Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite



dies gehörig bedenken! Jch glaube, ihre aus-
serordentliche Hitze nach Gewinn würde ein gu-
tes Theil abgekühlet werden; Da zwar ihre
Weiber, aber nicht sie, gewiß seyn können,
für wessen Kinder sie arbeiten, schwitzen, schar-
ren, zusammen kratzen, und vielleicht diejenigen
betriegen, welche mit den Kindern als Freun-
de, oder Nachbaren, oder noch als weit nähere
Anverwandten, wenigstens von der Mutter
Seite, in einer Verbindung stehen.

Doch ich mag diesen Gedanken nicht so weit
treiben, als ich könnte. Er möchte, wenn er
gemeiner würde, zu Folgen Anlaß geben, die
den natürlichen und gesellschaftlichen Nei-
gungen nachtheilig wären. Vielleicht möch-
ten auch tugendhafte Frauen von dem ei-
fersüchtigen Mistrauen ihrer Männer, die ein
böses Herz und ein närrisches Gehirn hätten,
mehr leiden müßen, als diejenigen, welche sich
der Entdeckung durch Künste und Verstellung
zu entziehen verstehen, zu welchen Frauen von
Tugend ihre Zuflucht nicht nehmen können.
Und doch, wenn man diesen Gedanken gehö-
rig und allgemeiner erwöge, würde er keine üble
Würkungen hervorbringen. Eine gute Erzie-
hung, gute Neigungen, und eine gesetzte Tu-
gend, und nicht Geld, würden die vornemsten
Eigenschaften seyn, die ein Mann suchte, der
nicht durch die äußerlichen Reizungen einer
Person gefeßelt wäre, wenn er sich nach einer
Theilnehmerin seiner Güter, und nach einer

Mutter



dies gehoͤrig bedenken! Jch glaube, ihre auſ-
ſerordentliche Hitze nach Gewinn wuͤrde ein gu-
tes Theil abgekuͤhlet werden; Da zwar ihre
Weiber, aber nicht ſie, gewiß ſeyn koͤnnen,
fuͤr weſſen Kinder ſie arbeiten, ſchwitzen, ſchar-
ren, zuſammen kratzen, und vielleicht diejenigen
betriegen, welche mit den Kindern als Freun-
de, oder Nachbaren, oder noch als weit naͤhere
Anverwandten, wenigſtens von der Mutter
Seite, in einer Verbindung ſtehen.

Doch ich mag dieſen Gedanken nicht ſo weit
treiben, als ich koͤnnte. Er moͤchte, wenn er
gemeiner wuͤrde, zu Folgen Anlaß geben, die
den natuͤrlichen und geſellſchaftlichen Nei-
gungen nachtheilig waͤren. Vielleicht moͤch-
ten auch tugendhafte Frauen von dem ei-
ferſuͤchtigen Mistrauen ihrer Maͤnner, die ein
boͤſes Herz und ein naͤrriſches Gehirn haͤtten,
mehr leiden muͤßen, als diejenigen, welche ſich
der Entdeckung durch Kuͤnſte und Verſtellung
zu entziehen verſtehen, zu welchen Frauen von
Tugend ihre Zuflucht nicht nehmen koͤnnen.
Und doch, wenn man dieſen Gedanken gehoͤ-
rig und allgemeiner erwoͤge, wuͤrde er keine uͤble
Wuͤrkungen hervorbringen. Eine gute Erzie-
hung, gute Neigungen, und eine geſetzte Tu-
gend, und nicht Geld, wuͤrden die vornemſten
Eigenſchaften ſeyn, die ein Mann ſuchte, der
nicht durch die aͤußerlichen Reizungen einer
Perſon gefeßelt waͤre, wenn er ſich nach einer
Theilnehmerin ſeiner Guͤter, und nach einer

