Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



Auge nicht schwer gewesen seyn, ihr Herz zu ver-
leiten.

Da sie das letzte mal, drey beglückte Wochen
nach einander! bey mir war: war sie in einem
jeden Besuche misvergnügter über ihn, wenn er
wegging, als vorher.

Um den Befehlen ihrer Freunde, als sie zu
mir kam, gehorsam zu seyn, wollte sie ihn niemals
anders, als in meiner Gesellschaft, sehen, und sagte
oft, wenn er weggegangen war (*): "O, mein
"Annchen, dieß ist nicht der rechte Mann" - - -
Zu andern Zeiten: "Der lustige, unbesonnene
"Mensch! Er hat allezeit etwas, weswegen er
"Vergebung suchen muß." - - Wiederum zu
andern Zeiten: "Dieser Mensch wird eher Furcht
"bey jemand erwecken, als jemand zur Liebe rei-
"zen." Alsdenn wiederhohlte sie: "Dieß ist nicht
"der rechte Mann - - Alles, was die Welt
"von ihm saget, kann nicht falsch seyn. - - Aber
"was habe ich für Recht, ihn zu beschuldigen, da
"ich nicht willens bin, ihn zu nehmen?" - -
Kurz, hätte man sie einer Einsicht und Klugheit
überlassen, die ihr niemand jemals streitig ge-
macht, der eine oder die andere dieser Eigen-
schaften selbst besaß: so würde sie genug von ihm
entdecket haben, welches sie bewogen hätte, ihm
auf ewig seinen Abschied zu geben.

Jhre Aufrichtigkeit, einen jeden Fehler, zu
dem sie verleitet worden, zu gestehen, müssen Sie
auch sorgfältig bemerken.

"Der
(*) Man sehe den I. Theil, S. 106.



Auge nicht ſchwer geweſen ſeyn, ihr Herz zu ver-
leiten.

Da ſie das letzte mal, drey begluͤckte Wochen
nach einander! bey mir war: war ſie in einem
jeden Beſuche misvergnuͤgter uͤber ihn, wenn er
wegging, als vorher.

Um den Befehlen ihrer Freunde, als ſie zu
mir kam, gehorſam zu ſeyn, wollte ſie ihn niemals
anders, als in meiner Geſellſchaft, ſehen, und ſagte
oft, wenn er weggegangen war (*): „O, mein
„Annchen, dieß iſt nicht der rechte Mann“ ‒ ‒ ‒
Zu andern Zeiten: „Der luſtige, unbeſonnene
„Menſch! Er hat allezeit etwas, weswegen er
„Vergebung ſuchen muß.“ ‒ ‒ Wiederum zu
andern Zeiten: „Dieſer Menſch wird eher Furcht
„bey jemand erwecken, als jemand zur Liebe rei-
„zen.“ Alsdenn wiederhohlte ſie: „Dieß iſt nicht
der rechte Mann ‒ ‒ Alles, was die Welt
„von ihm ſaget, kann nicht falſch ſeyn. ‒ ‒ Aber
„was habe ich fuͤr Recht, ihn zu beſchuldigen, da
„ich nicht willens bin, ihn zu nehmen?“ ‒ ‒
Kurz, haͤtte man ſie einer Einſicht und Klugheit
uͤberlaſſen, die ihr niemand jemals ſtreitig ge-
macht, der eine oder die andere dieſer Eigen-
ſchaften ſelbſt beſaß: ſo wuͤrde ſie genug von ihm
entdecket haben, welches ſie bewogen haͤtte, ihm
auf ewig ſeinen Abſchied zu geben.

Jhre Aufrichtigkeit, einen jeden Fehler, zu
dem ſie verleitet worden, zu geſtehen, muͤſſen Sie
auch ſorgfaͤltig bemerken.

