Wenn ich meine Leiden, die ich ihres ungestü- men Betragens halber ausgestanden, gegen ihre Leiden setze, die sie meinetwegen erduldet haben, so nehme ich mir die Freiheit, zu glauben, daß ich keine große Schuldnerin von ihnen bin.
Himmel! gnädige Fräulein! (Er nahm ei- nen hönischen Ton an) Was wollten sie eben ausgestanden haben! - - Nichts, was sie nicht leicht vergeben könnten! Sie sind nur in ihres Vaters Hause zur Gefangenen gemacht, um sie ihrer Klugheit wegen in den Ruf zu bringen. Man hat nur ein unschuldiges und treues Mäd- gen aus ihren Diensten gejagt, weil sie es zu leiden hatten. - - Man hat nur ihrer Schwester Mädgen und Vertraute über sie gesetzt, und ihr Erlaubniß gegeben, ihnen allen empfindlichen Verdruß anzuthun.
Schön! vortreflich! Herr Lovelace!
Sie haben nur einen übermüthigen Bruder gehabt, der es auf sich nahm, sie als eine Scla- vin zu mishandeln, und eine eben so übermü- thige Schwester, die sie bei allen Leuten verhaßt zu machen suchte, unter dem Vorwand, damit sie nicht in andre Hände gerathen möchten, die, wenn sie noch so schlimm sind, als sie nieder- trächtiger Weise vorgeben, doch nicht halb so schlimm und grausam sind, als ihre eignen.
Fahren sie fort, wenn ich bitten darf!
Sie sind nur verfolget, damit man sie nöthi- gen möchte, einen garstigen Menschen zu hei- rathen, gegen welchen sie ihren Haß erkläret hat-
ten,
Wenn ich meine Leiden, die ich ihres ungeſtuͤ- men Betragens halber ausgeſtanden, gegen ihre Leiden ſetze, die ſie meinetwegen erduldet haben, ſo nehme ich mir die Freiheit, zu glauben, daß ich keine große Schuldnerin von ihnen bin.
Himmel! gnaͤdige Fraͤulein! (Er nahm ei- nen hoͤniſchen Ton an) Was wollten ſie eben ausgeſtanden haben! ‒ ‒ Nichts, was ſie nicht leicht vergeben koͤnnten! Sie ſind nur in ihres Vaters Hauſe zur Gefangenen gemacht, um ſie ihrer Klugheit wegen in den Ruf zu bringen. Man hat nur ein unſchuldiges und treues Maͤd- gen aus ihren Dienſten gejagt, weil ſie es zu leiden hatten. ‒ ‒ Man hat nur ihrer Schweſter Maͤdgen und Vertraute uͤber ſie geſetzt, und ihr Erlaubniß gegeben, ihnen allen empfindlichen Verdruß anzuthun.
Schoͤn! vortreflich! Herr Lovelace!
Sie haben nur einen uͤbermuͤthigen Bruder gehabt, der es auf ſich nahm, ſie als eine Scla- vin zu mishandeln, und eine eben ſo uͤbermuͤ- thige Schweſter, die ſie bei allen Leuten verhaßt zu machen ſuchte, unter dem Vorwand, damit ſie nicht in andre Haͤnde gerathen moͤchten, die, wenn ſie noch ſo ſchlimm ſind, als ſie nieder- traͤchtiger Weiſe vorgeben, doch nicht halb ſo ſchlimm und grauſam ſind, als ihre eignen.
Fahren ſie fort, wenn ich bitten darf!
Sie ſind nur verfolget, damit man ſie noͤthi- gen moͤchte, einen garſtigen Menſchen zu hei- rathen, gegen welchen ſie ihren Haß erklaͤret hat-
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Wenn ich meine Leiden, die ich ihres ungeſtuͤ-
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ſo nehme ich mir die Freiheit, zu glauben, daß
ich keine große Schuldnerin von ihnen bin.
Himmel! gnaͤdige Fraͤulein! (Er nahm ei-
nen hoͤniſchen Ton an) Was wollten ſie eben
ausgeſtanden haben! ‒ ‒ Nichts, was ſie nicht
leicht vergeben koͤnnten! Sie ſind nur in ihres
Vaters Hauſe zur Gefangenen gemacht, um ſie
ihrer Klugheit wegen in den Ruf zu bringen.
Man hat nur ein unſchuldiges und treues Maͤd-
gen aus ihren Dienſten gejagt, weil ſie es zu
leiden hatten. ‒ ‒ Man hat nur ihrer Schweſter
Maͤdgen und Vertraute uͤber ſie geſetzt, und ihr
Erlaubniß gegeben, ihnen allen empfindlichen
Verdruß anzuthun.
Schoͤn! vortreflich! Herr Lovelace!
Sie haben nur einen uͤbermuͤthigen Bruder
gehabt, der es auf ſich nahm, ſie als eine Scla-
vin zu mishandeln, und eine eben ſo uͤbermuͤ-
thige Schweſter, die ſie bei allen Leuten verhaßt
zu machen ſuchte, unter dem Vorwand, damit
ſie nicht in andre Haͤnde gerathen moͤchten, die,
wenn ſie noch ſo ſchlimm ſind, als ſie nieder-
traͤchtiger Weiſe vorgeben, doch nicht halb ſo
ſchlimm und grauſam ſind, als ihre eignen.
Fahren ſie fort, wenn ich bitten darf!
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/55>, abgerufen am 16.02.2025.
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