Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

4. Persisches.
egyptischen Ornamentik des Neuen Reiches zum Ausdruck gelangte
Postulat der Zwickelfüllung an den zahlreichen sphärischen Winkeln
zur fanatischen Anwendung gebracht hat.

Wenn wir also auf Grund des Vorgebrachten die Stellung der
phönikischen Kunst innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Pflanzen-
ornaments kennzeichnen wollen, so ist zu sagen, dass das phönikische
Pflanzenornament in der Hauptsache in egyptischem Kunstboden wurzelt:
dies beweisen insbesondere die Palmettenbildungen mit ihren Zwickel-
füllungen. Aber der phönikische Kunsthandwerker und Exporteur
schaltete frei und skrupellos mit den Motiven, die dem Egypter in
ihrer gegenständlichen Bedeutung geheiligt gewesen waren. Diese
Motive werden unter den Händen der Phöniker erst zu rechten Orna-
menten von rein oder doch überwiegend schmuckzwecklicher Daseins-
berechtigung. Aber auch von den Mesopotamiern entlehnten die Phö-
niker, was ihnen gut und brauchbar dünkte: von Einzelmotiven das zu
Einfassungszwecken so überaus geeignete Flechtband, und im Allge-
meinen -- was das Allerwichtigste ist -- eine schärfere Trennung
zwischen Füllung und Rahmen, wobei freilich schwer zu entscheiden
ist, in wiefern den Phönikern diesbezüglich nicht ein selbständiges
Eigenverdienst zuzuerkennen wäre.

4. Persisches.

Mehr der Vollständigkeit halber als um ihrer Bedeutung willen,
muss hier noch der altpersischen Kunst der Achämeniden gedacht
werden. Diese Kunst ist nämlich bis zum heutigen Tage vielfach
überschätzt worden. Schon der Umstand, dass die Altperser die tech-
nische Errungenschaft der Steindecke (mittels Wölbung) ihrer meso-
potamischen Vorfahren preisgegeben haben und an ihren Palastbauten
zur flachen Holzdecke zurückgekehrt sind, lässt erwarten, dass die Kunst
in diesem Reiche keinen aufsteigenden Gang genommen hat79). In der
That ermangeln die in der altpersischen Ornamentik beliebten Motive
fast aller Originalität; sie zeigen aber auch nicht die Vorzüge einer

79) Im Moment, da sie die orientalische Weltherrschaft antraten, waren
die Perser sicher kein Kunstvolk. Dass sie es späterhin nicht geworden sind,
dafür mag auch der Umstand mitbestimmend gewesen sein, dass dem sieg-
reichen Fortschreiten des Hellenenthums gegenüber der Orient bereits im
6. Jahrh. sich so ohnmächtig fühlen musste, dass er gar nicht mehr ernstlich
daran denken mochte, die Rivalität auf künstlerischem Gebiete aufzunehmen.

4. Persisches.
egyptischen Ornamentik des Neuen Reiches zum Ausdruck gelangte
Postulat der Zwickelfüllung an den zahlreichen sphärischen Winkeln
zur fanatischen Anwendung gebracht hat.

Wenn wir also auf Grund des Vorgebrachten die Stellung der
phönikischen Kunst innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Pflanzen-
ornaments kennzeichnen wollen, so ist zu sagen, dass das phönikische
Pflanzenornament in der Hauptsache in egyptischem Kunstboden wurzelt:
dies beweisen insbesondere die Palmettenbildungen mit ihren Zwickel-
füllungen. Aber der phönikische Kunsthandwerker und Exporteur
schaltete frei und skrupellos mit den Motiven, die dem Egypter in
ihrer gegenständlichen Bedeutung geheiligt gewesen waren. Diese
Motive werden unter den Händen der Phöniker erst zu rechten Orna-
menten von rein oder doch überwiegend schmuckzwecklicher Daseins-
berechtigung. Aber auch von den Mesopotamiern entlehnten die Phö-
niker, was ihnen gut und brauchbar dünkte: von Einzelmotiven das zu
Einfassungszwecken so überaus geeignete Flechtband, und im Allge-
meinen — was das Allerwichtigste ist — eine schärfere Trennung
zwischen Füllung und Rahmen, wobei freilich schwer zu entscheiden
ist, in wiefern den Phönikern diesbezüglich nicht ein selbständiges
Eigenverdienst zuzuerkennen wäre.

