So viel weiß ich gewiß, gnädige Fräulein, dieser Leute Bosheit gegen mich gehet so weit, daß, wenn sie sich entschließen, mich aufzuop- fern, ihre Aussöhnung sogleich wird genehmi- get werden.
Und so viel weiß ich, wenn ich meinem Va- ter das Recht zu stehe, ihnen meine Person zu versagen, und er will sich damit begnügen las- sen, so thue ich weiter nichts, als meine Pflicht. Und wenn ich mir dasselbe Recht vorbehalte, so werde ich keine von den Pflichten verletzen, die ich ihnen schuldig bin.
Jhre Pflicht gegen ihren eigensinnigen Bru- der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater!
Wenn auch der Streit zuerst zwischen mir und meinem Bruder wäre, Herr Lovelace, so stehet es doch einem Vater frei, wessen Parthei er nehmen will.
Das stehet ihm frei, gnädige Fräulein, aber es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel frei, wenn er die Parthei dessen nimmt, der Unrecht hat. - -
So wie die Leute verschieden sind, Herr Lo- velace, so werden sie auch verschiedentlich über Recht und Unrecht urtheilen. Sie urtheilen wie sie es gut finden. Sollen das andere Leu- te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht. Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va- ters zu meistern, das er in seiner eignen Fami- milie, und zwar über sein eigen Kind, fället?
Jch
So viel weiß ich gewiß, gnaͤdige Fraͤulein, dieſer Leute Bosheit gegen mich gehet ſo weit, daß, wenn ſie ſich entſchließen, mich aufzuop- fern, ihre Ausſoͤhnung ſogleich wird genehmi- get werden.
Und ſo viel weiß ich, wenn ich meinem Va- ter das Recht zu ſtehe, ihnen meine Perſon zu verſagen, und er will ſich damit begnuͤgen laſ- ſen, ſo thue ich weiter nichts, als meine Pflicht. Und wenn ich mir daſſelbe Recht vorbehalte, ſo werde ich keine von den Pflichten verletzen, die ich ihnen ſchuldig bin.
Jhre Pflicht gegen ihren eigenſinnigen Bru- der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater!
Wenn auch der Streit zuerſt zwiſchen mir und meinem Bruder waͤre, Herr Lovelace, ſo ſtehet es doch einem Vater frei, weſſen Parthei er nehmen will.
Das ſtehet ihm frei, gnaͤdige Fraͤulein, aber es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel frei, wenn er die Parthei deſſen nimmt, der Unrecht hat. ‒ ‒
So wie die Leute verſchieden ſind, Herr Lo- velace, ſo werden ſie auch verſchiedentlich uͤber Recht und Unrecht urtheilen. Sie urtheilen wie ſie es gut finden. Sollen das andere Leu- te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht. Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va- ters zu meiſtern, das er in ſeiner eignen Fami- milie, und zwar uͤber ſein eigen Kind, faͤllet?
Jch
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So viel weiß ich gewiß, gnaͤdige Fraͤulein,
dieſer Leute Bosheit gegen mich gehet ſo weit,
daß, wenn ſie ſich entſchließen, mich aufzuop-
fern, ihre Ausſoͤhnung ſogleich wird genehmi-
get werden.
Und ſo viel weiß ich, wenn ich meinem Va-
ter das Recht zu ſtehe, ihnen meine Perſon zu
verſagen, und er will ſich damit begnuͤgen laſ-
ſen, ſo thue ich weiter nichts, als meine Pflicht.
Und wenn ich mir daſſelbe Recht vorbehalte,
ſo werde ich keine von den Pflichten verletzen,
die ich ihnen ſchuldig bin.
Jhre Pflicht gegen ihren eigenſinnigen Bru-
der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater!
Wenn auch der Streit zuerſt zwiſchen mir
und meinem Bruder waͤre, Herr Lovelace, ſo
ſtehet es doch einem Vater frei, weſſen Parthei er
nehmen will.
Das ſtehet ihm frei, gnaͤdige Fraͤulein, aber
es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel
frei, wenn er die Parthei deſſen nimmt, der
Unrecht hat. ‒ ‒
So wie die Leute verſchieden ſind, Herr Lo-
velace, ſo werden ſie auch verſchiedentlich uͤber
Recht und Unrecht urtheilen. Sie urtheilen
wie ſie es gut finden. Sollen das andere Leu-
te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht.
Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va-
ters zu meiſtern, das er in ſeiner eignen Fami-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/53>, abgerufen am 17.02.2025.
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