber ein aus
der gekrümmten Linie heraus konstruirtes geometrisches Ornament,
das eine höhere, vielleicht die höchste Stufe des geometrischen Stils
darstellt, und bereits eine besondere Kunstbegabung zur Voraussetzung
zu haben scheint. Von Naturvölkern, welche die Spiral- und Band-
ornamentik bis auf die neuere Zeit gepflogen haben, sind die neusee-
ländischen Maori besonders hervorzuheben. Die Bedeutung, die der
Kunst dieses Volkes für die Entwicklungsgeschichte der Künste in ihren
primitiven Stadien zuzuschreiben wäre, falls dasselbe in der That --
wofür aller Anschein spricht -- seit unvordenklichen Zeiten isolirt und
auf sich selbst gestellt geblieben ist, wurde schon auf S. 75 erörtert.
Goodyear46) zwar hält malayischen Einfluss auf Neuseeland für wohl-
bezeugt, ohne sich aber darüber des Näheren zu verbreiten oder auch
nur, was er doch sonst in ähnlichen Fällen thut, zu citiren. Die Spirale
spielt in der Ornamentik der Maori eine so überwiegende Rolle, dass
der malayische Einfluss -- sollte die Spirale in der That seinem Ein-
flusse zuzuschreiben sein -- ein sehr tiefgreifender gewesen sein müsste.
Wie lässt sich nun damit der Umstand zusammenreimen, dass auf Neu-
seeland kein Metallgegenstand gefunden wurde? Die Abgeschnittenheit
vom Verkehr mit der südasiatischen Inselwelt muss hienach schon minde-
stens viele Jahrhunderte, wo nicht Jahrtausende lang gewährt haben.
Und wie kamen die Malayen zur egyptischen Spiralornamentik? Goodyear
nimmt zu diesem Behufe einen malayischen Zwischenhandel zwischen
Egypten und Indien an, wofür jedoch keinerlei Beweise vorliegen.
Haben aber die Maori in der That, wie es nach ihrer "Steinkultur"
zu schliessen allen Anschein hat, die Spiralornamentik selbständig ent-
wickelt, etwa in der Weise, dass sie kraft ihrer Kunstbegabung auf
der Stufenleiter der Kunstentwicklung zur höchsten Ausbildung des
geometrischen Stils, zur dekorativen Verwendung der Kreislinie gelangt
sind47), so ist auch die Möglichkeit vorhanden, dass die "Mykenäer"

Flächenfüllung, wie sie uns z. B. auf dem Goldblatt bei Schliemann, Mykenä
Fig. 246 entgegentritt, und die mit der Bandornamentik von Fig. 244, 245
ebendaselbst völlig parallel läuft, hat die egyptische Kunst gleichfalls kein
Beispiel. Mit dieser Art der Spiralenornamentik möchte ich die charakteristischen
Verzierungen der Vasen des Furtwängler-Löschcke'schen vierten Stils (Myken.
Vasen XXXVI. 370, 371) in Verbindung bringen.
46) A. a. O. S. 373.
47) Aber darüber hinaus ebensowenig wie die Inkaperuaner, von denen
wir auch nur eine geometrische und eine animalische Ornamentik kennen,
B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.

Ich glaube also in der Spirale nur eine besondere Art der Band-
ornamentik erblicken zu sollen. Das Bandornament ist aber ein aus
der gekrümmten Linie heraus konstruirtes geometrisches Ornament,
das eine höhere, vielleicht die höchste Stufe des geometrischen Stils
darstellt, und bereits eine besondere Kunstbegabung zur Voraussetzung
zu haben scheint. Von Naturvölkern, welche die Spiral- und Band-
ornamentik bis auf die neuere Zeit gepflogen haben, sind die neusee-
ländischen Maori besonders hervorzuheben. Die Bedeutung, die der
Kunst dieses Volkes für die Entwicklungsgeschichte der Künste in ihren
primitiven Stadien zuzuschreiben wäre, falls dasselbe in der That —
wofür aller Anschein spricht — seit unvordenklichen Zeiten isolirt und
auf sich selbst gestellt geblieben ist, wurde schon auf S. 75 erörtert.
Goodyear46) zwar hält malayischen Einfluss auf Neuseeland für wohl-
bezeugt, ohne sich aber darüber des Näheren zu verbreiten oder auch
nur, was er doch sonst in ähnlichen Fällen thut, zu citiren. Die Spirale
spielt in der Ornamentik der Maori eine so überwiegende Rolle, dass
der malayische Einfluss — sollte die Spirale in der That seinem Ein-
flusse zuzuschreiben sein — ein sehr tiefgreifender gewesen sein müsste.
Wie lässt sich nun damit der Umstand zusammenreimen, dass auf Neu-
seeland kein Metallgegenstand gefunden wurde? Die Abgeschnittenheit
vom Verkehr mit der südasiatischen Inselwelt muss hienach schon minde-
stens viele Jahrhunderte, wo nicht Jahrtausende lang gewährt haben.
Und wie kamen die Malayen zur egyptischen Spiralornamentik? Goodyear
nimmt zu diesem Behufe einen malayischen Zwischenhandel zwischen
Egypten und Indien an, wofür jedoch keinerlei Beweise vorliegen.
Haben aber die Maori in der That, wie es nach ihrer „Steinkultur“
zu schliessen allen Anschein hat, die Spiralornamentik selbständig ent-
wickelt, etwa in der Weise, dass sie kraft ihrer Kunstbegabung auf
der Stufenleiter der Kunstentwicklung zur höchsten Ausbildung des
geometrischen Stils, zur dekorativen Verwendung der Kreislinie gelangt
sind47), so ist auch die Möglichkeit vorhanden, dass die „Mykenäer“