„Der
(*) Man ſehe den I. Theil, S. 106.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0814" n="808"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Auge nicht &#x017F;chwer gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, ihr Herz zu ver-<lb/>
leiten.</p><lb/>
          <p>Da &#x017F;ie das letzte mal, drey beglu&#x0364;ckte Wochen<lb/>
nach einander! bey mir war: war &#x017F;ie in einem<lb/>
jeden Be&#x017F;uche misvergnu&#x0364;gter u&#x0364;ber ihn, wenn er<lb/>
wegging, als vorher.</p><lb/>
          <p>Um den Befehlen ihrer Freunde, als &#x017F;ie zu<lb/>
mir kam, gehor&#x017F;am zu &#x017F;eyn, wollte &#x017F;ie ihn niemals<lb/>
anders, als in meiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, &#x017F;ehen, und &#x017F;agte<lb/>
oft, wenn er weggegangen war <note place="foot" n="(*)">Man &#x017F;ehe den <hi rendition="#aq">I.</hi> Theil, S. 106.</note>: &#x201E;O, mein<lb/>
&#x201E;Annchen, dieß i&#x017F;t nicht <hi rendition="#fr">der rechte</hi> Mann&#x201C; &#x2012; &#x2012; &#x2012;<lb/>
Zu andern Zeiten: &#x201E;Der lu&#x017F;tige, unbe&#x017F;onnene<lb/>
&#x201E;Men&#x017F;ch! Er hat allezeit etwas, weswegen er<lb/>
&#x201E;Vergebung &#x017F;uchen muß.&#x201C; &#x2012; &#x2012; Wiederum zu<lb/>
andern Zeiten: &#x201E;Die&#x017F;er Men&#x017F;ch wird eher Furcht<lb/>
&#x201E;bey jemand erwecken, als jemand zur Liebe rei-<lb/>
&#x201E;zen.&#x201C; Alsdenn wiederhohlte &#x017F;ie: &#x201E;Dieß i&#x017F;t nicht<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">der rechte</hi> Mann &#x2012; &#x2012; Alles, was die Welt<lb/>
&#x201E;von ihm &#x017F;aget, kann nicht fal&#x017F;ch &#x017F;eyn. &#x2012; &#x2012; Aber<lb/>
&#x201E;was habe ich fu&#x0364;r Recht, ihn zu be&#x017F;chuldigen, da<lb/>
&#x201E;ich nicht willens bin, ihn zu nehmen?&#x201C; &#x2012; &#x2012;<lb/>
Kurz, ha&#x0364;tte man &#x017F;ie einer Ein&#x017F;icht und Klugheit<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, die ihr niemand jemals &#x017F;treitig ge-<lb/>
macht, der <hi rendition="#fr">eine oder die andere</hi> die&#x017F;er Eigen-<lb/>
&#x017F;chaften &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;aß: &#x017F;o wu&#x0364;rde &#x017F;ie genug von ihm<lb/>
entdecket haben, welches &#x017F;ie bewogen ha&#x0364;tte, ihm<lb/>
auf ewig &#x017F;einen Ab&#x017F;chied zu geben.</p><lb/>
          <p>Jhre Aufrichtigkeit, einen jeden Fehler, zu<lb/>
dem &#x017F;ie verleitet worden, zu ge&#x017F;tehen, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/>
auch &#x017F;orgfa&#x0364;ltig bemerken.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[808/0814] Auge nicht ſchwer geweſen ſeyn, ihr Herz zu ver- leiten. Da ſie das letzte mal, drey begluͤckte Wochen nach einander! bey mir war: war ſie in einem jeden Beſuche misvergnuͤgter uͤber ihn, wenn er wegging, als vorher. Um den Befehlen ihrer Freunde, als ſie zu mir kam, gehorſam zu ſeyn, wollte ſie ihn niemals anders, als in meiner Geſellſchaft, ſehen, und ſagte oft, wenn er weggegangen war (*): „O, mein „Annchen, dieß iſt nicht der rechte Mann“ ‒ ‒ ‒ Zu andern Zeiten: „Der luſtige, unbeſonnene „Menſch! Er hat allezeit etwas, weswegen er „Vergebung ſuchen muß.“ ‒ ‒ Wiederum zu andern Zeiten: „Dieſer Menſch wird eher Furcht „bey jemand erwecken, als jemand zur Liebe rei- „zen.“ Alsdenn wiederhohlte ſie: „Dieß iſt nicht „der rechte Mann ‒ ‒ Alles, was die Welt „von ihm ſaget, kann nicht falſch ſeyn. ‒ ‒ Aber „was habe ich fuͤr Recht, ihn zu beſchuldigen, da „ich nicht willens bin, ihn zu nehmen?“ ‒ ‒ Kurz, haͤtte man ſie einer Einſicht und Klugheit uͤberlaſſen, die ihr niemand jemals ſtreitig ge- macht, der eine oder die andere dieſer Eigen- ſchaften ſelbſt beſaß: ſo wuͤrde ſie genug von ihm entdecket haben, welches ſie bewogen haͤtte, ihm auf ewig ſeinen Abſchied zu geben. Jhre Aufrichtigkeit, einen jeden Fehler, zu dem ſie verleitet worden, zu geſtehen, muͤſſen Sie auch ſorgfaͤltig bemerken. „Der (*) Man ſehe den I. Theil, S. 106.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/814
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/814>, abgerufen am 26.11.2024.