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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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"Schrecken und Mitleiden lassen eine ange-
"nehme Angst
in dem Gemüthe zurück, und hal-

"ten
Trauerhaus, als in das Freudenhaus zu gehen,
und hatten Muth genug, sich bey ihrer edelmüthi-
gen Traurigkeit auf sich selbst zu verlassen, weil sie
ihre Herzen dadurch gebessert befanden.
So wünschten auch Horaz und die feinesten Rö-
mer zu Augustus Zeiten gerühret zu werden:
Ac ne forte putes, me, quae facere ipse recu-
sem,
Cum recte tractant alii, laudare maligne:
Ille per extentum funem mihi posse videtur
Ire poeta, meum qui pectus inaniter angit,
Irritat, mulcet, falsis terroribus implet,
Vt magus, et modo me Thebis, modo ponit
Athenis.

Diese Zeilen kann man so übersetzen:
Damit ich aber nicht das, was ich selbst nicht kann,
Geht es gleich noch so gut für andre Künstler an,
Aus Eifersucht etwa nicht sehr zu loben scheine:
So wisse, was im Ernst ich von der Sache meyne.
Der Dichter, scheint es, hat ein schweres Werk
gewagt,
Der meine Brust bey nichts, als wie ein Zaubrer,
plagt,
Erhitzt, die Hitze stillt, mit falschem Schrecken
rühret,
Und mich bald nach Athen, und bald nach Theben
führet.
L l l 2


„Schrecken und Mitleiden laſſen eine ange-
„nehme Angſt
in dem Gemuͤthe zuruͤck, und hal-

„ten
Trauerhaus, als in das Freudenhaus zu gehen,
und hatten Muth genug, ſich bey ihrer edelmuͤthi-
gen Traurigkeit auf ſich ſelbſt zu verlaſſen, weil ſie
ihre Herzen dadurch gebeſſert befanden.
So wuͤnſchten auch Horaz und die feineſten Roͤ-
mer zu Auguſtus Zeiten geruͤhret zu werden:
Ac ne forte putes, me, quae facere ipſe recu-
ſem,
Cum recte tractant alii, laudare maligne:
Ille per extentum funem mihi poſſe videtur
Ire poëta, meum qui pectus inaniter angit,
Irritat, mulcet, falſis terroribus implet,
Vt magus, et modo me Thebis, modo ponit
Athenis.

Dieſe Zeilen kann man ſo uͤberſetzen:
Damit ich aber nicht das, was ich ſelbſt nicht kann,
Geht es gleich noch ſo gut fuͤr andre Kuͤnſtler an,
Aus Eiferſucht etwa nicht ſehr zu loben ſcheine:
So wiſſe, was im Ernſt ich von der Sache meyne.
Der Dichter, ſcheint es, hat ein ſchweres Werk
gewagt,
Der meine Bruſt bey nichts, als wie ein Zaubrer,
plagt,
Erhitzt, die Hitze ſtillt, mit falſchem Schrecken
ruͤhret,
Und mich bald nach Athen, und bald nach Theben
fuͤhret.
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[899/0905] „Schrecken und Mitleiden laſſen eine ange- „nehme Angſt in dem Gemuͤthe zuruͤck, und hal- „ten (*) (*) Trauerhaus, als in das Freudenhaus zu gehen, und hatten Muth genug, ſich bey ihrer edelmuͤthi- gen Traurigkeit auf ſich ſelbſt zu verlaſſen, weil ſie ihre Herzen dadurch gebeſſert befanden. So wuͤnſchten auch Horaz und die feineſten Roͤ- mer zu Auguſtus Zeiten geruͤhret zu werden: Ac ne forte putes, me, quae facere ipſe recu- ſem, Cum recte tractant alii, laudare maligne: Ille per extentum funem mihi poſſe videtur Ire poëta, meum qui pectus inaniter angit, Irritat, mulcet, falſis terroribus implet, Vt magus, et modo me Thebis, modo ponit Athenis. Dieſe Zeilen kann man ſo uͤberſetzen: Damit ich aber nicht das, was ich ſelbſt nicht kann, Geht es gleich noch ſo gut fuͤr andre Kuͤnſtler an, Aus Eiferſucht etwa nicht ſehr zu loben ſcheine: So wiſſe, was im Ernſt ich von der Sache meyne. Der Dichter, ſcheint es, hat ein ſchweres Werk gewagt, Der meine Bruſt bey nichts, als wie ein Zaubrer, plagt, Erhitzt, die Hitze ſtillt, mit falſchem Schrecken ruͤhret, Und mich bald nach Athen, und bald nach Theben fuͤhret. L l l 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 899. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/905>, abgerufen am 24.11.2024.