Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Altorientalisches.
dass an jedem Auge statt zweier Linien deren fünf zusammenlaufen.
Zur Zwickelfüllung sind neben Lotusblüthen auch Knospen verwendet,
was mit Rücksicht auf die Deutung der Tropfenfüllungen an den
Volutenkelchen von Bedeutung ist33).

Wenn wir an allen diesen Beispielen (Fig. 25--27) das Element der
Spirale als das Maassgebende, das vegetabilische Motiv dagegen als
blosses zwickelfüllendes Accidens aufgefasst haben, so ist Goodyear in
dieser Beziehung der gegentheiligen Meinung. Entsprechend der Grund-
tendenz seines Buches, womöglich alles antike Ornament aus der Ent-
wicklung des Lotusmotivs abzuleiten, will er auch die Spirale nicht
als ein selbständiges Element, sondern nur als blosses Derivat vom
Lotusmotiv gelten lassen. Den Ausgangspunkt hiefür erblickt er in
den Voluten der Lotusblüthe mit Volutenkelch. Goodyear dünkt die
Spirale nichts anderes, als eine Volute. Von solchem Gesichtspunkte
betrachtet wären aber die Lotusblüthen in Fig. 25--27 nicht mehr
blosse accidentelle Zwickelfüllungen, sondern sie müssten dann auch
in allen diesen Fällen für die Hauptmotive angesehen werden. Den
Beweis hierfür führt Goodyear34) hauptsächlich an der Hand von
Scarabäen; er kommt hierbei zu dem Schlusse, dass das Endresultat
des Ausbildungs- und Ablösungs-Processes der Voluten in den concen-
trischen Ringen vorliege. Dass Goodyear ausser Stande ist, den his-
torischen Verlauf des bezüglichen Processes an der Hand eines datirten
Materials durchzuführen, giebt er selbst zu. Wir kennen Denkmäler der
Spiralornamentik hauptsächlich aus dem Neuen Reiche; gewiss wird sie
aber schon im Alten Reiche in umfassendem Gebrauche gestanden sein,
wenn auch die Belege dafür sehr gering an Zahl sind. Gleichwohl
weiss Flinders Petrie einen Scarabäus mit dem ausgebildeten Schema
von Fig. 25 in die frühe Zeit der XI. Dynastie zu datiren35), einen
anderen ohne Zwickelfüllungen in die Zeit der V. Dynastie. Eine
scheinbare Rechtfertigung der Goodyear'schen Hypothese liefern nur
jene Beispiele, an denen die Lotusblüthen als Zwickelfüllungen zwischen
zwei selbständigen Einrollungen (Fig. 26) fungiren, welch letztere dann
als Volutenkelch für die Blüthe aufgefasst werden könnten. Gerade an
den einfachsten Beispielen aber (Fig. 25) schliesst sich an die füllende

33) Die Kuhköpfe sind ein gegenständliches Symbol (der Isis-Hathor) und
werden von Goodyear u. A. als die frühesten Vorläufer der Bukranien der
griechisch-römischen Dekorationskunst bezeichnet.
34) S. 81 ff., Taf. VIII.
35) Bei Goodyear Taf. VIII, No. 17.

A. Altorientalisches.
dass an jedem Auge statt zweier Linien deren fünf zusammenlaufen.
Zur Zwickelfüllung sind neben Lotusblüthen auch Knospen verwendet,
was mit Rücksicht auf die Deutung der Tropfenfüllungen an den
Volutenkelchen von Bedeutung ist33).

