[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.sie gesucht würde, als Anlaß geben, zu den- ken, daß sie andre suchte. Nur dann und wann könnte sie ihr Gedächtniß erneuern, und zuwei- len an öffentlichen Oertern erscheinen, wenn sie es für warscheinlich hielte, daß man sie verges- sen haben könnte; So würde sie alsdann im- mer wieder neu seyn. Doch ein junges Frauen- zimmer müßte billig allezeit diese Anmerkung in ihrem Herzen haben, daß sie es schwerlich je- mals erwarten kann, ihre Eitelkeit zu vergnü- gen, und zu gleicher Zeit die Bewundrung der Personen zu gewinnen, die würdig wären, daß sie sich mit ihnen auf Zeitlebens verbände. Kurz, sie können an öffentlichen Oertern viele Be- wunderer haben, aber nicht einen Liebhaber. Sally Martin wußte von dieser Lehre nichts. Endlich langte ihr Schicksal heran. Auf ei- und
ſie geſucht wuͤrde, als Anlaß geben, zu den- ken, daß ſie andre ſuchte. Nur dann und wann koͤnnte ſie ihr Gedaͤchtniß erneuern, und zuwei- len an oͤffentlichen Oertern erſcheinen, wenn ſie es fuͤr warſcheinlich hielte, daß man ſie vergeſ- ſen haben koͤnnte; So wuͤrde ſie alsdann im- mer wieder neu ſeyn. Doch ein junges Frauen- zimmer muͤßte billig allezeit dieſe Anmerkung in ihrem Herzen haben, daß ſie es ſchwerlich je- mals erwarten kann, ihre Eitelkeit zu vergnuͤ- gen, und zu gleicher Zeit die Bewundrung der Perſonen zu gewinnen, die wuͤrdig waͤren, daß ſie ſich mit ihnen auf Zeitlebens verbaͤnde. Kurz, ſie koͤnnen an oͤffentlichen Oertern viele Be- wunderer haben, aber nicht einen Liebhaber. Sally Martin wußte von dieſer Lehre nichts. Endlich langte ihr Schickſal heran. Auf ei- und
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ſie geſucht wuͤrde, als Anlaß geben, zu den-
ken, daß ſie andre ſuchte. Nur dann und wann
koͤnnte ſie ihr Gedaͤchtniß erneuern, und zuwei-
len an oͤffentlichen Oertern erſcheinen, wenn ſie
es fuͤr warſcheinlich hielte, daß man ſie vergeſ-
ſen haben koͤnnte; So wuͤrde ſie alsdann im-
mer wieder neu ſeyn. Doch ein junges Frauen-
zimmer muͤßte billig allezeit dieſe Anmerkung in
ihrem Herzen haben, daß ſie es ſchwerlich je-
mals erwarten kann, ihre Eitelkeit zu vergnuͤ-
gen, und zu gleicher Zeit die Bewundrung der
Perſonen zu gewinnen, die wuͤrdig waͤren, daß
ſie ſich mit ihnen auf Zeitlebens verbaͤnde. Kurz,
ſie koͤnnen an oͤffentlichen Oertern viele Be-
wunderer haben, aber nicht einen Liebhaber.
Sally Martin wußte von dieſer Lehre nichts.
Jhre Schoͤnheit war in ihrer Bluͤte, und doch
fand ſie ſich nicht geachtet. „Sally Martin,
„des Kraͤmers Tochter; ſie iſt hier gar
„nicht zu fehlen!” war die Antwort nebſt der
Anmerkung, die man allezeit auf die Frage er-
theilte: wer die Dame ſei?
Endlich langte ihr Schickſal heran. Auf ei-
ner Masquerade ſahe ſie zuerſt den muntern,
den wolgemachten Lovelace, der eben von ſei-
nen Reiſen zuruͤckgekommen war. Sie fand
ſich gleich durch ſeine Figur, und durch die ar-
tigen Dinge getroffen, die ſie von ſeinen Lippen
hoͤrete, da es ſich fuͤgte, daß er nahe bei ihr
ſaß. Er, der ſich damals nicht nach einer Ge-
mahlin umſahe, ward von dem freien Weſen,
und
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