Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Altorientalisches.
dasselbe, das wir zu Nimrud bloss an der Palmette beobachten konnten
und das wir daselbst gleichfalls mit der egyptischen Palmette in Ver-
bindung gebracht haben. In der That ist das abbreviirte egyptische
Palmettensystem -- also diejenige Form, die wir als Lotusblüthe mit
Volutenkelch bezeichnet haben -- eines der allergebräuchlichsten
assyrischen Ornamentmotive gewesen (Fig. 35). Der Unterschied gegen-
über dem egyptischen Vorbild beruht in der schlankeren Gestaltung der
Voluten, die auch den Charakter des Eingerolltseins häufig ganz ein-
gebüsst haben, und in der spitzen Gestaltung des mittleren Blattes.
Was aber doch wieder auf den Zusammenhang mit dem bezüglichen
egyptischen Motiv nachdrücklich hinweist, das ist die ganz gleichartige
Verwendung beider Motive. Denn auch in der assyrischen Kunst ist
das in Rede stehende Blüthenmotiv in der Regel einerseits dort an-
gewandt, wo es sich um die Krönung, das Auslaufen in eine freie En-
digung handelt 56), anderseits zur Bezeichnung derjenigen Stelle, wo ein
[Abbildung] Fig. 36

Granatapfel, assyrisch.

nach einer bestimmten Richtung funktionirendes Glied
von überwiegender Längenausdehnung ansetzt, worauf
noch im Folgenden bei Besprechung des sogen. heiligen
Baumes zurückzukommen sein wird.

Die assyrische Ornamentik hat ausserdem noch
ein Pflanzenmotiv aufzuweisen, das in der späteren
Kunst zu grosser Verbreitung gelangt ist und wegen
seiner häufigen Anwendung in der assyrischen Kunst
auf original-mesopotamischen Ursprung zurückgeführt werden könnte:
den sogen. Granatapfel. Man pflegt mit diesem Worte ein ornamentales
Motiv von kreisrunder Form zu bezeichnen, worauf eine aus drei
Blättchen gebildete Krone aufsitzt (Fig. 36). Dieses Motiv findet sich
in der assyrischen Kunst nicht selten 57), auch bordürenartig gereiht und
mittels Bogenlinien untereinander verbunden (Fig. 38), wobei die ein-
zelnen Granatäpfel mit den Rundbogenbändern mittels Heftel verknüpft
erscheinen. Es wäre aber auch nicht undenkbar, dass der Granatapfel
mit jenem egyptischen, vom Lotus abzuleitenden Krönungsmotiv zu-
sammenhängt, dessen Blattkrone sich gleichfalls über einer Scheibe er-

56) Man vergl. z. B. die frei endigenden Tabernakelsäulen Fig. 35 (nach
Perrot II. Fig. 68) und die von einem Architrav überdachte Säule bei Perrot II,
Fig. 71, was die Analogie mit der Bedeutung der egyptischen Lotuskapitäl-
säulen unmittelbar nahelegt.
57) Perrot II. Fig. 127, 128, S. 311.

A. Altorientalisches.
dasselbe, das wir zu Nimrud bloss an der Palmette beobachten konnten
und das wir daselbst gleichfalls mit der egyptischen Palmette in Ver-
bindung gebracht haben. In der That ist das abbreviirte egyptische
Palmettensystem — also diejenige Form, die wir als Lotusblüthe mit
Volutenkelch bezeichnet haben — eines der allergebräuchlichsten
assyrischen Ornamentmotive gewesen (Fig. 35). Der Unterschied gegen-
über dem egyptischen Vorbild beruht in der schlankeren Gestaltung der
Voluten, die auch den Charakter des Eingerolltseins häufig ganz ein-
gebüsst haben, und in der spitzen Gestaltung des mittleren Blattes.
Was aber doch wieder auf den Zusammenhang mit dem bezüglichen
egyptischen Motiv nachdrücklich hinweist, das ist die ganz gleichartige
Verwendung beider Motive. Denn auch in der assyrischen Kunst ist
das in Rede stehende Blüthenmotiv in der Regel einerseits dort an-
gewandt, wo es sich um die Krönung, das Auslaufen in eine freie En-
digung handelt 56), anderseits zur Bezeichnung derjenigen Stelle, wo ein
[Abbildung] Fig. 36

Granatapfel, assyrisch.

nach einer bestimmten Richtung funktionirendes Glied
von überwiegender Längenausdehnung ansetzt, worauf
noch im Folgenden bei Besprechung des sogen. heiligen
Baumes zurückzukommen sein wird.