Wenn wir an allen diesen Beispielen (Fig. 25—27) das Element der
Spirale als das Maassgebende, das vegetabilische Motiv dagegen als
blosses zwickelfüllendes Accidens aufgefasst haben, so ist Goodyear in
dieser Beziehung der gegentheiligen Meinung. Entsprechend der Grund-
tendenz seines Buches, womöglich alles antike Ornament aus der Ent-
wicklung des Lotusmotivs abzuleiten, will er auch die Spirale nicht
als ein selbständiges Element, sondern nur als blosses Derivat vom
Lotusmotiv gelten lassen. Den Ausgangspunkt hiefür erblickt er in
den Voluten der Lotusblüthe mit Volutenkelch. Goodyear dünkt die
Spirale nichts anderes, als eine Volute. Von solchem Gesichtspunkte
betrachtet wären aber die Lotusblüthen in Fig. 25—27 nicht mehr
blosse accidentelle Zwickelfüllungen, sondern sie müssten dann auch
in allen diesen Fällen für die Hauptmotive angesehen werden. Den
Beweis hierfür führt Goodyear34) hauptsächlich an der Hand von
Scarabäen; er kommt hierbei zu dem Schlusse, dass das Endresultat
des Ausbildungs- und Ablösungs-Processes der Voluten in den concen-
trischen Ringen vorliege. Dass Goodyear ausser Stande ist, den his-
torischen Verlauf des bezüglichen Processes an der Hand eines datirten
Materials durchzuführen, giebt er selbst zu. Wir kennen Denkmäler der
Spiralornamentik hauptsächlich aus dem Neuen Reiche; gewiss wird sie
aber schon im Alten Reiche in umfassendem Gebrauche gestanden sein,
wenn auch die Belege dafür sehr gering an Zahl sind. Gleichwohl
weiss Flinders Petrie einen Scarabäus mit dem ausgebildeten Schema
von Fig. 25 in die frühe Zeit der XI. Dynastie zu datiren35), einen
anderen ohne Zwickelfüllungen in die Zeit der V. Dynastie. Eine
scheinbare Rechtfertigung der Goodyear’schen Hypothese liefern nur
jene Beispiele, an denen die Lotusblüthen als Zwickelfüllungen zwischen
zwei selbständigen Einrollungen (Fig. 26) fungiren, welch letztere dann
als Volutenkelch für die Blüthe aufgefasst werden könnten. Gerade an
den einfachsten Beispielen aber (Fig. 25) schliesst sich an die füllende

