Sie sahe überdem eine Menge unterthäniger Diener, die sich einander ablöseten, um ihre Mutter herum schwärmen; welche sich auf der- gleichen Aufwartungen nur gar zu viel einbil- dete. Was war dies für ein Exempel für ein Mädgen, das, gleich dem Zunder, bereit war, Feuer zu fassen; vornemlich da ihr Schicksal beschloß, daß sie einem Freigeiste von eiserner Stirn, und steinernem Herzen, zuletzt in die Hände fallen sollte!
Kurz, da die junge Dame bei dem Eindruck, den eine solche Anführerin, und so leichtfinnig und frostig geschriebne Vücher auf ihr Herz ma- chen mußten, heranwuchs; und die Musie, die Concerte, Opern, Spiele, Assembleen, Bäl- le, und der übrige Pöbel von unserm heutigen Zeitvertreibe ihr feuriges Temperament noch mehr erhitzten: So ist es kein Wunder, daß sie, gleich einer frühzeitigen Frucht bald reif wurde, um von der Hand eines hinterlistigen Liebha- bers gebrochen zu werden.
Jn ihrem funfzehenden Jahre, wie sie selbst gestand, kostete sie es keine Mühe, sich einzu- bilden, daß sie die Heldin eines jeden verliebten Abentheuers, oder einer jeden Comoedie sei, die sie las; so wol mußte sie in den Sinn des Verfassers hinein zu gehen! Sie glühete vor Begierde, der Gegenstand der Flamme eines Helden zu werden, und wünschte im Ernst, ei- nen Liebes-Handel anzufangen, und gar von einem muthigen Liebhaber entführet zu werden.
Doch
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Sie ſahe uͤberdem eine Menge unterthaͤniger Diener, die ſich einander abloͤſeten, um ihre Mutter herum ſchwaͤrmen; welche ſich auf der- gleichen Aufwartungen nur gar zu viel einbil- dete. Was war dies fuͤr ein Exempel fuͤr ein Maͤdgen, das, gleich dem Zunder, bereit war, Feuer zu faſſen; vornemlich da ihr Schickſal beſchloß, daß ſie einem Freigeiſte von eiſerner Stirn, und ſteinernem Herzen, zuletzt in die Haͤnde fallen ſollte!
Kurz, da die junge Dame bei dem Eindruck, den eine ſolche Anfuͤhrerin, und ſo leichtfinnig und froſtig geſchriebne Vuͤcher auf ihr Herz ma- chen mußten, heranwuchs; und die Muſie, die Concerte, Opern, Spiele, Aſſembleen, Baͤl- le, und der uͤbrige Poͤbel von unſerm heutigen Zeitvertreibe ihr feuriges Temperament noch mehr erhitzten: So iſt es kein Wunder, daß ſie, gleich einer fruͤhzeitigen Frucht bald reif wurde, um von der Hand eines hinterliſtigen Liebha- bers gebrochen zu werden.
Jn ihrem funfzehenden Jahre, wie ſie ſelbſt geſtand, koſtete ſie es keine Muͤhe, ſich einzu- bilden, daß ſie die Heldin eines jeden verliebten Abentheuers, oder einer jeden Comoedie ſei, die ſie las; ſo wol mußte ſie in den Sinn des Verfaſſers hinein zu gehen! Sie gluͤhete vor Begierde, der Gegenſtand der Flamme eines Helden zu werden, und wuͤnſchte im Ernſt, ei- nen Liebes-Handel anzufangen, und gar von einem muthigen Liebhaber entfuͤhret zu werden.
Doch
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Sie ſahe uͤberdem eine Menge unterthaͤniger
Diener, die ſich einander abloͤſeten, um ihre
Mutter herum ſchwaͤrmen; welche ſich auf der-
gleichen Aufwartungen nur gar zu viel einbil-
dete. Was war dies fuͤr ein Exempel fuͤr ein
Maͤdgen, das, gleich dem Zunder, bereit war,
Feuer zu faſſen; vornemlich da ihr Schickſal
beſchloß, daß ſie einem Freigeiſte von eiſerner
Stirn, und ſteinernem Herzen, zuletzt in die
Haͤnde fallen ſollte!
Kurz, da die junge Dame bei dem Eindruck,
den eine ſolche Anfuͤhrerin, und ſo leichtfinnig
und froſtig geſchriebne Vuͤcher auf ihr Herz ma-
chen mußten, heranwuchs; und die Muſie, die
Concerte, Opern, Spiele, Aſſembleen, Baͤl-
le, und der uͤbrige Poͤbel von unſerm heutigen
Zeitvertreibe ihr feuriges Temperament noch
mehr erhitzten: So iſt es kein Wunder, daß ſie,
gleich einer fruͤhzeitigen Frucht bald reif wurde,
um von der Hand eines hinterliſtigen Liebha-
bers gebrochen zu werden.
Jn ihrem funfzehenden Jahre, wie ſie ſelbſt
geſtand, koſtete ſie es keine Muͤhe, ſich einzu-
bilden, daß ſie die Heldin eines jeden verliebten
Abentheuers, oder einer jeden Comoedie ſei, die
ſie las; ſo wol mußte ſie in den Sinn des
Verfaſſers hinein zu gehen! Sie gluͤhete vor
Begierde, der Gegenſtand der Flamme eines
Helden zu werden, und wuͤnſchte im Ernſt, ei-
nen Liebes-Handel anzufangen, und gar von
einem muthigen Liebhaber entfuͤhret zu werden.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/335>, abgerufen am 24.11.2024.
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