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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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2. Mesopotamisches.
hebt, allerdings unter Vermittlung eines balusterartigen Zwischengliedes
(Fig. 37) 58).

Die blosse Scheibe mit dreispältiger Krone, also die reine meso-
potamische Form, ist bisher in der egyptischen Kunst bloss einmal
nachgewiesen, nämlich von Goodyear 59) an einer Nilgott-Statue im
British Museum. Das Motiv findet sich daselbst alternirend gereiht mit
unzweifelhaften Lotusblüthen und Knospen, und Goodyear hat auch
keinen Augenblick gezögert, dieses Beispiel als genügenden Beweis für
den egyptischen Ursprung des Granatapfel-Motivs anzusehen, indem er
es einfach als Samenkapsel des echten Lotus erklärt. Mit Rücksicht
auf die bisherige Vereinzelung dieser Erscheinung in der egyptischen,
gegenüber dem häufigen Vorkommen in der assyrischen Kunst, möchte
ich mit der bedingungslosen Zustimmung zu Goodyear's Ansicht
wenigstens so lange zögern, bis über das
Alter der betreffenden Statue genügende Auf-
klärung vorliegt. Dass ein ursächlicher Zu-
sammenhang des mesopotamischen Granat-
apfels mit gewissen Erscheinungen in der
egyptischen Kunst auch mir nicht bloss nicht
ausgeschlossen, sondern sogar wahrscheinlich
dünkt, habe ich schon unter Hinweis auf
Fig. 37 ausgesprochen.

Der auf Rundbogen gestellte Granatapfel
findet später Verwendung namentlich an den

[Abbildung] Fig. 37.

Egyptisches Bekrönungs-Muster.

sogen. kyrenischen Vasen, was ich an dieser Stelle nur deshalb vor-
zeitig berühre, weil die Rundbogen an jenen Vasen in der Regel in
zwei einander überschneidenden Reihen angeordnet sind. Auch das
Motiv der einander überschneidenden Bogenlinien scheint nämlich bereits in
der assyrischen Kunst geübt worden zu sein, wie ein Fragment bei
Layard I. 84, Nr. 13 beweist. Wir hätten darin ein neuerliches Zeug-
niss für das Bestreben der assyrischen Künstler zu erblicken, in ihr
Pflanzenornament vermehrten Schwung und Bewegung zu bringen.

Das gebräuchlichste ornamentale Motiv der Assyrer ist neben dem
Flechtband die Rosette gewesen. Ihr Aufkommen und ihre Bedeutung
in der altegyptischen Kunst wurde bereits auf S. 52 erörtert. Was die
assyrische Rosette häufig von der altegyptischen unterscheidet, ist die

58) Lepsius II. 130, II. 126, III. 21.
59) A. a. O. 181, Fig. 125.
Riegl, Stilfragen. 7

2. Mesopotamisches.
hebt, allerdings unter Vermittlung eines balusterartigen Zwischengliedes
(Fig. 37) 58).

Die blosse Scheibe mit dreispältiger Krone, also die reine meso-
potamische Form, ist bisher in der egyptischen Kunst bloss einmal
nachgewiesen, nämlich von Goodyear 59) an einer Nilgott-Statue im
British Museum. Das Motiv findet sich daselbst alternirend gereiht mit
unzweifelhaften Lotusblüthen und Knospen, und Goodyear hat auch
keinen Augenblick gezögert, dieses Beispiel als genügenden Beweis für
den egyptischen Ursprung des Granatapfel-Motivs anzusehen, indem er
es einfach als Samenkapsel des echten Lotus erklärt. Mit Rücksicht
auf die bisherige Vereinzelung dieser Erscheinung in der egyptischen,
gegenüber dem häufigen Vorkommen in der assyrischen Kunst, möchte
ich mit der bedingungslosen Zustimmung zu Goodyear’s Ansicht
wenigstens so lange zögern, bis über das
Alter der betreffenden Statue genügende Auf-
klärung vorliegt. Dass ein ursächlicher Zu-
sammenhang des mesopotamischen Granat-
apfels mit gewissen Erscheinungen in der
egyptischen Kunst auch mir nicht bloss nicht
ausgeschlossen, sondern sogar wahrscheinlich
dünkt, habe ich schon unter Hinweis auf
Fig. 37 ausgesprochen.

