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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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und Gemüthsart. Sie muß sich bewußt seyn,
daß sie über die Hälfte von unserm, und die mei-
sten von ihrem eignen Geschlechte erhaben ist.
Das mag sie vielleicht bewegen, einer von Natur
geschwinden und ungedultigen Gemüthsart den
Zügel schießen zu lassen: allein, wo sie an ihrem
Manne ein gefälliges Nachgeben antrifft; und
wer wollte bey einem so sichtbaren Vorzuge nicht
nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun-
gen wird; so, darf ich sagen, wird sie eine vortreff-
liche Frau seyn.

Was Herrn Dolemann betrifft: so versucht
er es noch immer mit seinem Quacksalber, und
hoffet noch immer. Jch muß gestehen, daß, da
der letztere ein Mann von Einsicht und Beur-
theilungskraft ist, und nicht übereilt handelt, nicht
auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht
glaubet, ich große Hoffnung habe, so wenig ich
auch überhaupt von Quacksalbern und Theriacks-
krämern halte, daß er ihm Nutzen schaffen werde,
wo es seine Umstände nur zulassen wollen. Mei-
ne Gründe sind: weil der Mann ihn ordentlich
und beständig besucht; mit seinen eignen Augen
auf eine jede Veränderung, auf einen jeden neuen
Zufall bey seinem Kranken Achtung giebt; seine
Arzneymittel verändert, wie sich die Anzeigen ver-
ändern; sich nicht an die Regeln bindet, welche
die Väter der Kunst festgesetzet haben, die vor
vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten
und die Ursachen derselben, so wohl als die Him-
melsgegenden und die zufälligen Umstände eben

so



und Gemuͤthsart. Sie muß ſich bewußt ſeyn,
daß ſie uͤber die Haͤlfte von unſerm, und die mei-
ſten von ihrem eignen Geſchlechte erhaben iſt.
Das mag ſie vielleicht bewegen, einer von Natur
geſchwinden und ungedultigen Gemuͤthsart den
Zuͤgel ſchießen zu laſſen: allein, wo ſie an ihrem
Manne ein gefaͤlliges Nachgeben antrifft; und
wer wollte bey einem ſo ſichtbaren Vorzuge nicht
nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun-
gen wird; ſo, darf ich ſagen, wird ſie eine vortreff-
liche Frau ſeyn.

Was Herrn Dolemann betrifft: ſo verſucht
er es noch immer mit ſeinem Quackſalber, und
hoffet noch immer. Jch muß geſtehen, daß, da
der letztere ein Mann von Einſicht und Beur-
theilungskraft iſt, und nicht uͤbereilt handelt, nicht
auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht
glaubet, ich große Hoffnung habe, ſo wenig ich
auch uͤberhaupt von Quackſalbern und Theriacks-
kraͤmern halte, daß er ihm Nutzen ſchaffen werde,
wo es ſeine Umſtaͤnde nur zulaſſen wollen. Mei-
ne Gruͤnde ſind: weil der Mann ihn ordentlich
und beſtaͤndig beſucht; mit ſeinen eignen Augen
auf eine jede Veraͤnderung, auf einen jeden neuen
Zufall bey ſeinem Kranken Achtung giebt; ſeine
Arzneymittel veraͤndert, wie ſich die Anzeigen ver-
aͤndern; ſich nicht an die Regeln bindet, welche
die Vaͤter der Kunſt feſtgeſetzet haben, die vor
vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten
und die Urſachen derſelben, ſo wohl als die Him-
melsgegenden und die zufaͤlligen Umſtaͤnde eben

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[834/0840] und Gemuͤthsart. Sie muß ſich bewußt ſeyn, daß ſie uͤber die Haͤlfte von unſerm, und die mei- ſten von ihrem eignen Geſchlechte erhaben iſt. Das mag ſie vielleicht bewegen, einer von Natur geſchwinden und ungedultigen Gemuͤthsart den Zuͤgel ſchießen zu laſſen: allein, wo ſie an ihrem Manne ein gefaͤlliges Nachgeben antrifft; und wer wollte bey einem ſo ſichtbaren Vorzuge nicht nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun- gen wird; ſo, darf ich ſagen, wird ſie eine vortreff- liche Frau ſeyn. Was Herrn Dolemann betrifft: ſo verſucht er es noch immer mit ſeinem Quackſalber, und hoffet noch immer. Jch muß geſtehen, daß, da der letztere ein Mann von Einſicht und Beur- theilungskraft iſt, und nicht uͤbereilt handelt, nicht auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht glaubet, ich große Hoffnung habe, ſo wenig ich auch uͤberhaupt von Quackſalbern und Theriacks- kraͤmern halte, daß er ihm Nutzen ſchaffen werde, wo es ſeine Umſtaͤnde nur zulaſſen wollen. Mei- ne Gruͤnde ſind: weil der Mann ihn ordentlich und beſtaͤndig beſucht; mit ſeinen eignen Augen auf eine jede Veraͤnderung, auf einen jeden neuen Zufall bey ſeinem Kranken Achtung giebt; ſeine Arzneymittel veraͤndert, wie ſich die Anzeigen ver- aͤndern; ſich nicht an die Regeln bindet, welche die Vaͤter der Kunſt feſtgeſetzet haben, die vor vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten und die Urſachen derſelben, ſo wohl als die Him- melsgegenden und die zufaͤlligen Umſtaͤnde eben ſo

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 834. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/840>, abgerufen am 24.11.2024.