[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.führerin, (an statt sich anführen zu lassen) von allem Frauenzimmer, die mit ihr verwand oder be- kannt waren, wenn sie gleich ein Drittheil Jah- re mehr hatten. Bei einem öffentlichen Schau- spiel, wo alles besetzt war, wuste sie sich durch die sauren Gesichter der Leute, die ihren Sitz schon vorher genommen hatten, mit einem gros- sen Geräusch durchzudrängen, und sich und ih- ren blödern Gefährtinnen Platz zu machen. Je- derman, der nahe bei ihr saß, erstaunte über ihre Zuversichtlichkeit, und wunderte sich, daß sie keinen Bedienten hätte, den Platz für sie zu belegen; er fragte darauf seinen Nachbar leise, wer sie wäre, und dann setzte er sich voller Ver- wunderung über ihre Dreistigkeit nieder. Sie machte sich durch allerlei Gefälligkeiten Diejenigen, welche dem Wink ihrer Augen, ange- U 4
fuͤhrerin, (an ſtatt ſich anfuͤhren zu laſſen) von allem Frauenzimmer, die mit ihr verwand oder be- kannt waren, wenn ſie gleich ein Drittheil Jah- re mehr hatten. Bei einem oͤffentlichen Schau- ſpiel, wo alles beſetzt war, wuſte ſie ſich durch die ſauren Geſichter der Leute, die ihren Sitz ſchon vorher genommen hatten, mit einem groſ- ſen Geraͤuſch durchzudraͤngen, und ſich und ih- ren bloͤdern Gefaͤhrtinnen Platz zu machen. Je- derman, der nahe bei ihr ſaß, erſtaunte uͤber ihre Zuverſichtlichkeit, und wunderte ſich, daß ſie keinen Bedienten haͤtte, den Platz fuͤr ſie zu belegen; er fragte darauf ſeinen Nachbar leiſe, wer ſie waͤre, und dann ſetzte er ſich voller Ver- wunderung uͤber ihre Dreiſtigkeit nieder. Sie machte ſich durch allerlei Gefaͤlligkeiten Diejenigen, welche dem Wink ihrer Augen, ange- U 4
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fuͤhrerin, (an ſtatt ſich anfuͤhren zu laſſen) von
allem Frauenzimmer, die mit ihr verwand oder be-
kannt waren, wenn ſie gleich ein Drittheil Jah-
re mehr hatten. Bei einem oͤffentlichen Schau-
ſpiel, wo alles beſetzt war, wuſte ſie ſich durch
die ſauren Geſichter der Leute, die ihren Sitz
ſchon vorher genommen hatten, mit einem groſ-
ſen Geraͤuſch durchzudraͤngen, und ſich und ih-
ren bloͤdern Gefaͤhrtinnen Platz zu machen. Je-
derman, der nahe bei ihr ſaß, erſtaunte uͤber
ihre Zuverſichtlichkeit, und wunderte ſich, daß
ſie keinen Bedienten haͤtte, den Platz fuͤr ſie zu
belegen; er fragte darauf ſeinen Nachbar leiſe,
wer ſie waͤre, und dann ſetzte er ſich voller Ver-
wunderung uͤber ihre Dreiſtigkeit nieder.
Sie machte ſich durch allerlei Gefaͤlligkeiten
bei den vornehmſten Comoedianten und Actri-
cen wichtig, welche ſich wieder an ſie machten,
als eine ihrer Goͤnnerinnen, die ihren Stuͤcken
Zulauf verſchaffen koͤnnte. Sie wußte ſo wol
den Tauf- als Zunamen von einem jeden arti-
gen jungen Herren, der die oͤffentlichen Plaͤtze
beſuchte, und ſuchte etwas darin, ſie bei dem
erſten Namen zu nennen, wenn ſie von ihnen
redete.
Diejenigen, welche dem Wink ihrer Augen,
mit denen ſie ſie alle aufforderte, ſie bei ihrer
Ankunft, oder ehe ſie Platz nahm, zu bemer-
ken, nicht gehorchet hatten, wurden mit groſſer
Erhabenheit Carls oder Ferdinands genen-
net. Jhre Lieblinge hingegen hieſſen mit einer
ange-
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