[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753."ich sie hier mit Stillschweigen. Jch könnte "auch für meine Meinung etliche Stellen aus "dem Aristoteles anführen. Denn wenn er "an einem Ort saget, daß ein ganz tugendhaf- "ter Mann nicht als ganz unglücklich vorge- "stellet werden soll, so entschuldiget dies noch "niemanden, der es gut findet, einen ganz voll- "kommen tugendhaften Held auf die Schau- "bühne zu bringen. Diejenigen, die Aristo- "teles Art zu schreiben kennen, wissen sehr wol, "daß er oftmals, um den ganzen Umfang sei- "nes Satzes in eine Zergliederung zu bringen, "auch eingebildete Fälle setzet, die in einem Ge- "dicht nicht zu brauchen sind." "Jch schliesse mit der Anmerkung: Un- "fe
„ich ſie hier mit Stillſchweigen. Jch koͤnnte „auch fuͤr meine Meinung etliche Stellen aus „dem Ariſtoteles anfuͤhren. Denn wenn er „an einem Ort ſaget, daß ein ganz tugendhaf- „ter Mann nicht als ganz ungluͤcklich vorge- „ſtellet werden ſoll, ſo entſchuldiget dies noch „niemanden, der es gut findet, einen ganz voll- „kommen tugendhaften Held auf die Schau- „buͤhne zu bringen. Diejenigen, die Ariſto- „teles Art zu ſchreiben kennen, wiſſen ſehr wol, „daß er oftmals, um den ganzen Umfang ſei- „nes Satzes in eine Zergliederung zu bringen, „auch eingebildete Faͤlle ſetzet, die in einem Ge- „dicht nicht zu brauchen ſind.” „Jch ſchlieſſe mit der Anmerkung: Un- „fe
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„ich ſie hier mit Stillſchweigen. Jch koͤnnte
„auch fuͤr meine Meinung etliche Stellen aus
„dem Ariſtoteles anfuͤhren. Denn wenn er
„an einem Ort ſaget, daß ein ganz tugendhaf-
„ter Mann nicht als ganz ungluͤcklich vorge-
„ſtellet werden ſoll, ſo entſchuldiget dies noch
„niemanden, der es gut findet, einen ganz voll-
„kommen tugendhaften Held auf die Schau-
„buͤhne zu bringen. Diejenigen, die Ariſto-
„teles Art zu ſchreiben kennen, wiſſen ſehr wol,
„daß er oftmals, um den ganzen Umfang ſei-
„nes Satzes in eine Zergliederung zu bringen,
„auch eingebildete Faͤlle ſetzet, die in einem Ge-
„dicht nicht zu brauchen ſind.”
„Jch ſchlieſſe mit der Anmerkung: Un-
„geachtet das oberwehnte Stuͤck des Zuſchauers
„in ſo weit wider die poetiſche Gerechtigkeit
„ſtreitet, daß es behauptet: es koͤnnen auch
„fromme Leute in einem Trauerſpiele einen wi-
„drigen Ausgang ihres Schickſals erfahren, ſa-
„get es dennoch nicht, daß die Boͤſen ungeſtraft
„davon kommen ſollen. Die Urſache hievon
„iſt ſehr klar, nemlich, weil noch die beſten
„unter den Menſchen, wie ich oben geſagt, Feh-
„ler genug haben, die Vorſehung bei dem Un-
„gluͤck, das ſie befaͤllt, zu rechtfertigen; hin-
„gegen viele Menſchen, ſo ſtrafbar ſind, daß ſie
„auf keine Gluͤckſeligkeit den geringſten ſchein-
„baren Anſpruch machen koͤnnen. Der beſte
„Menſch von der Welt kann noch immer Stra-
„fe
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