[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.weil sie lieber um nichts und wieder nichts ihre Kleider verkaufen will. Denkest du nicht, daß sie zuweilen ein wenig niedergeschlagen ist? Jch fürchte es. Ein kleines Ueberbleibsel der Ver- rückung, die sie in der ersten Woche, als ich bei ihr zum Werke zu schreiten anfieng, in einem höhern Grade hatte, greift sie jetzt noch an, wie ich vermuthe. Jhre Verachtung des Lebens, ihre durcheinander laufenden Vorstellungen, ih- Weigerung, sich zu verheirathen, oder selbst von ihren vertrautesten Freunden Geld anzuneh- men, sind noch Spuren davon, und lassen sich, wie ich glaube, sonst nicht erklären. Jhr Apotheker ist ein guter ehrlicher Kerl. Du bist in deinen Anmerkungen über die Er- die
weil ſie lieber um nichts und wieder nichts ihre Kleider verkaufen will. Denkeſt du nicht, daß ſie zuweilen ein wenig niedergeſchlagen iſt? Jch fuͤrchte es. Ein kleines Ueberbleibſel der Ver- ruͤckung, die ſie in der erſten Woche, als ich bei ihr zum Werke zu ſchreiten anfieng, in einem hoͤhern Grade hatte, greift ſie jetzt noch an, wie ich vermuthe. Jhre Verachtung des Lebens, ihre durcheinander laufenden Vorſtellungen, ih- Weigerung, ſich zu verheirathen, oder ſelbſt von ihren vertrauteſten Freunden Geld anzuneh- men, ſind noch Spuren davon, und laſſen ſich, wie ich glaube, ſonſt nicht erklaͤren. Jhr Apotheker iſt ein guter ehrlicher Kerl. Du biſt in deinen Anmerkungen uͤber die Er- die
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weil ſie lieber um nichts und wieder nichts ihre
Kleider verkaufen will. Denkeſt du nicht, daß
ſie zuweilen ein wenig niedergeſchlagen iſt? Jch
fuͤrchte es. Ein kleines Ueberbleibſel der Ver-
ruͤckung, die ſie in der erſten Woche, als ich bei
ihr zum Werke zu ſchreiten anfieng, in einem
hoͤhern Grade hatte, greift ſie jetzt noch an, wie
ich vermuthe. Jhre Verachtung des Lebens,
ihre durcheinander laufenden Vorſtellungen, ih-
Weigerung, ſich zu verheirathen, oder ſelbſt
von ihren vertrauteſten Freunden Geld anzuneh-
men, ſind noch Spuren davon, und laſſen ſich,
wie ich glaube, ſonſt nicht erklaͤren.
Jhr Apotheker iſt ein guter ehrlicher Kerl.
Er gefaͤllt mir ſehr. Aber das Lied, das ewi-
ge Lied von ſterben, welches meine wunderliche
Schoͤne immerzu ſinget, bringet mich aus aller
meiner Geduld. Jch hoffe, dieſer melancholi-
ſche Unſinn ruͤhret blos daher, daß ich ſie in ei-
nem Wege fuͤhren wollte, der ihr ſo neu iſt, als
dir die Schoͤnheiten der Bibel. Kein Wunder
alſo, daß ſie nicht weiß, was ſie aus ſich ma-
chen ſoll, und ſich einbildet, mit jedem Odem-
zuge den Tod her zu ziehen, da der Ausgang ge-
rade das Gegentheil hervorbringen wird.
Du biſt in deinen Anmerkungen uͤber die Er-
ziehung und den Werth der jungen Herren und
Stutzer von dem Orden der Boͤſewichter ein trau-
riger Burſche, wenn du mit den Wir und Uns
mich oder dich ſelbſt meineſt. Denn ich behaup-
te, daß Uns das Bildniß nicht gleich ſiehet,
die
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