4. Persisches.

Mehr der Vollständigkeit halber als um ihrer Bedeutung willen,
muss hier noch der altpersischen Kunst der Achämeniden gedacht
werden. Diese Kunst ist nämlich bis zum heutigen Tage vielfach
überschätzt worden. Schon der Umstand, dass die Altperser die tech-
nische Errungenschaft der Steindecke (mittels Wölbung) ihrer meso-
potamischen Vorfahren preisgegeben haben und an ihren Palastbauten
zur flachen Holzdecke zurückgekehrt sind, lässt erwarten, dass die Kunst
in diesem Reiche keinen aufsteigenden Gang genommen hat79). In der
That ermangeln die in der altpersischen Ornamentik beliebten Motive
fast aller Originalität; sie zeigen aber auch nicht die Vorzüge einer

79) Im Moment, da sie die orientalische Weltherrschaft antraten, waren
die Perser sicher kein Kunstvolk. Dass sie es späterhin nicht geworden sind,
dafür mag auch der Umstand mitbestimmend gewesen sein, dass dem sieg-
reichen Fortschreiten des Hellenenthums gegenüber der Orient bereits im
6. Jahrh. sich so ohnmächtig fühlen musste, dass er gar nicht mehr ernstlich
daran denken mochte, die Rivalität auf künstlerischem Gebiete aufzunehmen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0135" n="109"/><fw place="top" type="header">4. Persisches.</fw><lb/>
egyptischen Ornamentik des Neuen Reiches zum Ausdruck gelangte<lb/>
Postulat der Zwickelfüllung an den zahlreichen sphärischen Winkeln<lb/>
zur fanatischen Anwendung gebracht hat.</p><lb/>
            <p>Wenn wir also auf Grund des Vorgebrachten die Stellung der<lb/>
phönikischen Kunst innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Pflanzen-<lb/>
ornaments kennzeichnen wollen, so ist zu sagen, dass das phönikische<lb/>
Pflanzenornament in der Hauptsache in egyptischem Kunstboden wurzelt:<lb/>
dies beweisen insbesondere die Palmettenbildungen mit ihren Zwickel-<lb/>
füllungen. Aber der phönikische Kunsthandwerker und Exporteur<lb/>
schaltete frei und skrupellos mit den Motiven, die dem Egypter in<lb/>
ihrer gegenständlichen Bedeutung geheiligt gewesen waren. Diese<lb/>
Motive werden unter den Händen der Phöniker erst zu rechten Orna-<lb/>
menten von rein oder doch überwiegend schmuckzwecklicher Daseins-<lb/>
berechtigung. Aber auch von den Mesopotamiern entlehnten die Phö-<lb/>
niker, was ihnen gut und brauchbar dünkte: von Einzelmotiven das zu<lb/>
Einfassungszwecken so überaus geeignete Flechtband, und im Allge-<lb/>
meinen &#x2014; was das Allerwichtigste ist &#x2014; eine schärfere Trennung<lb/>
zwischen Füllung und Rahmen, wobei freilich schwer zu entscheiden<lb/>
ist, in wiefern den Phönikern diesbezüglich nicht ein selbständiges<lb/>
Eigenverdienst zuzuerkennen wäre.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">4. Persisches.</hi> </head><lb/>
            <p>Mehr der Vollständigkeit halber als um ihrer Bedeutung willen,<lb/>
muss hier noch der altpersischen Kunst der Achämeniden gedacht<lb/>
werden. Diese Kunst ist nämlich bis zum heutigen Tage vielfach<lb/>
überschätzt worden. Schon der Umstand, dass die Altperser die tech-<lb/>
nische Errungenschaft der Steindecke (mittels Wölbung) ihrer meso-<lb/>
potamischen Vorfahren preisgegeben haben und an ihren Palastbauten<lb/>
zur flachen Holzdecke zurückgekehrt sind, lässt erwarten, dass die Kunst<lb/>
