Doch hatte sie nicht zu fürchten, daß ihre un- vorsichtige Mutter sie einsperren, oder zurück- halten würde; welchen Umstand sie gleichwol durchaus nothwendig hielt, eine Parthenissa abzugeben.
Bei allen diesen feinen Eigenschaften nach dem heutigen Fuß, legte sie doch das neun- zehnte Jahr zurück, ehe ihr ein Antrag gescha- he, der von Folgen gewesen wäre. Die Hälf- te von ihren Bewunderern fürchtete sich vor ih- rer Liebe zu einer lustigen Lebensart bei einem mittelmäßigen Vermögen zu sehr, als daß er fich im Ernst um ihre Gunst bewerben mochte. Andere wurden durch ihr erhabnes Wesen, das sie annahm, in einer Entfernung gehalten: Wieder andre mochten die Schwachheiten der Mutter und Tochter nicht genau einsehen, und wurden durch den Gedanken zurückgehalten, daß sie von der ersten zu sorgfältig bewachet würde.
Aber da sie den Mann fand, der den Muth und die Geschicklichkeit zu Liebes-Händeln besaß, die sie sich bei ihrem Helden gedacht hatte, so ist wol nie eine Heldin so leicht bezwungen, nie eine Göttin so zeitig ihrer himmlischen Vorzüge beraubt! Denn in der Oper, wo weder sie noch ihre Mutter zu fehlen war, sahe sie den glän- zenden Lovelace; Sie sahe ihn in der Gestalt eines aufgebrachten Helden, da er an zween Ca- valieren eine geringe Beleidigung ahndete, die sie seiner Sally Martin, welche sie in ihrem blühenden Zustande gekannt hatten, zugefüget.
Den
Doch hatte ſie nicht zu fuͤrchten, daß ihre un- vorſichtige Mutter ſie einſperren, oder zuruͤck- halten wuͤrde; welchen Umſtand ſie gleichwol durchaus nothwendig hielt, eine Partheniſſa abzugeben.
Bei allen dieſen feinen Eigenſchaften nach dem heutigen Fuß, legte ſie doch das neun- zehnte Jahr zuruͤck, ehe ihr ein Antrag geſcha- he, der von Folgen geweſen waͤre. Die Haͤlf- te von ihren Bewunderern fuͤrchtete ſich vor ih- rer Liebe zu einer luſtigen Lebensart bei einem mittelmaͤßigen Vermoͤgen zu ſehr, als daß er fich im Ernſt um ihre Gunſt bewerben mochte. Andere wurden durch ihr erhabnes Weſen, das ſie annahm, in einer Entfernung gehalten: Wieder andre mochten die Schwachheiten der Mutter und Tochter nicht genau einſehen, und wurden durch den Gedanken zuruͤckgehalten, daß ſie von der erſten zu ſorgfaͤltig bewachet wuͤrde.
Aber da ſie den Mann fand, der den Muth und die Geſchicklichkeit zu Liebes-Haͤndeln beſaß, die ſie ſich bei ihrem Helden gedacht hatte, ſo iſt wol nie eine Heldin ſo leicht bezwungen, nie eine Goͤttin ſo zeitig ihrer himmliſchen Vorzuͤge beraubt! Denn in der Oper, wo weder ſie noch ihre Mutter zu fehlen war, ſahe ſie den glaͤn- zenden Lovelace; Sie ſahe ihn in der Geſtalt eines aufgebrachten Helden, da er an zween Ca- valieren eine geringe Beleidigung ahndete, die ſie ſeiner Sally Martin, welche ſie in ihrem bluͤhenden Zuſtande gekannt hatten, zugefuͤget.
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Doch hatte ſie nicht zu fuͤrchten, daß ihre un-
vorſichtige Mutter ſie einſperren, oder zuruͤck-
halten wuͤrde; welchen Umſtand ſie gleichwol
durchaus nothwendig hielt, eine Partheniſſa
abzugeben.
Bei allen dieſen feinen Eigenſchaften nach
dem heutigen Fuß, legte ſie doch das neun-
zehnte Jahr zuruͤck, ehe ihr ein Antrag geſcha-
he, der von Folgen geweſen waͤre. Die Haͤlf-
te von ihren Bewunderern fuͤrchtete ſich vor ih-
rer Liebe zu einer luſtigen Lebensart bei einem
mittelmaͤßigen Vermoͤgen zu ſehr, als daß er
fich im Ernſt um ihre Gunſt bewerben mochte.
Andere wurden durch ihr erhabnes Weſen, das
ſie annahm, in einer Entfernung gehalten:
Wieder andre mochten die Schwachheiten der
Mutter und Tochter nicht genau einſehen, und
wurden durch den Gedanken zuruͤckgehalten, daß
ſie von der erſten zu ſorgfaͤltig bewachet wuͤrde.
Aber da ſie den Mann fand, der den Muth
und die Geſchicklichkeit zu Liebes-Haͤndeln beſaß,
die ſie ſich bei ihrem Helden gedacht hatte, ſo
iſt wol nie eine Heldin ſo leicht bezwungen, nie
eine Goͤttin ſo zeitig ihrer himmliſchen Vorzuͤge
beraubt! Denn in der Oper, wo weder ſie noch
ihre Mutter zu fehlen war, ſahe ſie den glaͤn-
zenden Lovelace; Sie ſahe ihn in der Geſtalt
eines aufgebrachten Helden, da er an zween Ca-
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ſie ſeiner Sally Martin, welche ſie in ihrem
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/336>, abgerufen am 16.02.2025.
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