Jch bin im Begriff, hinunter zu reisen, ohne meine Geliebte zu sehen. Jch bin ein Thor in der Uebereilung gewesen, daß ich ihr einen Brief geschrieben, und darinn versprochen habe, nicht eher zu ihr zu kommen, als bis ich sie in ihres Vaters Hause sehen würde. Denn da sie nun wirklich in Smithens Hause ist und ich ihr so nahe bin: hätte ein kurzer Besuch nicht schaden können.
Vor zwoen Stunden schickte ich Wilhelm mit meiner dankgeflissensten Empfehlung zu ihr, und ließ mich erkundigen, wie sie sich befände. Wie sehr muß ich diese reizende Fräulein anbe- ten! Denn ich bin nicht abgeneigt, meinen Die- ner für glücklicher, als mich selbst, zu halten, weil er in einem Stockwerk und einem Zimmer mit ihr gewesen ist.
Mowbray und ich wollen, unter Weges, je- der eine Thräne zum Andenken des armen Bel- tons vergießen. - - Unter Weges, sage ich: denn, wenn wir bey dem Lord M. ankommen, und ich ihm und meinen Basen den Brief von der lieben Fräulein zeige, so werden wir so viele Freude haben, daß wir alles Traurige vergessen werden; indem nun ihre Familienhoffnung in meiner Besserung, der Sache, die ihnen so nahe am Herzen liegt, vollkommen wieder aufleben wird, weil es einer von ihren Glaubensartikeln ist, daß, wenn ich heyrathe, Reue und Kränkung alsobald folgen werden.
Weder Mowbray, noch ich werde deine münd- liche Einladung zum Leichenbegängnisse anneh-
men.
Jch bin im Begriff, hinunter zu reiſen, ohne meine Geliebte zu ſehen. Jch bin ein Thor in der Uebereilung geweſen, daß ich ihr einen Brief geſchrieben, und darinn verſprochen habe, nicht eher zu ihr zu kommen, als bis ich ſie in ihres Vaters Hauſe ſehen wuͤrde. Denn da ſie nun wirklich in Smithens Hauſe iſt und ich ihr ſo nahe bin: haͤtte ein kurzer Beſuch nicht ſchaden koͤnnen.
Vor zwoen Stunden ſchickte ich Wilhelm mit meiner dankgefliſſenſten Empfehlung zu ihr, und ließ mich erkundigen, wie ſie ſich befaͤnde. Wie ſehr muß ich dieſe reizende Fraͤulein anbe- ten! Denn ich bin nicht abgeneigt, meinen Die- ner fuͤr gluͤcklicher, als mich ſelbſt, zu halten, weil er in einem Stockwerk und einem Zimmer mit ihr geweſen iſt.
Mowbray und ich wollen, unter Weges, je- der eine Thraͤne zum Andenken des armen Bel- tons vergießen. ‒ ‒ Unter Weges, ſage ich: denn, wenn wir bey dem Lord M. ankommen, und ich ihm und meinen Baſen den Brief von der lieben Fraͤulein zeige, ſo werden wir ſo viele Freude haben, daß wir alles Traurige vergeſſen werden; indem nun ihre Familienhoffnung in meiner Beſſerung, der Sache, die ihnen ſo nahe am Herzen liegt, vollkommen wieder aufleben wird, weil es einer von ihren Glaubensartikeln iſt, daß, wenn ich heyrathe, Reue und Kraͤnkung alſobald folgen werden.
Weder Mowbray, noch ich werde deine muͤnd- liche Einladung zum Leichenbegaͤngniſſe anneh-
men.
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Jch bin im Begriff, hinunter zu reiſen, ohne
meine Geliebte zu ſehen. Jch bin ein Thor in
der Uebereilung geweſen, daß ich ihr einen Brief
geſchrieben, und darinn verſprochen habe, nicht eher
zu ihr zu kommen, als bis ich ſie in ihres Vaters
Hauſe ſehen wuͤrde. Denn da ſie nun wirklich
in Smithens Hauſe iſt und ich ihr ſo nahe bin:
haͤtte ein kurzer Beſuch nicht ſchaden koͤnnen.
Vor zwoen Stunden ſchickte ich Wilhelm
mit meiner dankgefliſſenſten Empfehlung zu ihr,
und ließ mich erkundigen, wie ſie ſich befaͤnde.
Wie ſehr muß ich dieſe reizende Fraͤulein anbe-
ten! Denn ich bin nicht abgeneigt, meinen Die-
ner fuͤr gluͤcklicher, als mich ſelbſt, zu halten, weil
er in einem Stockwerk und einem Zimmer mit ihr
geweſen iſt.
Mowbray und ich wollen, unter Weges, je-
der eine Thraͤne zum Andenken des armen Bel-
tons vergießen. ‒ ‒ Unter Weges, ſage ich:
denn, wenn wir bey dem Lord M. ankommen,
und ich ihm und meinen Baſen den Brief von
der lieben Fraͤulein zeige, ſo werden wir ſo viele
Freude haben, daß wir alles Traurige vergeſſen
werden; indem nun ihre Familienhoffnung in
meiner Beſſerung, der Sache, die ihnen ſo nahe
am Herzen liegt, vollkommen wieder aufleben
wird, weil es einer von ihren Glaubensartikeln
iſt, daß, wenn ich heyrathe, Reue und Kraͤnkung
alſobald folgen werden.
Weder Mowbray, noch ich werde deine muͤnd-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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