in diesem Reiche keinen aufsteigenden Gang genommen hat<note place="foot" n="79)">Im Moment, da sie die orientalische Weltherrschaft antraten, waren<lb/>
die Perser sicher kein Kunstvolk. Dass sie es späterhin nicht geworden sind,<lb/>
dafür mag auch der Umstand mitbestimmend gewesen sein, dass dem sieg-<lb/>
reichen Fortschreiten des Hellenenthums gegenüber der Orient bereits im<lb/>
6. Jahrh. sich so ohnmächtig fühlen musste, dass er gar nicht mehr ernstlich<lb/>
daran denken mochte, die Rivalität auf künstlerischem Gebiete aufzunehmen.</note>. In der<lb/>
That ermangeln die in der altpersischen Ornamentik beliebten Motive<lb/>
fast aller Originalität; sie zeigen aber auch nicht die Vorzüge einer<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0135] 4. Persisches. egyptischen Ornamentik des Neuen Reiches zum Ausdruck gelangte Postulat der Zwickelfüllung an den zahlreichen sphärischen Winkeln zur fanatischen Anwendung gebracht hat. Wenn wir also auf Grund des Vorgebrachten die Stellung der phönikischen Kunst innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Pflanzen- ornaments kennzeichnen wollen, so ist zu sagen, dass das phönikische Pflanzenornament in der Hauptsache in egyptischem Kunstboden wurzelt: dies beweisen insbesondere die Palmettenbildungen mit ihren Zwickel- füllungen. Aber der phönikische Kunsthandwerker und Exporteur schaltete frei und skrupellos mit den Motiven, die dem Egypter in ihrer gegenständlichen Bedeutung geheiligt gewesen waren. Diese Motive werden unter den Händen der Phöniker erst zu rechten Orna- menten von rein oder doch überwiegend schmuckzwecklicher Daseins- berechtigung. Aber auch von den Mesopotamiern entlehnten die Phö- niker, was ihnen gut und brauchbar dünkte: von Einzelmotiven das zu Einfassungszwecken so überaus geeignete Flechtband, und im Allge- meinen — was das Allerwichtigste ist — eine schärfere Trennung zwischen Füllung und Rahmen, wobei freilich schwer zu entscheiden ist, in wiefern den Phönikern diesbezüglich nicht ein selbständiges Eigenverdienst zuzuerkennen wäre. 4. Persisches. Mehr der Vollständigkeit halber als um ihrer Bedeutung willen, muss hier noch der altpersischen Kunst der Achämeniden gedacht werden. Diese Kunst ist nämlich bis zum heutigen Tage vielfach überschätzt worden. Schon der Umstand, dass die Altperser die tech- nische Errungenschaft der Steindecke (mittels Wölbung) ihrer meso- potamischen Vorfahren preisgegeben haben und an ihren Palastbauten zur flachen Holzdecke zurückgekehrt sind, lässt erwarten, dass die Kunst in diesem Reiche keinen aufsteigenden Gang genommen hat 79). In der That ermangeln die in der altpersischen Ornamentik beliebten Motive fast aller Originalität; sie zeigen aber auch nicht die Vorzüge einer 79) Im Moment, da sie die orientalische Weltherrschaft antraten, waren die Perser sicher kein Kunstvolk. Dass sie es späterhin nicht geworden sind, dafür mag auch der Umstand mitbestimmend gewesen sein, dass dem sieg- reichen Fortschreiten des Hellenenthums gegenüber der Orient bereits im 6. Jahrh. sich so ohnmächtig fühlen musste, dass er gar nicht mehr ernstlich daran denken mochte, die Rivalität auf künstlerischem Gebiete aufzunehmen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/135
Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/135>, abgerufen am 22.11.2024.