Der auf Rundbogen gestellte Granatapfel
findet später Verwendung namentlich an den

[Abbildung] Fig. 37.

Egyptisches Bekrönungs-Muster.

sogen. kyrenischen Vasen, was ich an dieser Stelle nur deshalb vor-
zeitig berühre, weil die Rundbogen an jenen Vasen in der Regel in
zwei einander überschneidenden Reihen angeordnet sind. Auch das
Motiv der einander überschneidenden Bogenlinien scheint nämlich bereits in
der assyrischen Kunst geübt worden zu sein, wie ein Fragment bei
Layard I. 84, Nr. 13 beweist. Wir hätten darin ein neuerliches Zeug-
niss für das Bestreben der assyrischen Künstler zu erblicken, in ihr
Pflanzenornament vermehrten Schwung und Bewegung zu bringen.

Das gebräuchlichste ornamentale Motiv der Assyrer ist neben dem
Flechtband die Rosette gewesen. Ihr Aufkommen und ihre Bedeutung
in der altegyptischen Kunst wurde bereits auf S. 52 erörtert. Was die
assyrische Rosette häufig von der altegyptischen unterscheidet, ist die

58) Lepsius II. 130, II. 126, III. 21.
59) A. a. O. 181, Fig. 125.
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[97/0123] 2. Mesopotamisches. hebt, allerdings unter Vermittlung eines balusterartigen Zwischengliedes (Fig. 37) 58). Die blosse Scheibe mit dreispältiger Krone, also die reine meso- potamische Form, ist bisher in der egyptischen Kunst bloss einmal nachgewiesen, nämlich von Goodyear 59) an einer Nilgott-Statue im British Museum. Das Motiv findet sich daselbst alternirend gereiht mit unzweifelhaften Lotusblüthen und Knospen, und Goodyear hat auch keinen Augenblick gezögert, dieses Beispiel als genügenden Beweis für den egyptischen Ursprung des Granatapfel-Motivs anzusehen, indem er es einfach als Samenkapsel des echten Lotus erklärt. Mit Rücksicht auf die bisherige Vereinzelung dieser Erscheinung in der egyptischen, gegenüber dem häufigen Vorkommen in der assyrischen Kunst, möchte ich mit der bedingungslosen Zustimmung zu Goodyear’s Ansicht wenigstens so lange zögern, bis über das Alter der betreffenden Statue genügende Auf- klärung vorliegt. Dass ein ursächlicher Zu- sammenhang des mesopotamischen Granat- apfels mit gewissen Erscheinungen in der egyptischen Kunst auch mir nicht bloss nicht ausgeschlossen, sondern sogar wahrscheinlich dünkt, habe ich schon unter Hinweis auf Fig. 37 ausgesprochen. Der auf Rundbogen gestellte Granatapfel findet später Verwendung namentlich an den [Abbildung Fig. 37. Egyptisches Bekrönungs-Muster.] sogen. kyrenischen Vasen, was ich an dieser Stelle nur deshalb vor- zeitig berühre, weil die Rundbogen an jenen Vasen in der Regel in zwei einander überschneidenden Reihen angeordnet sind. Auch das Motiv der einander überschneidenden Bogenlinien scheint nämlich bereits in der assyrischen Kunst geübt worden zu sein, wie ein Fragment bei Layard I. 84, Nr. 13 beweist. Wir hätten darin ein neuerliches Zeug- niss für das Bestreben der assyrischen Künstler zu erblicken, in ihr Pflanzenornament vermehrten Schwung und Bewegung zu bringen. Das gebräuchlichste ornamentale Motiv der Assyrer ist neben dem Flechtband die Rosette gewesen. Ihr Aufkommen und ihre Bedeutung in der altegyptischen Kunst wurde bereits auf S. 52 erörtert. Was die assyrische Rosette häufig von der altegyptischen unterscheidet, ist die 58) Lepsius II. 130, II. 126, III. 21. 59) A. a. O. 181, Fig. 125. Riegl, Stilfragen. 7

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/123>, abgerufen am 24.11.2024.