Flächenfüllung, wie sie uns z. B. auf dem Goldblatt bei Schliemann, Mykenä
Fig. 246 entgegentritt, und die mit der Bandornamentik von Fig. 244, 245
ebendaselbst völlig parallel läuft, hat die egyptische Kunst gleichfalls kein
Beispiel. Mit dieser Art der Spiralenornamentik möchte ich die charakteristischen
Verzierungen der Vasen des Furtwängler-Löschcke’schen vierten Stils (Myken.
Vasen XXXVI. 370, 371) in Verbindung bringen.
46) A. a. O. S. 373.
47) Aber darüber hinaus ebensowenig wie die Inkaperuaner, von denen
wir auch nur eine geometrische und eine animalische Ornamentik kennen,
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[142/0168] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. Ich glaube also in der Spirale nur eine besondere Art der Band- ornamentik erblicken zu sollen. Das Bandornament ist aber ein aus der gekrümmten Linie heraus konstruirtes geometrisches Ornament, das eine höhere, vielleicht die höchste Stufe des geometrischen Stils darstellt, und bereits eine besondere Kunstbegabung zur Voraussetzung zu haben scheint. Von Naturvölkern, welche die Spiral- und Band- ornamentik bis auf die neuere Zeit gepflogen haben, sind die neusee- ländischen Maori besonders hervorzuheben. Die Bedeutung, die der Kunst dieses Volkes für die Entwicklungsgeschichte der Künste in ihren primitiven Stadien zuzuschreiben wäre, falls dasselbe in der That — wofür aller Anschein spricht — seit unvordenklichen Zeiten isolirt und auf sich selbst gestellt geblieben ist, wurde schon auf S. 75 erörtert. Goodyear 46) zwar hält malayischen Einfluss auf Neuseeland für wohl- bezeugt, ohne sich aber darüber des Näheren zu verbreiten oder auch nur, was er doch sonst in ähnlichen Fällen thut, zu citiren. Die Spirale spielt in der Ornamentik der Maori eine so überwiegende Rolle, dass der malayische Einfluss — sollte die Spirale in der That seinem Ein- flusse zuzuschreiben sein — ein sehr tiefgreifender gewesen sein müsste. Wie lässt sich nun damit der Umstand zusammenreimen, dass auf Neu- seeland kein Metallgegenstand gefunden wurde? Die Abgeschnittenheit vom Verkehr mit der südasiatischen Inselwelt muss hienach schon minde- stens viele Jahrhunderte, wo nicht Jahrtausende lang gewährt haben. Und wie kamen die Malayen zur egyptischen Spiralornamentik? Goodyear nimmt zu diesem Behufe einen malayischen Zwischenhandel zwischen Egypten und Indien an, wofür jedoch keinerlei Beweise vorliegen. Haben aber die Maori in der That, wie es nach ihrer „Steinkultur“ zu schliessen allen Anschein hat, die Spiralornamentik selbständig ent- wickelt, etwa in der Weise, dass sie kraft ihrer Kunstbegabung auf der Stufenleiter der Kunstentwicklung zur höchsten Ausbildung des geometrischen Stils, zur dekorativen Verwendung der Kreislinie gelangt sind 47), so ist auch die Möglichkeit vorhanden, dass die „Mykenäer“ 45) 46) A. a. O. S. 373. 47) Aber darüber hinaus ebensowenig wie die Inkaperuaner, von denen wir auch nur eine geometrische und eine animalische Ornamentik kennen, 45) Flächenfüllung, wie sie uns z. B. auf dem Goldblatt bei Schliemann, Mykenä Fig. 246 entgegentritt, und die mit der Bandornamentik von Fig. 244, 245 ebendaselbst völlig parallel läuft, hat die egyptische Kunst gleichfalls kein Beispiel. Mit dieser Art der Spiralenornamentik möchte ich die charakteristischen Verzierungen der Vasen des Furtwängler-Löschcke’schen vierten Stils (Myken. Vasen XXXVI. 370, 371) in Verbindung bringen.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/168>, abgerufen am 22.11.2024.