"Der Vermeidung des Vergehens, pflegte sie "zu sagen, käme das Geständniß eines Fehlers "am nächsten: und sich in einer strafbaren Sache "entschuldigen zu wollen, wäre das ungezweifelte "Zeichen eines falschen oder verkehrten Ge- "müths."
Jedoch eine von ihren Ausdrückungen über eine ähnliche Sache verdienet angeführt zu wer- den: da ihr von einer strengen Richterinn ein Vorwurf gemacht wurde, weil eine Person, der sie oft das Wort geredet, sich wirklich schändlich bewiesen hatte. "Sie haben mehr Einsicht ge- "habt, Madame, waren ihre Worte, als sich ein "so junges Frauenzimmer, wie ich bin, anmaßen "kann. Allein ob das Verderben der Menschen "gleich öfterer, meiner Vermuthung nach, dieje- "nige Person rechtfertigen mag, die harte Urthei- "le fället, als diejenige, die vortheilhaft urtheilet: "so will ich doch meine liebreiche Gesinnung nicht "fahren lassen. Jnzwischen will ich mich in Zu- "kunft bemühen, sie so einzurichten, daß sie mit "der Fürsicht und Klugheit bestehen könne."
Wo Sie der Schönheiten und Annehmlich- keiten ihrer Feder Erwähnung thun: können Sie gedenken, daß es ihr allezeit zu einer Verwunde- rung Ursache gegeben, daß unser Geschlecht gemei- niglich so abgeneigt vom Schreiben ist, als sich wirklich zeiget: da die Feder, nächst der Nadel, unter allen Beschäfftigungen am bequemsten und geschicktesten für ihre Gemüthsart ist; und dieß so wohl zum wirklichen Nutzen als zum Zeitver-
treib.
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„Der Vermeidung des Vergehens, pflegte ſie „zu ſagen, kaͤme das Geſtaͤndniß eines Fehlers „am naͤchſten: und ſich in einer ſtrafbaren Sache „entſchuldigen zu wollen, waͤre das ungezweifelte „Zeichen eines falſchen oder verkehrten Ge- „muͤths.“
Jedoch eine von ihren Ausdruͤckungen uͤber eine aͤhnliche Sache verdienet angefuͤhrt zu wer- den: da ihr von einer ſtrengen Richterinn ein Vorwurf gemacht wurde, weil eine Perſon, der ſie oft das Wort geredet, ſich wirklich ſchaͤndlich bewieſen hatte. „Sie haben mehr Einſicht ge- „habt, Madame, waren ihre Worte, als ſich ein „ſo junges Frauenzimmer, wie ich bin, anmaßen „kann. Allein ob das Verderben der Menſchen „gleich oͤfterer, meiner Vermuthung nach, dieje- „nige Perſon rechtfertigen mag, die harte Urthei- „le faͤllet, als diejenige, die vortheilhaft urtheilet: „ſo will ich doch meine liebreiche Geſinnung nicht „fahren laſſen. Jnzwiſchen will ich mich in Zu- „kunft bemuͤhen, ſie ſo einzurichten, daß ſie mit „der Fuͤrſicht und Klugheit beſtehen koͤnne.“
Wo Sie der Schoͤnheiten und Annehmlich- keiten ihrer Feder Erwaͤhnung thun: koͤnnen Sie gedenken, daß es ihr allezeit zu einer Verwunde- rung Urſache gegeben, daß unſer Geſchlecht gemei- niglich ſo abgeneigt vom Schreiben iſt, als ſich wirklich zeiget: da die Feder, naͤchſt der Nadel, unter allen Beſchaͤfftigungen am bequemſten und geſchickteſten fuͤr ihre Gemuͤthsart iſt; und dieß ſo wohl zum wirklichen Nutzen als zum Zeitver-
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„Der Vermeidung des Vergehens, pflegte ſie
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„am naͤchſten: und ſich in einer ſtrafbaren Sache
„entſchuldigen zu wollen, waͤre das ungezweifelte
„Zeichen eines falſchen oder verkehrten Ge-
„muͤths.“
Jedoch eine von ihren Ausdruͤckungen uͤber
eine aͤhnliche Sache verdienet angefuͤhrt zu wer-
den: da ihr von einer ſtrengen Richterinn ein
Vorwurf gemacht wurde, weil eine Perſon, der
ſie oft das Wort geredet, ſich wirklich ſchaͤndlich
bewieſen hatte. „Sie haben mehr Einſicht ge-
„habt, Madame, waren ihre Worte, als ſich ein
„ſo junges Frauenzimmer, wie ich bin, anmaßen
„kann. Allein ob das Verderben der Menſchen
„gleich oͤfterer, meiner Vermuthung nach, dieje-
„nige Perſon rechtfertigen mag, die harte Urthei-
„le faͤllet, als diejenige, die vortheilhaft urtheilet:
„ſo will ich doch meine liebreiche Geſinnung nicht
„fahren laſſen. Jnzwiſchen will ich mich in Zu-
„kunft bemuͤhen, ſie ſo einzurichten, daß ſie mit
„der Fuͤrſicht und Klugheit beſtehen koͤnne.“
Wo Sie der Schoͤnheiten und Annehmlich-
keiten ihrer Feder Erwaͤhnung thun: koͤnnen Sie
gedenken, daß es ihr allezeit zu einer Verwunde-
rung Urſache gegeben, daß unſer Geſchlecht gemei-
niglich ſo abgeneigt vom Schreiben iſt, als ſich
wirklich zeiget: da die Feder, naͤchſt der Nadel,
unter allen Beſchaͤfftigungen am bequemſten und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/815>, abgerufen am 26.11.2024.
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