33) Die Kuhköpfe sind ein gegenständliches Symbol (der Isis-Hathor) und
werden von Goodyear u. A. als die frühesten Vorläufer der Bukranien der
griechisch-römischen Dekorationskunst bezeichnet.
34) S. 81 ff., Taf. VIII.
35) Bei Goodyear Taf. VIII, No. 17.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="74"/><fw place="top" type="header">A. Altorientalisches.</fw><lb/>
dass an jedem Auge statt zweier Linien deren fünf zusammenlaufen.<lb/>
Zur Zwickelfüllung sind neben Lotusblüthen auch Knospen verwendet,<lb/>
was mit Rücksicht auf die Deutung der Tropfenfüllungen an den<lb/>
Volutenkelchen von Bedeutung ist<note place="foot" n="33)">Die Kuhköpfe sind ein gegenständliches Symbol (der Isis-Hathor) und<lb/>
werden von Goodyear u. A. als die frühesten Vorläufer der Bukranien der<lb/>
griechisch-römischen Dekorationskunst bezeichnet.</note>.</p><lb/>
            <p>Wenn wir an allen diesen Beispielen (Fig. 25&#x2014;27) das Element der<lb/>
Spirale als das Maassgebende, das vegetabilische Motiv dagegen als<lb/>
blosses zwickelfüllendes Accidens aufgefasst haben, so ist Goodyear in<lb/>
dieser Beziehung der gegentheiligen Meinung. Entsprechend der Grund-<lb/>
tendenz seines Buches, womöglich alles antike Ornament aus der Ent-<lb/>
wicklung des Lotusmotivs abzuleiten, will er auch die Spirale nicht<lb/>
als ein selbständiges Element, sondern nur als blosses Derivat vom<lb/>
Lotusmotiv gelten lassen. Den Ausgangspunkt hiefür erblickt er in<lb/>
den Voluten der Lotusblüthe mit Volutenkelch. Goodyear dünkt die<lb/>
Spirale nichts anderes, als eine Volute. Von solchem Gesichtspunkte<lb/>
betrachtet wären aber die Lotusblüthen in Fig. 25&#x2014;27 nicht mehr<lb/>
blosse accidentelle Zwickelfüllungen, sondern sie müssten dann auch<lb/>
in allen diesen Fällen für die Hauptmotive angesehen werden. Den<lb/>
Beweis hierfür führt Goodyear<note place="foot" n="34)">S. 81 ff., Taf. VIII.</note> hauptsächlich an der Hand von<lb/>
Scarabäen; er kommt hierbei zu dem Schlusse, dass das Endresultat<lb/>
des Ausbildungs- und Ablösungs-Processes der Voluten in den concen-<lb/>
trischen Ringen vorliege. Dass Goodyear ausser Stande ist, den his-<lb/>
torischen Verlauf des bezüglichen Processes an der Hand eines datirten<lb/>
Materials durchzuführen, giebt er selbst zu. Wir kennen Denkmäler der<lb/>
Spiralornamentik hauptsächlich aus dem Neuen Reiche; gewiss wird sie<lb/>
aber schon im Alten Reiche in umfassendem Gebrauche gestanden sein,<lb/>
wenn auch die Belege dafür sehr gering an Zahl sind. Gleichwohl<lb/>
weiss Flinders Petrie einen Scarabäus mit dem ausgebildeten Schema<lb/>
von Fig. 25 in die frühe Zeit der XI. Dynastie zu datiren<note place="foot" n="35)">Bei Goodyear Taf. VIII, No. 17.</note>, einen<lb/>
anderen ohne Zwickelfüllungen in die Zeit der V. Dynastie. Eine<lb/>
scheinbare Rechtfertigung der Goodyear&#x2019;schen Hypothese liefern nur<lb/>
jene Beispiele, an denen die Lotusblüthen als Zwickelfüllungen zwischen<lb/>
zwei selbständigen Einrollungen (Fig. 26) fungiren, welch letztere dann<lb/>
als Volutenkelch für die Blüthe aufgefasst werden könnten. Gerade an<lb/>
den einfachsten Beispielen aber (Fig. 25) schliesst sich an die füllende<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0100] A. Altorientalisches. dass an jedem Auge statt zweier Linien deren fünf zusammenlaufen. Zur Zwickelfüllung sind neben Lotusblüthen auch Knospen verwendet, was mit Rücksicht auf die Deutung der Tropfenfüllungen an den Volutenkelchen von Bedeutung ist 33). Wenn wir an allen diesen Beispielen (Fig. 25—27) das Element der Spirale als das Maassgebende, das vegetabilische Motiv dagegen als blosses zwickelfüllendes Accidens aufgefasst haben, so ist Goodyear in dieser Beziehung der gegentheiligen Meinung. Entsprechend der Grund- tendenz seines Buches, womöglich alles antike Ornament aus der Ent- wicklung des Lotusmotivs abzuleiten, will er auch die Spirale nicht als ein selbständiges Element, sondern nur als blosses Derivat vom Lotusmotiv gelten lassen. Den Ausgangspunkt hiefür erblickt er in den Voluten der Lotusblüthe mit Volutenkelch. Goodyear dünkt die Spirale nichts anderes, als eine Volute. Von solchem Gesichtspunkte betrachtet wären aber die Lotusblüthen in Fig. 25—27 nicht mehr blosse accidentelle Zwickelfüllungen, sondern sie müssten dann auch in allen diesen Fällen für die Hauptmotive angesehen werden. Den Beweis hierfür führt Goodyear 34) hauptsächlich an der Hand von Scarabäen; er kommt hierbei zu dem Schlusse, dass das Endresultat des Ausbildungs- und Ablösungs-Processes der Voluten in den concen- trischen Ringen vorliege. Dass Goodyear ausser Stande ist, den his- torischen Verlauf des bezüglichen Processes an der Hand eines datirten Materials durchzuführen, giebt er selbst zu. Wir kennen Denkmäler der Spiralornamentik hauptsächlich aus dem Neuen Reiche; gewiss wird sie aber schon im Alten Reiche in umfassendem Gebrauche gestanden sein, wenn auch die Belege dafür sehr gering an Zahl sind. Gleichwohl weiss Flinders Petrie einen Scarabäus mit dem ausgebildeten Schema von Fig. 25 in die frühe Zeit der XI. Dynastie zu datiren 35), einen anderen ohne Zwickelfüllungen in die Zeit der V. Dynastie. Eine scheinbare Rechtfertigung der Goodyear’schen Hypothese liefern nur jene Beispiele, an denen die Lotusblüthen als Zwickelfüllungen zwischen zwei selbständigen Einrollungen (Fig. 26) fungiren, welch letztere dann als Volutenkelch für die Blüthe aufgefasst werden könnten. Gerade an den einfachsten Beispielen aber (Fig. 25) schliesst sich an die füllende 33) Die Kuhköpfe sind ein gegenständliches Symbol (der Isis-Hathor) und werden von Goodyear u. A. als die frühesten Vorläufer der Bukranien der griechisch-römischen Dekorationskunst bezeichnet. 34) S. 81 ff., Taf. VIII. 35) Bei Goodyear Taf. VIII, No. 17.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/100
Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/100>, abgerufen am 23.11.2024.