den letzten Willen meiner geliebten Freundinn in meiner eignen Sache so viele Achtung zu bezeigen, als ich von andern gegen denselben bezeigt haben wollte. Ein Vorwurf, bey dem ich nicht ganz stille schweigen darf.
Sie haben sonder Zweifel bemerkt, daß ich mir auf die Freyheit, meine Meynung in allen Sachen, die ich berühren mag, ohne Zurückhal- tung zu sagen, etwas zu gute zu thun scheine: und ich kann kaum zweifeln, daß ich in Jhren Gedan- ken durch meine Aufführung gegen Sie, da ich Jhnen, auf eine so kurze Bekanntschaft, ohne alle Umstände begegne, in den Fehler derjenigen ver- fallen sey oder verfallen werde, die ins Bäurische, wo nicht gar ins Grobe und Unartige gerathen, in- dem sie für Leute angesehen seyn wollen, die über alles Heucheln und Schmeicheln hinaus sind; ein gemeiner Fehler bey denen, welche sich nicht bemühen ihre natürlichen Mängel zu verbessern, sondern sie mit dem Namen einer oder der an- dern Tugend zu überkleistern suchen, da es doch vielleicht ein angebohrner Stolz ist, oder wenig- stens ein zugezogener Rost, den sie nicht abfeilen lassen wollen, weil es ihnen Mühe und Schmer- zen machen würde.
Sie sehen unterdessen, mein Herr, daß ich eben so frey mit mir selbst, als mit Jhnen, ver- fahren kann: und aus dem, was ich schreiben will, werden Sie mich noch freyer befinden. Dennoch weiß ich gar wohl, daß Personen von meinem Geschlechte, die sich nicht ein wenig An-
sehen
Siebenter Theil. C c c
den letzten Willen meiner geliebten Freundinn in meiner eignen Sache ſo viele Achtung zu bezeigen, als ich von andern gegen denſelben bezeigt haben wollte. Ein Vorwurf, bey dem ich nicht ganz ſtille ſchweigen darf.
Sie haben ſonder Zweifel bemerkt, daß ich mir auf die Freyheit, meine Meynung in allen Sachen, die ich beruͤhren mag, ohne Zuruͤckhal- tung zu ſagen, etwas zu gute zu thun ſcheine: und ich kann kaum zweifeln, daß ich in Jhren Gedan- ken durch meine Auffuͤhrung gegen Sie, da ich Jhnen, auf eine ſo kurze Bekanntſchaft, ohne alle Umſtaͤnde begegne, in den Fehler derjenigen ver- fallen ſey oder verfallen werde, die ins Baͤuriſche, wo nicht gar ins Grobe und Unartige gerathen, in- dem ſie fuͤr Leute angeſehen ſeyn wollen, die uͤber alles Heucheln und Schmeicheln hinaus ſind; ein gemeiner Fehler bey denen, welche ſich nicht bemuͤhen ihre natuͤrlichen Maͤngel zu verbeſſern, ſondern ſie mit dem Namen einer oder der an- dern Tugend zu uͤberkleiſtern ſuchen, da es doch vielleicht ein angebohrner Stolz iſt, oder wenig- ſtens ein zugezogener Roſt, den ſie nicht abfeilen laſſen wollen, weil es ihnen Muͤhe und Schmer- zen machen wuͤrde.
Sie ſehen unterdeſſen, mein Herr, daß ich eben ſo frey mit mir ſelbſt, als mit Jhnen, ver- fahren kann: und aus dem, was ich ſchreiben will, werden Sie mich noch freyer befinden. Dennoch weiß ich gar wohl, daß Perſonen von meinem Geſchlechte, die ſich nicht ein wenig An-
ſehen
Siebenter Theil. C c c
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den letzten Willen meiner geliebten Freundinn in
meiner eignen Sache ſo viele Achtung zu bezeigen,
als ich von andern gegen denſelben bezeigt haben
wollte. Ein Vorwurf, bey dem ich nicht ganz
ſtille ſchweigen darf.
Sie haben ſonder Zweifel bemerkt, daß ich
mir auf die Freyheit, meine Meynung in allen
Sachen, die ich beruͤhren mag, ohne Zuruͤckhal-
tung zu ſagen, etwas zu gute zu thun ſcheine: und
ich kann kaum zweifeln, daß ich in Jhren Gedan-
ken durch meine Auffuͤhrung gegen Sie, da ich
Jhnen, auf eine ſo kurze Bekanntſchaft, ohne alle
Umſtaͤnde begegne, in den Fehler derjenigen ver-
fallen ſey oder verfallen werde, die ins Baͤuriſche,
wo nicht gar ins Grobe und Unartige gerathen, in-
dem ſie fuͤr Leute angeſehen ſeyn wollen, die uͤber
alles Heucheln und Schmeicheln hinaus ſind;
ein gemeiner Fehler bey denen, welche ſich nicht
bemuͤhen ihre natuͤrlichen Maͤngel zu verbeſſern,
ſondern ſie mit dem Namen einer oder der an-
dern Tugend zu uͤberkleiſtern ſuchen, da es doch
vielleicht ein angebohrner Stolz iſt, oder wenig-
ſtens ein zugezogener Roſt, den ſie nicht abfeilen
laſſen wollen, weil es ihnen Muͤhe und Schmer-
zen machen wuͤrde.
Sie ſehen unterdeſſen, mein Herr, daß ich
eben ſo frey mit mir ſelbſt, als mit Jhnen, ver-
fahren kann: und aus dem, was ich ſchreiben
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Dennoch weiß ich gar wohl, daß Perſonen von
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/775>, abgerufen am 30.11.2024.
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