[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.Wahl aufgebe. Bisher habe ichs geschehen lassen, daß ich die Befehle aus der zweiten Hand, und die Beleidigungen aus der ersten Hand be- kommen. Jhr seid nur meine Schwester, und mein Bruder ist mein Oberherr nicht. So lan- ge ich einen Vater und Mutter im Leben habe, will ich eine solche Begegnung von einem Bru- der, und Schwester, und ihren Bedienten nicht länger dulden, die mir alle zusetzen, mich, wie es scheinet, zur Verzweiflung, oder sonst zu einer kühnen That zu bringen. - - Kurz, Schwester, ich will wissen, warum ich so eingesperret wer- de? - - was man damit haben will? - - und ob ich als ein Kind oder als ein Sclave be- trachtet werden soll? Sie erstaunte, weil ich dies sagte, theils aus Seid ihr das? Seid ihr es würklich? - - Jn der That, Clärgen, ich erstaune über Laßt mich also, - - aber daß mein Bruder und ne
Wahl aufgebe. Bisher habe ichs geſchehen laſſen, daß ich die Befehle aus der zweiten Hand, und die Beleidigungen aus der erſten Hand be- kommen. Jhr ſeid nur meine Schweſter, und mein Bruder iſt mein Oberherr nicht. So lan- ge ich einen Vater und Mutter im Leben habe, will ich eine ſolche Begegnung von einem Bru- der, und Schweſter, und ihren Bedienten nicht laͤnger dulden, die mir alle zuſetzen, mich, wie es ſcheinet, zur Verzweiflung, oder ſonſt zu einer kuͤhnen That zu bringen. ‒ ‒ Kurz, Schweſter, ich will wiſſen, warum ich ſo eingeſperret wer- de? ‒ ‒ was man damit haben will? ‒ ‒ und ob ich als ein Kind oder als ein Sclave be- trachtet werden ſoll? Sie erſtaunte, weil ich dies ſagte, theils aus Seid ihr das? Seid ihr es wuͤrklich? ‒ ‒ Jn der That, Claͤrgen, ich erſtaune uͤber Laßt mich alſo, ‒ ‒ aber daß mein Bruder und ne
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Wahl aufgebe. Bisher habe ichs geſchehen
laſſen, daß ich die Befehle aus der zweiten Hand,
und die Beleidigungen aus der erſten Hand be-
kommen. Jhr ſeid nur meine Schweſter, und
mein Bruder iſt mein Oberherr nicht. So lan-
ge ich einen Vater und Mutter im Leben habe,
will ich eine ſolche Begegnung von einem Bru-
der, und Schweſter, und ihren Bedienten nicht
laͤnger dulden, die mir alle zuſetzen, mich, wie es
ſcheinet, zur Verzweiflung, oder ſonſt zu einer
kuͤhnen That zu bringen. ‒ ‒ Kurz, Schweſter,
ich will wiſſen, warum ich ſo eingeſperret wer-
de? ‒ ‒ was man damit haben will? ‒ ‒ und
ob ich als ein Kind oder als ein Sclave be-
trachtet werden ſoll?
Sie erſtaunte, weil ich dies ſagte, theils aus
einer wuͤrklichen, theils aus einer angenomme-
nen Beſtuͤrzung.
Seid ihr das? Seid ihr es wuͤrklich? ‒ ‒
Jn der That, Claͤrgen, ich erſtaune uͤber
euch! Aber weil ihr doch ſo ein Verlangen habt,
euch ſelbſt an euren Vater und Mutter zu wen-
den, ſo will ich hinunter gehen, und ihnen er-
zaͤhlen, was ihr ſagt. Eure Verwandten ſind
vermuthlich noch nicht fort: Sie ſollen ſich wie-
der verſammlen, und dann moͤget ihr herunter
kommen, und ſelbſt fuͤr eure Sache reden.
Laßt mich alſo, ‒ ‒ aber daß mein Bruder und
ihr nicht gegenwaͤrtig ſeid. Jhr habt euch zu
partheiiſch gegen mich gewieſen, als daß ihr mei-
ne
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Zitationshilfe: | [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/24>, abgerufen am 22.07.2024. |