Die assyrische Ornamentik hat ausserdem noch
ein Pflanzenmotiv aufzuweisen, das in der späteren
Kunst zu grosser Verbreitung gelangt ist und wegen
seiner häufigen Anwendung in der assyrischen Kunst
auf original-mesopotamischen Ursprung zurückgeführt werden könnte:
den sogen. Granatapfel. Man pflegt mit diesem Worte ein ornamentales
Motiv von kreisrunder Form zu bezeichnen, worauf eine aus drei
Blättchen gebildete Krone aufsitzt (Fig. 36). Dieses Motiv findet sich
in der assyrischen Kunst nicht selten 57), auch bordürenartig gereiht und
mittels Bogenlinien untereinander verbunden (Fig. 38), wobei die ein-
zelnen Granatäpfel mit den Rundbogenbändern mittels Heftel verknüpft
erscheinen. Es wäre aber auch nicht undenkbar, dass der Granatapfel
mit jenem egyptischen, vom Lotus abzuleitenden Krönungsmotiv zu-
sammenhängt, dessen Blattkrone sich gleichfalls über einer Scheibe er-

56) Man vergl. z. B. die frei endigenden Tabernakelsäulen Fig. 35 (nach
Perrot II. Fig. 68) und die von einem Architrav überdachte Säule bei Perrot II,
Fig. 71, was die Analogie mit der Bedeutung der egyptischen Lotuskapitäl-
säulen unmittelbar nahelegt.
57) Perrot II. Fig. 127, 128, S. 311.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0122" n="96"/><fw place="top" type="header">A. Altorientalisches.</fw><lb/>
dasselbe, das wir zu Nimrud bloss an der Palmette beobachten konnten<lb/>
und das wir daselbst gleichfalls mit der egyptischen Palmette in Ver-<lb/>
bindung gebracht haben. In der That ist das abbreviirte egyptische<lb/>
Palmettensystem &#x2014; also diejenige Form, die wir als Lotusblüthe mit<lb/>
Volutenkelch bezeichnet haben &#x2014; eines der allergebräuchlichsten<lb/>
assyrischen Ornamentmotive gewesen (Fig. 35). Der Unterschied gegen-<lb/>
über dem egyptischen Vorbild beruht in der schlankeren Gestaltung der<lb/>
Voluten, die auch den Charakter des Eingerolltseins häufig ganz ein-<lb/>
gebüsst haben, und in der spitzen Gestaltung des mittleren Blattes.<lb/>
Was aber doch wieder auf den Zusammenhang mit dem bezüglichen<lb/>
egyptischen Motiv nachdrücklich hinweist, das ist die ganz gleichartige<lb/>
Verwendung beider Motive. Denn auch in der assyrischen Kunst ist<lb/>
das in Rede stehende Blüthenmotiv in der Regel einerseits dort an-<lb/>
gewandt, wo es sich um die Krönung, das Auslaufen in eine freie En-<lb/>
digung handelt <note place="foot" n="56)">Man vergl. z. B. die frei endigenden Tabernakelsäulen Fig. 35 (nach<lb/>
Perrot II. Fig. 68) und die von einem Architrav überdachte Säule bei Perrot II,<lb/>
Fig. 71, was die Analogie mit der Bedeutung der egyptischen Lotuskapitäl-<lb/>
säulen unmittelbar nahelegt.</note>, anderseits zur Bezeichnung derjenigen Stelle, wo ein<lb/><figure><head>Fig. 36</head><lb/><p>Granatapfel, assyrisch.</p></figure><lb/>
nach einer bestimmten Richtung funktionirendes Glied<lb/>
von überwiegender Längenausdehnung ansetzt, worauf<lb/>
noch im Folgenden bei Besprechung des sogen. heiligen<lb/>
Baumes zurückzukommen sein wird.</p><lb/>
            <p>Die assyrische Ornamentik hat ausserdem noch<lb/>
ein Pflanzenmotiv aufzuweisen, das in der späteren<lb/>
Kunst zu grosser Verbreitung gelangt ist und wegen<lb/>
seiner häufigen Anwendung in der assyrischen Kunst<lb/>
auf original-mesopotamischen Ursprung zurückgeführt werden könnte:<lb/>