Mutter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0227" n="219"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
dies geho&#x0364;rig bedenken! Jch glaube, ihre au&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erordentliche Hitze nach Gewinn wu&#x0364;rde ein gu-<lb/>
tes Theil abgeku&#x0364;hlet werden; Da zwar ihre<lb/>
Weiber, aber nicht &#x017F;ie, gewiß &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen,<lb/>
fu&#x0364;r we&#x017F;&#x017F;en Kinder &#x017F;ie arbeiten, &#x017F;chwitzen, &#x017F;char-<lb/>
ren, zu&#x017F;ammen kratzen, und vielleicht diejenigen<lb/>
betriegen, welche mit den Kindern als Freun-<lb/>
de, oder Nachbaren, oder noch als weit na&#x0364;here<lb/>
Anverwandten, wenig&#x017F;tens von der Mutter<lb/>
Seite, in einer Verbindung &#x017F;tehen.</p><lb/>
          <p>Doch ich mag die&#x017F;en Gedanken nicht &#x017F;o weit<lb/>
treiben, als ich ko&#x0364;nnte. Er mo&#x0364;chte, wenn er<lb/>
gemeiner wu&#x0364;rde, zu Folgen Anlaß geben, die<lb/>
den <hi rendition="#fr">natu&#x0364;rlichen</hi> und <hi rendition="#fr">ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen</hi> Nei-<lb/>
gungen nachtheilig wa&#x0364;ren. Vielleicht mo&#x0364;ch-<lb/>
ten auch tugendhafte Frauen von dem ei-<lb/>
fer&#x017F;u&#x0364;chtigen Mistrauen ihrer Ma&#x0364;nner, die ein<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;es Herz und ein na&#x0364;rri&#x017F;ches Gehirn ha&#x0364;tten,<lb/>
mehr leiden mu&#x0364;ßen, als diejenigen, welche &#x017F;ich<lb/>
der Entdeckung durch Ku&#x0364;n&#x017F;te und Ver&#x017F;tellung<lb/>
zu entziehen ver&#x017F;tehen, zu welchen Frauen von<lb/>
Tugend ihre Zuflucht nicht nehmen ko&#x0364;nnen.<lb/>
Und doch, wenn man die&#x017F;en Gedanken geho&#x0364;-<lb/>
rig und allgemeiner erwo&#x0364;ge, wu&#x0364;rde er keine u&#x0364;ble<lb/>
Wu&#x0364;rkungen hervorbringen. Eine gute Erzie-<lb/>
hung, gute Neigungen, und eine ge&#x017F;etzte Tu-<lb/>
gend, und <hi rendition="#fr">nicht Geld,</hi> wu&#x0364;rden die vornem&#x017F;ten<lb/>
Eigen&#x017F;chaften &#x017F;eyn, die ein Mann &#x017F;uchte, der<lb/>
nicht durch die a&#x0364;ußerlichen Reizungen einer<lb/>
Per&#x017F;on gefeßelt wa&#x0364;re, wenn er &#x017F;ich nach einer<lb/>
Theilnehmerin &#x017F;einer Gu&#x0364;ter, und nach einer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mutter</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0227] dies gehoͤrig bedenken! Jch glaube, ihre auſ- ſerordentliche Hitze nach Gewinn wuͤrde ein gu- tes Theil abgekuͤhlet werden; Da zwar ihre Weiber, aber nicht ſie, gewiß ſeyn koͤnnen, fuͤr weſſen Kinder ſie arbeiten, ſchwitzen, ſchar- ren, zuſammen kratzen, und vielleicht diejenigen betriegen, welche mit den Kindern als Freun- de, oder Nachbaren, oder noch als weit naͤhere Anverwandten, wenigſtens von der Mutter Seite, in einer Verbindung ſtehen. Doch ich mag dieſen Gedanken nicht ſo weit treiben, als ich koͤnnte. Er moͤchte, wenn er gemeiner wuͤrde, zu Folgen Anlaß geben, die den natuͤrlichen und geſellſchaftlichen Nei- gungen nachtheilig waͤren. Vielleicht moͤch- ten auch tugendhafte Frauen von dem ei- ferſuͤchtigen Mistrauen ihrer Maͤnner, die ein boͤſes Herz und ein naͤrriſches Gehirn haͤtten, mehr leiden muͤßen, als diejenigen, welche ſich der Entdeckung durch Kuͤnſte und Verſtellung zu entziehen verſtehen, zu welchen Frauen von Tugend ihre Zuflucht nicht nehmen koͤnnen. Und doch, wenn man dieſen Gedanken gehoͤ- rig und allgemeiner erwoͤge, wuͤrde er keine uͤble Wuͤrkungen hervorbringen. Eine gute Erzie- hung, gute Neigungen, und eine geſetzte Tu- gend, und nicht Geld, wuͤrden die vornemſten Eigenſchaften ſeyn, die ein Mann ſuchte, der nicht durch die aͤußerlichen Reizungen einer Perſon gefeßelt waͤre, wenn er ſich nach einer Theilnehmerin ſeiner Guͤter, und nach einer Mutter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/227
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/227>, abgerufen am 25.11.2024.