den sogen. <hi rendition="#i">Granatapfel</hi>. Man pflegt mit diesem Worte ein ornamentales<lb/>
Motiv von kreisrunder Form zu bezeichnen, worauf eine aus drei<lb/>
Blättchen gebildete Krone aufsitzt (Fig. 36). Dieses Motiv findet sich<lb/>
in der assyrischen Kunst nicht selten <note place="foot" n="57)">Perrot II. Fig. 127, 128, S. 311.</note>, auch bordürenartig gereiht und<lb/>
mittels Bogenlinien untereinander verbunden (Fig. 38), wobei die ein-<lb/>
zelnen Granatäpfel mit den Rundbogenbändern mittels Heftel verknüpft<lb/>
erscheinen. Es wäre aber auch nicht undenkbar, dass der Granatapfel<lb/>
mit jenem egyptischen, vom Lotus abzuleitenden Krönungsmotiv zu-<lb/>
sammenhängt, dessen Blattkrone sich gleichfalls über einer Scheibe er-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0122] A. Altorientalisches. dasselbe, das wir zu Nimrud bloss an der Palmette beobachten konnten und das wir daselbst gleichfalls mit der egyptischen Palmette in Ver- bindung gebracht haben. In der That ist das abbreviirte egyptische Palmettensystem — also diejenige Form, die wir als Lotusblüthe mit Volutenkelch bezeichnet haben — eines der allergebräuchlichsten assyrischen Ornamentmotive gewesen (Fig. 35). Der Unterschied gegen- über dem egyptischen Vorbild beruht in der schlankeren Gestaltung der Voluten, die auch den Charakter des Eingerolltseins häufig ganz ein- gebüsst haben, und in der spitzen Gestaltung des mittleren Blattes. Was aber doch wieder auf den Zusammenhang mit dem bezüglichen egyptischen Motiv nachdrücklich hinweist, das ist die ganz gleichartige Verwendung beider Motive. Denn auch in der assyrischen Kunst ist das in Rede stehende Blüthenmotiv in der Regel einerseits dort an- gewandt, wo es sich um die Krönung, das Auslaufen in eine freie En- digung handelt 56), anderseits zur Bezeichnung derjenigen Stelle, wo ein [Abbildung Fig. 36 Granatapfel, assyrisch.] nach einer bestimmten Richtung funktionirendes Glied von überwiegender Längenausdehnung ansetzt, worauf noch im Folgenden bei Besprechung des sogen. heiligen Baumes zurückzukommen sein wird. Die assyrische Ornamentik hat ausserdem noch ein Pflanzenmotiv aufzuweisen, das in der späteren Kunst zu grosser Verbreitung gelangt ist und wegen seiner häufigen Anwendung in der assyrischen Kunst auf original-mesopotamischen Ursprung zurückgeführt werden könnte: den sogen. Granatapfel. Man pflegt mit diesem Worte ein ornamentales Motiv von kreisrunder Form zu bezeichnen, worauf eine aus drei Blättchen gebildete Krone aufsitzt (Fig. 36). Dieses Motiv findet sich in der assyrischen Kunst nicht selten 57), auch bordürenartig gereiht und mittels Bogenlinien untereinander verbunden (Fig. 38), wobei die ein- zelnen Granatäpfel mit den Rundbogenbändern mittels Heftel verknüpft erscheinen. Es wäre aber auch nicht undenkbar, dass der Granatapfel mit jenem egyptischen, vom Lotus abzuleitenden Krönungsmotiv zu- sammenhängt, dessen Blattkrone sich gleichfalls über einer Scheibe er- 56) Man vergl. z. B. die frei endigenden Tabernakelsäulen Fig. 35 (nach Perrot II. Fig. 68) und die von einem Architrav überdachte Säule bei Perrot II, Fig. 71, was die Analogie mit der Bedeutung der egyptischen Lotuskapitäl- säulen unmittelbar nahelegt. 57) Perrot II. Fig. 127, 128, S. 311.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/122
Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/122>, abgerufen am 24.11.2024.